Gastbeitrag zum Merkel-Kurs „Platz geschaffen für die AfD“

Der AfD-Erfolg alarmiert CDU-Konservative. In einem eindringlichen Appell wendet sich Veronika Bellmann, eine Vertreterin dieses Parteiflügels, an Merkel und fordert: „Wir müssen wieder zurück zum Markenkern der Union.“

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Veronika Bellmann ist CDU-Bundestagsabgeordnete. Quelle: Screenshot

Berlin Was ich aus der CDU-Präsidiumssitzung hörte, stimmte mich zunächst hoffnungsfroh. Offenbar hatten einige in der Unionsspitze mit Blick auf den Stuttgarter AfD-Parteitag und die katastrophalen Wahlergebnisse vom 13. März 2016 doch noch einmal den Versuch einer schonungslosen Analyse unternommen. Die Ursachen dieses Desasters sind nicht nur zu suchen in der Flüchtlingspolitik, sondern auch in der Tatsache, dass die CDU unter Angela Merkel mit ihrem gesellschaftspolitischen Kurs, Platz geschaffen hat für eine Partei rechts von ihr.

Die Kanzlerin wolle nun stärker auf die konservativen Wähler rechts der Mitte zugehen, habe eine neue Strategie im Umgang mit der AfD angeregt, wolle jetzt die Sorgen der Menschen ernst nehmen und habe somit einen Kursschwenk vollzogen, hieß es. Für kurze Zeit war ich versucht zu sagen „Geht doch“ und „Lieber spät als nie“ oder „Doch nicht beratungsresistent“. War da tatsächlich die Erkenntnis gereift, dass nicht viele Wähler von der Mitte nach rechts gewandert sind, sondern die Union von der Mitte nach links? Immer schön brav Rot-Grün hinterher und manchmal sogar noch links überholend, in der Hoffnung ihnen mehr Wähler abjagen zu können als man Stammwählerschaft verlieren würde? War da tatsächlich die Erkenntnis gereift, dass es sich für die Union rächt, ihren Markenkern einer vermeintlichen Modernisierung geopfert und damit anderen überlassen zu haben?

Doch schnell mischte sich in meine Hoffnung Zweifel, dass die Einsicht in die Notwendigkeit einer wertkonservativen und dennoch modernen Politik als erster Schritt der Besserung, nicht ernst gemeint war. War er auch nicht, denn nur einen Tag später hörte man sowohl von der Bundesvorsitzenden Merkel als auch von ihrem Generalsekretär Tauber ein deutliches Dementi. Von wegen Kurswechsel, es hätte mich gewundert, wenn es anders gekommen wäre.

Angela Merkel hat das letzte Mal im Jahr 2004 zum Leipziger Parteitag wertkonservative Thesen vertreten. Viel Stimmen hat ihr das nicht gebracht, auch wenn sie 2005 Kanzlerin wurde. Ihr politisches Handeln ist wohl auch deshalb nicht geprägt von großen Prinzipien. Es war immer rational und tagesaktuell pragmatisch. Manche sagen dazu: „Sie fährt auf Sicht.“ Das heißt, dass politische Entscheidungen der Kanzlerin viel mehr auf Zahlen, Mehrheiten, kurzfristigem Machtgewinn oder -erhalt ausgerichtet sind, als auf deren mittel- und langfristige gesellschaftliche Folgen. Da sind kontinuierliche politische Prinzipien nur störend und kritische Geister, die diese anmahnen, natürlich auch - sie werden kurzerhand zu Außenseitern erklärt.


„Geht der Abwärtstrend so weiter, ist die Macht dahin“

Nur so kann man heute für und morgen gegen Atomkraft sein, heute gegen die Haftungsunion im Euro-Raum und morgen dafür. Heute für Zuwanderungsbegrenzung und morgen dagegen, heute im friedlichen Konsens mit allen EU-Mitgliedsstaaten und morgen die EU-Partner beschimpfend im Alleingang auf deutschen Sonderwegen. Heute für humanitäre Hilfe und ein den Kontrollverlust des Staates in kauf nehmendes grenzenloses Willkommen und morgen dagegen - und zwar mit Hilfe des erpresserischen türkischen Präsidenten und Möchtegernsultans eines neo-osmanischen Großreiches. So wird es garantiert auch mit der Visafreiheit für die Türkei und deren Beitritt zur EU. Gestern hieß es noch „niemals“, heute unter bestimmten Bedingungen „vielleicht“ und morgen wird's einfach gemacht.

Zu diesem Zickzackkurs gibt es dann jede Menge Erläuterungen, die bestehendes Recht bis an die Grenze des Erträglichen interpretieren. Oder aber die Verträge werden im Nachhinein an die politischen Entscheidungen einfach angepasst. Zur Not, wenn es ganz schnell gehen soll, wird die per Grundgesetz legitimierte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin bemüht. Parlamentsbeteiligung erübrigt sich dadurch. Sehr zur Freude der Abgeordneten, die zwar immer weniger gefragt werden aber dennoch die Verantwortung mittragen müssen.

Die Energiewende, Euro-Rettung, Flüchtlingspolitik oder jüngst die Mogelpackung der Kaufprämie für die Elektroautos sind, außer, dass sie allesamt ordnungspolitische Sündenfälle oberster Güteklasse sind, beste Beispiele dafür. Im Auge des Wählers steht aber die Kategorie „Beliebigkeit“ denen der „Verlässlichkeit“ und des „Vertrauens“ unversöhnlich gegenüber. Wenn letzteres fehlt, dann kommt selbst der treuesten politischen Gefolgschaft die Begeisterung abhanden und die Wählerschaft geht auf Wanderschaft - weg von Union und Regierung. Augenscheinlich verliert die Union in der Mitte und rechts mehr, als sie an linken Wechselwählern dazu bekommt. In Wirklichkeit gewinnt sie also keine neuen Wählerschichten, sondern verliert die alten.

Geht aber der Abwärtstrend so weiter, stimmen die Zahlen und die Mehrheiten nicht mehr und die Macht ist dahin. Das und nichts anderes wird dann wohl auch eine rational und pragmatisch handelnde Frau Merkel umgetrieben haben, sich bezüglich der Böhmermann'schen-Schmähkritik an Erdogan für ihre im vorauseilenden Gehorsam erfolgte Vorverurteilung zu entschuldigen und im Hinblick auf die AfD-Wahlerfolge wenigstens zu signalisieren, auf deren Wähler zugehen zu wollen.


„Das Fehlen eines politischen Profils ist mehr als nur problematisch“

Fragen Sie sie, was sie sich unter den „Angeboten“ für die Mitte-Rechts-Wähler vorstellt und sie werden dazu sicher nicht viel Konkretes erfahren. Die Bundesvorsitzende hat in einem Interview auf die Frage nach ihrer politischen Position einmal gesagt, sie wäre alles ein bisschen: konservativ, liberal und sozial. Heute käme in der Aufzählung wahrscheinlich noch ökologisch, multikulturell und multireligiös im Sinne ihres Satzes „Der Islam gehört zu Deutschland“ dazu. Ob das nun strategische Arbeitsteilung mit dem Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder oder erste Anzeichen von Absetzbewegungen seinerseits von der Kanzlerin sind, dass er ihr hier klar widerspricht, wird sich zeigen.

Wenn alle im Nebel stochern, mag das auf Sicht fahren das Praktischste sein. Da braucht man nicht unbedingt eine konsistente Linie. Das mag stimmen - zunächst. Was aber, wenn sich der Nebel unverhofft lichtet? Dann ist das Fehlen dieser Linie, eines politischen Profils mehr als nur problematisch. Die mehr als nur enttäuschenden Wahlergebnisse liegen auch darin begründet, dass viele Wähler bei der Union ein klares Profil vermissen. Mitgliedschaft, die Anhänger, die Wähler wollen sich orientieren können. Dafür brauchen sie Fixpunkte wie in einem Kursbuch und keine Zick-Zack-Linie wie in einem Schnittmusterbogen.

Wir müssen wieder zurück zum Markenkern der Union. Konstruktive Selbstkritik und eine ungeschönte Darstellung der Realität vorangestellt, muss der Fokus der Politik unter anderem liegen auf Recht und Gerechtigkeit für jedermann, innerer, äußerer sowie sozialer Ordnung und Sicherheit, Familien , Abkehr von der Gender-Ideologie, Marktwirtschaft, Meinungsfreiheit statt falsch verstandener politischer Korrektheit, deutsche Leitkultur, also deutsche Sprache ins Grundgesetz, Ende der unkontrollierten Zuwanderung und Bestimmung einer Integrationsobergrenze.

Deutschland ist ein Land der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Aber noch nie in seiner Geschichte war die deutsche Gesellschaft so verunsichert und gespalten wie heute durch den Flüchtlingszustrom. Selbst wenn gegenwärtig die Zahl der Flüchtlinge und illegalen Zuwanderer durch Schließung der Balkanroute abgeebbt ist, Asylpakete und Integrationsgesetze auf den Weg gebracht sind, die Sorge um Identitätsverlust und Überfremdung des Landes bei den Bürgern und Unionsmitgliedern ist geblieben. Darüber können auch Jubelparteitage und ein präsidialer Führungsstil, bei dem jede Kritik als Majestätsbeleidigung aufgefasst werden kann, nicht hinwegtäuschen. Mitgliederbefragungen würden ein sehr viel realistischeres Bild vom Meinungsbild in der Union zeigen. Über Entscheidungen von weitreichender Bedeutung und insbesondere über politische Kurskorrekturen muss zunächst intensiv mit der Parteibasis diskutiert werden, bevor es zu endgültigen Beschlüssen kommt.


Mehr „Graswurzelbewegung“ täte der Union gut

Ein wenig mehr „Graswurzelbewegung“, also „CDU von unten“, täte der Union gut. Das schult den Sinn für die politische Realität im Lande. Den Vorwurf, dass die Union und ihre Vorsitzende Merkel diesen , insbesondere im Hinblick auf die Flüchtlingspolitik verloren hätten, höre ich ganz oft in Bürgergesprächen und Veranstaltungen. Befürworter ihres Kurses hingegen, sind selten.

In Sachsen-Anhalt, so sagt der wiedergewählte CDU-Ministerpräsident Haseloff, hätten viele Wähler angegeben, dass sie statt AfD lieber CSU wählen würden, wenn es sie bundesweit gäbe. Das zeigt, das die Menschen, gerade im Hinblick auf die Flüchtlingspolitik, wieder mehr Konzentration auf den Schutz nationaler Werte legen. Wenn sie sich damit bei der CDU nicht wiederfinden, werden eben diejenigen gewählt, die diese Themen im Angebot haben.

Es war jahrzehntelang erklärtes Ziel der Union, alle politischen Anstrengungen zu unternehmen, damit sich rechts von ihr keine neue Partei etablieren kann. Die Anstrengungen sind in den letzten zehn Jahren erlahmt. Ob und wie lange sich die AfD hält, ist unerheblich für die Notwendigkeit des „Zurück zur Zukunft“, hin zu einer Union, die sich sowohl auf ihre christlich-soziale als auch ihre freiheitlich-bürgerlich-konservative Identität besinnt und insofern als Volkspartei ein umfassendes Spektrum politischer Meinungen abbildet. Es hätte mich sehr gefreut, wenn genau in diesem Sinne die Bundesvorsitzende tatsächlich einen Kursschwenk vorgenommen und nicht dessen Dementi als Botschaft in die Welt gesendet hätte.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann ist Mitglied im konservativen Berliner Kreis der Union. Die Gruppierung, der auch die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach, Erika Steinbach (beide CDU) und Stephan Mayer (CSU) angehören, war 2012 gegründet worden, um dem klassischen Konservatismus eine politische Heimat zu geben.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%