An einem Sonntag Mitte März strahlt Robert Habeck mit der arabischen Sonne um die Wette. Der Bundeswirtschaftsminister ist gerade von seinem Besuch beim Emir von Katar zurückgekehrt. Nun steht er vor einem Luxushotel in Doha in der sengenden Hitze und verkündet, Zitat, „Großartiges“: eine langfristige Energiepartnerschaft mit Katar, nicht weniger als einen Durchbruch. Flüssigerdgas vom Golf, so genanntes LNG, soll Deutschland aus den Fängen Russlands befreien. Nimm das, Putin!
Zwei Monate später, beim WirtschaftsWoche-Interview im Mai, klingt der Grüne dann schon differenzierter. Nüchterner. Und vorsichtiger. Deutschland könne schon in diesem Winter unabhängig von russischem Gas sein, sagt er. Diese Prognose macht dann Schlagzeilen. Allerdings knüpft der Minister die Erfüllung dieser Hoffnung selbst an einige harte Bedingungen: „Wenn wir zum Jahreswechsel volle Speicher haben, wenn zwei der vier von uns angemieteten schwimmenden LNG-Tanker schon am Netz angeschlossen sind und wenn wir deutlich an Energie sparen, können wir im Fall eines Abrisses der russischen Gaslieferungen einigermaßen über den Winter kommen“, sagt Habeck eben auch. Wenn, wenn, wenn.
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Und gerade sieht es eher so aus, als ginge der Plan nicht auf. Die vielen Risiken drohen sich zu materialisieren, die Chancen schwinden. Dem Standort Deutschland droht akute Energiearmut. Dass Russland seit einigen Tagen unter fadenscheinigen Argumenten den Gasfluss über die Pipeline Nord Stream 1 drosselt, ist wohl nur der Anfang. Die Speicher können seitdem jedenfalls nicht in dem Tempo befüllt werden wie erhofft, die nötigen Mengen müssen erst anderweitig (und extrem teuer) beschafft werden.
Diese Länder haben einen Alarm bei der Gaslieferung ausgesprochen
In Deutschland galt seit Ende März die Frühwarnstufe und damit die erste Eskalationsstufe des Notfallplans Gas. Dieser sieht als zweiten Schritt die Alarm- und als dritten die Notfallstufe vor. Am 23. Juni wurde die Alarmstufe ausgerufen.
Würde die dritte Stufe ausgerufen, würde die Bundesnetzagentur in den Markt eingreifen und entscheiden, ob und wieviel Gas an Haushalte, Industrie und Gewerbe geliefert werden.
Österreich hat wie Deutschland die Frühwarnstufe im Gas-Notfallplan ausgerufen. Die Alarmstufe zu erhöhen ist nach Angaben des Regulators E-Control derzeit nicht notwendig. „Im Moment ist es so, dass auch mit den reduzierten Mengen der Verbrauch gedeckt werden kann und auch eingespeichert werden kann pro Tag“, sagte Carola Millgramm, die Leiterin der Gasabteilung der E-Control, am 21. Juni der Nachrichtenagentur Reuters.
Betroffen von einer Drosselung seien die Gasflüsse über die Ostsee-Pipeline Nord Stream. Die Importe über den Gashub Baumgarten in Niederösterreich seien stabil, erklärte die Austrian Gas Grid Management (AGGM), die für das Management der internationalen Gastransitleitungen zuständig ist, in ihrem Lagebericht.
Die Niederlande befindet sich in der ersten Phase einer Gaskrise, warnte Energieminister Rob Jetten am 20. Juni. Russland hatte bereits im Mai die Lieferung von Gas gestoppt. Jetzt kurbelt das Land die Produktion der Kohlekraftwerke erneut an. Es gebe zwar noch keinerlei Engpässe. Doch durch Russlands Entscheidung, die Gaslieferungen in europäische Länder zu stoppen oder stark zu reduzieren, könne sich die Lage schnell verschlechtern. Der Minister rief Bürger und Betriebe dringend auf, so viel Energie wie möglich zu sparen.
Dänemark hat am 20. Juni eine Warnung ausgesprochen. Das Land erhält bereits kein Gas mehr aus Russland.
Schweden hat am 21. Juni für Teile des Landes die erste von drei Alarmstufen wegen möglicher Probleme bei der Gasversorgung aus Russland ausgerufen. Die Stufe gilt laut Energiebehörde für Landesteile im Westen und Süden Schwedens, um sich auf potenzielle Liefer-Unterbrechungen vorzubereiten.
Gleichzeitig warnt Timm Kehler, Vorstand des Verbandes Zukunft Gas, nun auch noch via „Bild“-Zeitung vor Verzug beim Aufbau der nötigen LNG-Terminals an der deutschen Küste. Anschluss noch bis zum Jahreswechsel? Aus seiner Sicht ziemlich wacklig. Und überhaupt: Wann genau wie viel LNG aus Katar nach Deutschland fließen wird, bleibt bisher offen. Der entschlossene Handelsreisende Habeck, der in den Emiraten noch mit vollem Einsatz den Türöffner gab und politisch flankierte, verweist nun auf die konkreten Verhandlungen der beteiligten Energiekonzerne.
Habeck, das ist unzweifelhaft, kämpft. Sollte er bisweilen Angst vor der eigenen Courage haben, mit der er Woche für Woche neue Gesetze an neue Verordnungen und neue Notfallpläne reiht, zeigt er sie nicht. Doch von Anfang an beruhte die Operation Unabhängigkeit auf einer unausgesprochenen Voraussetzung: Dass Wladimir Putin durch konstante Gaslieferungen letztlich dabei zusehen und so mithelfen würde, wie sich Deutschland Tag für Tag ein bisschen mehr von seinem Stoff abnabelt. Wenn es schlecht läuft, hat der russische Machthaber jetzt genug gesehen.
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