
Die Koalition bessert ihren umstrittenen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit womöglich doch noch überraschend nach. Die CDU kündigte bei der ersten Beratung des Gesetzes am Donnerstag im Bundestag mögliche Änderungen an zentraler Stelle an. In Koalitionskreisen hatte es zuvor geheißen, der Entwurf werde wohl nicht mehr geändert. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verteidigte ihren Gesetzentwurf gegen eine Welle von Kritik und Ablehnung.
Mit dem Gesetz will die Regierung die Macht von Spartengewerkschaften wie die der Lokführer (GDL) eindämmen. In Betrieben mit mehreren Tarifverträgen für gleiche Beschäftigtengruppen soll nur noch der Vertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gelten.
Darum geht es bei der geplanten Tarifeinheit
Kommen weite Teile des Verkehrs in Deutschland durch Streiks bei der Lufthansa und der Bahn zum Erliegen? Das drohende ungemütliche Szenario setzt die Bundesregierung unter Druck, das Treiben kleiner, aber durchsetzungsstarker Gewerkschaften einzudämmen. Kommt das Gesetz zur Tarifeinheit - und wenn ja, wird es überhaupt helfen? Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Quelle: dpa
Streiks in rascher Folge, Lähmung von öffentlichem Leben und Wirtschaft sollen erschwert werden. Die Debatte hatte durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes schon vor vier Jahren an Fahrt gewonnen. Die Richter stärkten Tarifvertrags-Vielfalt und Konkurrenz unter großen und kleinen Gewerkschaften. Der Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wurde hinfällig.
Mit Arbeitsniederlegungen können etwa Lokführer, Piloten oder Klinikärzte und ihre Spartengewerkschaften trotz teils rein zahlenmäßig kleiner Bedeutung große Störungen verursachen und hohe Abschlüsse durchsetzen. Dabei können chaotische Zustände eintreten. Zum Beispiel will die Bahn unbedingt vermeiden, dass es für Lokführer zwei Tarifverträge gibt - einen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und einen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Nachdem die GDL auch für das übrige Zugpersonal Forderungen erhebt, will die EVG im Gegenzug auch für die ihr angehörenden Lokführer verhandeln.
Unmittelbar nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts forderten Arbeitgeber und DGB von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2010 eine Gesetzesänderung. Wenn sich in einem Betrieb die Geltungsbereiche mehrerer Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, sollte nur jener der dort größten Gewerkschaft gelten. Doch die ungewohnte Eintracht beider Seiten bröckelte - inzwischen lehnt der DGB eine Gesetzesregelung ab, falls damit eine Einschränkung der Tarifautonomie und des Streikrechts verbunden ist.
Im Moment liegt das Vorhaben auf Eis. Vor der Sommerpause wurde ein Eckpunktepapier von der Tagesordnung des Kabinetts genommen. Bedenken gibt es nicht nur beim DGB, sondern auch in der Unionsfraktion, nicht nur beim CDU-Abgeordneten Rudolf Henke, der auch Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist. Doch fallengelassen hat die Regierung die Pläne nicht. Ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) versicherte am Montag, man werde nach der Sommerpause darüber sprechen. Einen konkreten Termin könne er allerdings noch nicht nennen.
Laut den Eckpunkten soll Tarifpluralität aufgelöst werden - außer wenn die Gewerkschaften ihre Zuständigkeiten abgestimmt haben und die Tarifverträge für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten oder wenn sie inhaltsgleiche Tarifverträge abgeschlossen haben. Andernfalls soll nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb mehr Mitglieder hat. Auch die Minderheitsgewerkschaft hat dann Friedenspflicht.
Streikrecht und Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer könnten gefährdet werden, wenn die Regelungen wirklich wirkungsvoll sein sollen. Es könnte auch schwer zu ermitteln sein, welche die größte Gewerkschaft ist. „Sollen die Gewerkschaften alle ihre Mitgliederlisten offenlegen - und wem gegenüber?“, fragt Henke. Bereits angekündigte Klagen gegen die Gesetzespläne könnten zu Rechtsunsicherheit und langem Hickhack führen. Das Gesetz könnte zum zahnlosen Tiger werden.
Die Kritiker meinen, dann verliere die Minderheitsgewerkschaft Daseinsberechtigung und Streikrecht. Der Beamtenbund (dbb), die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und andere kleinere Gewerkschaften hatten deshalb Verfassungsklage angekündigt. Nahles entgegnete nun, Streiks kleiner Gewerkschaften würden durch das Gesetz nicht verboten. „Streikrecht und Koalitionsfreiheit tasten wir nicht an.“
Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling (CDU), setzte sich für eine Änderung des Entwurfs ein. Dabei geht es um eine vorgesehene Passage zur Verhältnismäßigkeit von Streiks. Nach der bisherigen Fassung wären Streiks künftig wohl generell nicht verhältnismäßig, wenn die Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmer im Betrieb hat. Schiewerling wandte ein: „Wenn eine große Gewerkschaft (...) sich nicht ernsthaft mit kleineren um den Betriebsfrieden kümmert (...), dann kann am Ende der Tage auch der kleinen Gewerkschaft der Streik nicht verboten werden.“
Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG
Die 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer gegründete GDL hat rund 34.000 Mitglieder. In ihr sind nach Gewerkschaftsangaben rund 80 Prozent der Lokführer bei der Deutschen Bahn und zahlreiche Zugbegleiter organisiert. Die GDL gehört dem Deutschen Beamtenbund an.
Die EVG entstand 2010 aus der Fusion von Transnet und GDBA und hat rund 210.000 Mitglieder. Die Vorgängerin Transnet wurde 1896 gegründet und gehörte zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Die 1948 gegründete Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter und Anwärter (GDBA) hatte Mitglieder aus allen Sparten von Bahn bis Bus. Sie gehörte dem Deutschen Beamtenbund an, kooperierte zuletzt aber in einer Tarifgemeinschaft mit Transnet.
Die Passage zur Verhältnismäßigkeit solle also überdacht werden. Schiewerlings Argument passt dazu, dass die Koalition nach eigenen Angaben die Gewerkschaften vor allem zu mehr Kooperation drängen will. „Wir werden nach einer Lösung suchen, sofern jetzt noch weitere Schritte notwendig sind“, sagte der CDU-Politiker.
Nahles argumentierte, das Recht für Arbeitnehmer, sich zusammenzuschließen, sei nicht allein ein Freiheitsrecht. Diese Zusammenschlüsse müssten das Arbeitsleben auch ordnen und befrieden. Deshalb gelte: „Unser Vorschlag ist verfassungsgemäß.“ Doch vor Gericht gebe es keine Sicherheit. „Das weiß jeder hier, auch ich.“
Die Opposition lehnte das Gesetz ab. Für Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst ist es „überflüssig wie ein Kropf - weil die bundesrepublikanischen Arbeitnehmer sowieso nicht viel streiken“. Die Grünen-Arbeitsexpertin Beate Müller-Gemmeke warnte vor ständigem Ringen um die Vorherrschaft der Gewerkschaften durch das Gesetz: „Durch die Tarifeinheit entsteht nicht Solidarität sondern Häuserkampf.“