Gastbeitrag Eingriffe in die Marktwirtschaft sind nicht mehr tabu – zu Recht

Die Bundesregierung verstärkt ihre Abwehrhaltung gegenüber Investitionen staatlicher chinesischer Unternehmen in als kritisch geltenden Bereichen der deutschen Wirtschaft Quelle: dpa

Die Bundesregierung setzt sich immer stärker gegen Investitionen aus China durch. Früher galten solche Eingriffe in die Marktwirtschaft als tabu, doch das hat sich geändert - und selbst Investoren finden das gut.

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Die Bundesregierung verstärkt ihre Abwehrhaltung gegenüber Investitionen staatlicher chinesischer Unternehmen in als kritisch geltenden Bereichen der deutschen Wirtschaft. Die Staatsbank KfW steigt beim ostdeutschen Stromautobahnbetreiber 50Hertz mit einem Anteil von 20 Prozent im Wert von knapp 1 Mrd. Euro ein und bootet dadurch den ebenfalls interessierten Staatskonzern State Grid of China Corporation aus. Und für den 1. August hatten Beobachter erstmals ein offizielles Veto durch das Bundeskabinett gegen den Verkauf des hoch spezialisierten westfälischen Werkzeugmaschinenbauers „Leifeld Metal Spinning“ an einen chinesischen Investor erwartet. Der Kaufinteressenten blies die Übernahme daraufhin offenbar ab. Das Familienunternehmen, das Töchter in China und den USA hat, sieht sich als weltweit führend bei hochfesten Stählen, die in der Luftfahrt, aber auch in der Rüstung eingesetzt werden.

Bisher galten solche Eingriffe unter Marktwirtschaftlern als tabu. Herrschende Lehre war: Deutschlands und Chinas Volkswirtschaften ergänzen sich. Die Deutschen verkaufen den Chinesen Maschinen. Und die fertigen damit Güter, die wiederum wir importierten. Sicher, die Beschwerdeliste deutscher Unternehmen in China ist lang: Joint-Venture-Zwang, Diskriminierung bei Staatsaufträgen, das neue Cybersecurity-Gesetz, das Firmen zwingt, ihre Daten auf lokalen Servern zu speichern oder der Umstand, dass ganze Branchen für Übernahmen gesperrt sind. Derweil genießen chinesische Konzerne in der EU alle Freiheiten. Aber all das wird hingenommen, weil der riesige chinesische Markt einfach zu attraktiv ist.

Doch der Wind dreht sich, und wir stellen selbst unter Kapitalmarktprofis eine wachsende Skepsis fest, ob denn bei allen internationalen M+A-Deals faire Wettbewerbsbedingungen herrschen und nicht eher ein Ausverkauf deutschen Know Hows drohe. In einer kürzlich unter den Mitgliedern der DVFA, des Verbandes der Investment Professionals, durchgeführten Umfrage, stimmten fast zwei Drittel (64 Prozent) zu, dass Europa ausländische Investitionen in Bereiche wie Informationstechnologie, Wasser- und Energieversorgung, Gesundheit, Ernährung, Telekommunikation, Zahlungsverkehr sowie Güter- und Personenverkehr kontrollieren sollte. Bereiche also, die weniger mit „nationaler Sicherheit“ zu tun haben, sondern eher mit Infrastrukturen, die der öffentlichen Ordnung dienen.

Dahinter stehen zwei Entwicklungen: Deutschland, das bislang stark von der Globalisierung profitiert hat, sieht sich mehr und mehr auch mit Nebenwirkungen konfrontiert – wachsende Ungleichheit, schärferer Wettbewerb, zunehmende Migrationsströme. Und andererseits betreiben Staaten wie China und die USA immer ungehemmter Politik zugunsten ihrer heimischen Wirtschaft, die im Falle Chinas auch noch staatlich gelenkt und teilweise auch finanziert ist. Diese Ungleichheit der Systeme weckt zunehmend Unbehagen. Selbst am ansonsten so liberalen Kapitalmarkt, wächst die Sorge ob denn die Kräfte des Marktes ausreichen, um hier weiterhin ein Gleichgewicht zu schaffen.

Die beiden aktuellen Anlässe zeigen, dass die Bundesregierung mehr als früher bemüht ist, die gegebenen rechtlichen Möglichkeiten auch auszuschöpfen. Das ist gut so. Im Falle 50Hertz hätten jedoch die Instrumente der Außenwirtschaftsverordnung gar nicht gegriffen, weil die Beteiligung unterhalb der 25 Prozent-Schwelle liegt. Hier kam der Bundesregierung zu Gute, dass der börsennotierte belgische Mutterkonzern Elia ein Vorkaufsrecht hatte und den Anteil nun an die staatliche KfW weiterreicht. Die Sorge, dass die bestehenden Regeln für einen wirksamen Schutz vor Know-How-Transfer nicht genügen, teilen auch die befragten Investment Professionals; nur 28 Prozent halten sie für ausreichend.

Diplomatische Konfliktlösungen sind zu bevorzugen

In der Tat sind wir stärker als früher mit marktverzerrendem Verhalten durch Staaten oder staatlich unterstützten Unternehmen konfrontiert. Deshalb sehen auch die Kapitalmarktteilnehmer heute durchaus ein Spannungsfeld zwischen berechtigten nationalen Interessen und dem Wettbewerb. Schärfere Kontrollen sollten jedoch die Ultima Ratio bleiben, diplomatische Konfliktlösungen sind im Interesse eines funktionierenden Systems zu bevorzugen. Auch die Investment Professionals fordern zu 84 Prozent, dass die europäischen Regierungen darauf drängen sollten, dass europäischen Unternehmen im Ausland, beispielsweise in China, die gleichen Rechte eingeräumt werden wie ausländischen Investoren in der EU. Mit diesem Grundsatz der Reziprozität ist vielleicht eine Balance zu finden, die das Investitionsklima nicht beeinträchtigt.

Als Verhandlungsführer für solche Vereinbarungen sehen viele die EU am Zug. Erst vor kurzem hatte sich auch der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments für neue EU-Regeln für Investitionskontrollen ausgesprochen. Die Ansicht, dass dies tatsächlich eine europäische Aufgabe und somit Sache der EU sei, teilen 47 Prozent der Befragten. Die Europäische Kommission müsste deshalb eine zentrale Rolle erhalten und die Einhaltung der Regeln überwachen.

Das Beispiel Amerikas halten immerhin mehr als die Hälfte der Befragten nicht für abschreckend. So stimmen 57 Prozent der Aussage zu, dass die USA trotz ihrer Abschottungsbemühungen eines der attraktivsten Ziele für Investoren auf der Welt geblieben seien. Das könne ihrer Meinung nach auch ein Beispiel für Europa sein. Umgekehrt befürchtet jedoch fast die Hälfte der Befragten (42 Prozent), dass strengere Investitionskontrollen eine Spirale des Protektionismus in Gang setzen. Das beeinträchtige das Investitionsklima nachhaltig und werde dadurch zum Eigentor. Hier zeigt sich das ganze Dilemma zwischen Ordnungs- und Industriepolitik.

Wir müssen jedoch erkennen, dass wir es im Falle China mit einem System zu tun haben, das sich nicht unbedingt weiter öffnet, sondern seinen eigenen Weg definiert – nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Politik. In einem systemischen Wettbewerb zwischen Marktwirtschaft und Staatskapitalismus müssen wir vielleicht einige unserer rein liberalen Vorstellungen revidieren und nicht weiter naiv am Ideal festhalten. Fast zwei Drittel (60 Prozent) der von uns befragten Kapitalmarktexperten sprechen sich für eine aktivere europäische Industriepolitik aus. Nur so könnten heimische Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und die Bürger vor den Folgen der Globalisierung und eines ungehemmten Handels geschützt werden. Insgesamt ist dieses Ergebnis ein Indiz für ein Umdenken in der Investment Community.

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