Gastbeitrag Eingriffe in die Marktwirtschaft sind nicht mehr tabu – zu Recht

Seite 2/2

Diplomatische Konfliktlösungen sind zu bevorzugen

In der Tat sind wir stärker als früher mit marktverzerrendem Verhalten durch Staaten oder staatlich unterstützten Unternehmen konfrontiert. Deshalb sehen auch die Kapitalmarktteilnehmer heute durchaus ein Spannungsfeld zwischen berechtigten nationalen Interessen und dem Wettbewerb. Schärfere Kontrollen sollten jedoch die Ultima Ratio bleiben, diplomatische Konfliktlösungen sind im Interesse eines funktionierenden Systems zu bevorzugen. Auch die Investment Professionals fordern zu 84 Prozent, dass die europäischen Regierungen darauf drängen sollten, dass europäischen Unternehmen im Ausland, beispielsweise in China, die gleichen Rechte eingeräumt werden wie ausländischen Investoren in der EU. Mit diesem Grundsatz der Reziprozität ist vielleicht eine Balance zu finden, die das Investitionsklima nicht beeinträchtigt.

Als Verhandlungsführer für solche Vereinbarungen sehen viele die EU am Zug. Erst vor kurzem hatte sich auch der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments für neue EU-Regeln für Investitionskontrollen ausgesprochen. Die Ansicht, dass dies tatsächlich eine europäische Aufgabe und somit Sache der EU sei, teilen 47 Prozent der Befragten. Die Europäische Kommission müsste deshalb eine zentrale Rolle erhalten und die Einhaltung der Regeln überwachen.

Das Beispiel Amerikas halten immerhin mehr als die Hälfte der Befragten nicht für abschreckend. So stimmen 57 Prozent der Aussage zu, dass die USA trotz ihrer Abschottungsbemühungen eines der attraktivsten Ziele für Investoren auf der Welt geblieben seien. Das könne ihrer Meinung nach auch ein Beispiel für Europa sein. Umgekehrt befürchtet jedoch fast die Hälfte der Befragten (42 Prozent), dass strengere Investitionskontrollen eine Spirale des Protektionismus in Gang setzen. Das beeinträchtige das Investitionsklima nachhaltig und werde dadurch zum Eigentor. Hier zeigt sich das ganze Dilemma zwischen Ordnungs- und Industriepolitik.

Wir müssen jedoch erkennen, dass wir es im Falle China mit einem System zu tun haben, das sich nicht unbedingt weiter öffnet, sondern seinen eigenen Weg definiert – nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Politik. In einem systemischen Wettbewerb zwischen Marktwirtschaft und Staatskapitalismus müssen wir vielleicht einige unserer rein liberalen Vorstellungen revidieren und nicht weiter naiv am Ideal festhalten. Fast zwei Drittel (60 Prozent) der von uns befragten Kapitalmarktexperten sprechen sich für eine aktivere europäische Industriepolitik aus. Nur so könnten heimische Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und die Bürger vor den Folgen der Globalisierung und eines ungehemmten Handels geschützt werden. Insgesamt ist dieses Ergebnis ein Indiz für ein Umdenken in der Investment Community.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%