Gefahr für wichtigen Wirtschaftszweig Warum die Tourismusbranche einen Rettungsring braucht

Anja Karliczek war bis 2021 Bundesministerin für Bildung und Forschung, jetzt ist sie tourismuspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Quelle: imago images

Corona, Fachkräftemangel, Inflation: Hotels und Gaststätten steckten schon vor dem Krieg in der Ukraine in der Krise. Die Rekordpreise für Energie bedrohen nun ihre Existenz. Vier Punkte für die Zukunft der Tourismuswirtschaft. Ein Gastbeitrag.

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Tourismus prägt unser Land, unsere Städte und Dörfer. Er ist Voraussetzung für die Begegnung von Menschen. Doch einen funktionierenden Tourismus made in Germany gibt es nicht zum Nulltarif.

Corona traf die deutsche Tourismusbranche mit voller Wucht. Bis 2022 summierte sich der Umsatzausfall im Bereich Tourismus auf 99 Milliarden Euro, fast die Hälfte der staatlichen Coronahilfen gingen an diese beschäftigungs- und umsatzintensive Branche. Die Bundesregierung wusste, dass ohne diese großzügige Hilfe ganze Strukturen wegbrechen würden – und zwar unwiderruflich.

Genau vor dieser Gefahr steht der wichtige Wirtschaftszweig mit seinen knapp drei Millionen Beschäftigten nun erneut. Doch dieses Mal bringt sie nicht das Virus, sondern die explodierende Inflation. Ein Beispiel, wie dramatisch die Lage ist: Ein durchaus anspruchsvolles Hotel, 120 Zimmer, modernisiert, energetisch auf dem neuesten Stand, fürchtet nach Auslaufen seines Energievertrages zum Ende des Jahres Mehrkosten von 150 000 Euro. Diese Belastung auf den Gast umzulegen gelingt vielleicht, wahrscheinlich ist es nicht angesichts der Teuerung auch in anderen Lebensbereichen. Umso wichtiger wäre es deshalb jetzt, die gleiche Stringenz und Konsequenz zu zeigen wie in der Pandemie, um die Tourismuswirtschaft über die Krise zu bringen. Vier Punkte sind für die Rettung zentral:

Zur Person

1. Die Sieben-Prozent-Regel: Wir brauchen die dauerhaft gesenkte Mehrwertsteuer auf Speisen in gastronomischen Betrieben. Die Ampelkoalition lehnt das aber ab, sie will lediglich die gegenwärtig bis Ende 2022 geltende Absenkung auf sieben Prozent um ein Jahr verlängern. Doch die Betriebe, das sind vor allem kleinere und mittlere Restaurants, Cafés und Kneipen, brauchen Planungssicherheit. Geschieht das nicht, sind diese Strukturen weg. Das Restaurant auf dem Land, die Kneipe im Dorf werden schließen. Dauerhaft.

2. Booster statt Bürokratie: Die Betriebe brauchen Luft zum Atmen. Dies gilt für Flughäfen, die in diesem Sommer die Menschen zum Verzweifeln gebracht haben. Kofferchaos, lange Warteschlangen am Terminal, gestrichene Flüge. Die Ampelregierung versprach 2000 türkische Hilfskräfte. Doch durch das Zögern und Zaudern der Minister Nancy Faeser, Hubertus Heil und Volker Wissing verging erst viel Zeit, dann wurde das Genehmigungsverfahren für die Anwerbung so kompliziert gestaltet, dass die Fluglinien und Flughäfen abwinkten. Am Ende haben 32 Aushilfskräfte ein Visum beantragt. 32 von 2000. Sollte dieses bürokratische Vorgehen auch bei der energetischen Sanierung der Betriebe zur Regel, dann werden viele Hotels und Gaststätten auf der Strecke bleiben.

Olaf Kerssen ist Hotelier im Teutoburger Wald. Seine Schwester ist die Ex-Bundesministerin und CDU-Politikerin Anja Karliczek. Sie fordert einen Rettungsring für den Tourismus. Ihr Bruder hat seine eigenen Krisen-Pläne.
von Volker ter Haseborg

3. Mit Flexibilität gegen Fachkräftemangel: Der Fachkräftemangel wächst sich aktuell zu einem existenzbedrohenden Problem aus. Ungünstige Arbeitszeiten abends oder auch am Wochenende, nicht allzu üppige Bezahlung, all das ließ gerade junge Leute einen Bogen machen um die Berufe Restaurantfachfrau, Koch oder Busfahrerin. Corona hat diesen Mangel verschärft. Viele Beschäftigte sind in krisensichere Arbeitsverhältnisse abgewandert. Gekürzte Öffnungszeiten für Restaurants, gestrichene Zusatzangebote in Hotels und ausgedünnte Fahrpläne sind die Folge. Natürlich ist die Branche selbst aufgerufen, mehr junge Leute für die Ausbildung zu begeistern sowie ein flexibles und wertschätzendes Arbeitsklima zu schaffen. Aber auch die Bundesregierung muss flexible Ansätze verfolgen. Ein Beispiel: Warum hat die Bundesregierung nicht Überstunden, die für das Sicherheitspersonal an Flughäfen in der Sommer- und Ferienzeit anfielen, steuerfrei gestellt. Kein schlechter Anreiz, für den es kein kompliziertes Genehmigungsverfahren gebraucht hätte. Chance vertan.

4. Lernen von den Schweizern: Wir brauchen mehr Investitionen in die Werbung für Deutschland als Tourismusziel. Ausländische Gäste kommen gern zu uns. Schloss Neuschwanstein, der Kölner Dom, Weimar, die Liste der Ziele, die gerade für Touristen aus Asien oder Amerika attraktiv sind, ist lang. Allein, sie kommen aktuell nicht. Für Amerikaner ist Krieg in Europa. Sie reisen lieber woanders hin. Deshalb müsste eigentlich die für die Auslandswerbung zuständige Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) mehr Mittel bekommen. Die Ampel aber will die jährlichen Mittel um knapp fünf Millionen Euro kürzen – während Länder wie Frankreich und Österreich, die touristisch im Wettbewerb zu Deutschland stehen, gerade ihre Finanzmittel erhöhen. Und im Nachbarland Schweiz? Da belaufen sich die Pro-Kopf-Ausgaben für die Auslandsvermarkung auf knapp sechs Euro. Deutschland knausert sich zu 0,47 Cent pro Kopf.

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Wer glaubt, dass die Zeiten von allein wieder so gut werden wie vor Corona oder Russlands Krieg in der Ukraine, der irrt sich. Der deutsche Tourismus als Wirtschaftszweig braucht Unterstützung, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und das ist nicht allein eine Frage des Geldes – sondern auch des Willens. Aber den hat die Ampel offensichtlich nicht, wie sie mit ihrem Zögern zeigt.

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