Gefahr neuer Krisen-Eskalation CDU-Experte warnt vor Ausfall von Staatsanleihen

Dass Banken in ihren Bilanzen für Staatsanleihen kein Eigenkapital vorhalten müssen, ist nicht ohne Risiko. Die Politik hat das erkannt. Doch eine schnelle Lösung schiebt sie auf die lange Bank.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Eine italienische Ein-Euro-Münze. Quelle: dpa

Berlin Der Haushaltsexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Klaus Peter Willsch, sieht in Staatsanleihen mehrerer Euro-Länder ein erhebliches Risiko für Banken. „Dass das Ausfallrisiko von Staatsanleihen der Peripherieländer politisch auf null definiert wird, ist ökonomisch falsch“, sagte Willsch Handelsblatt Online. „Zwar verschwindet kein Land von der Landkarte, wie ein Unternehmen einfach aus dem Handelsregister gelöscht wird.“ Die Werthaltigkeit einer Forderung gegen einen Staat hänge aber gleichwohl von der Fähigkeit und der Bereitschaft zur Rückzahlung der Schulden ab.

„An beidem muss man bei mehreren Ländern der Euro-Zone erhebliche Zweifel haben“, unterstrich der CDU-Politiker. „Ein überdimensionierter Bestand an Forderungen der Banken gegen diese Länder stellt dann ein erhebliches Klumpenrisiko in den Bilanzen der entsprechenden Geschäftsbanken dar.“

Willsch unterstützt daher einen Vorschlag von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der eine Obergrenze für das Engagement einzelner Banken gegenüber staatlichen Schuldnern gefordert hatte. „Wertmäßige Obergrenzen wären eine schnelle Lösung zur Einzäunung dieser Gefahren“, sagte Willsch. „Mittel- und langfristig müssen Staatsanleihen einer risikoadäquaten Eigenkapitalunterlegungspflicht unterworfen werden.“

Politiker von FDP und SPD plädieren ebenfalls für ein Ende der Sonderbehandlung von Staatsanleihen in den Bilanzen. „Die Eigenkapitalhinterlegung von Staatsanleihen nach Risikogewicht wurde bereits im Rahmen der Basel III-Verhandlungen diskutiert und wird wohl in Zukunft – nach Stabilisierung der europäischen Krisenländer - wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden“, sagte die Vorsitzende der Bundestags-Finanzausschusses, Birgit Reinemund, Handelsblatt Online. „Mitten in der jetzigen Staatsschuldenkrise dies zu erzwingen, hätte eine stark krisenverschärfende Wirkung, was niemand wirklich wollen kann.“

Der SPD-Haushälter Carsten Schneider sagte: „Über die Frage der Risikogewichtung von Staatsanleihen kann bestenfalls langfristig gesprochen werden, da überstürzte Schritte hier krisenverschärfend wirken.“ Die Rettungsschirme in Europa seien ja gerade dazu errichtet worden, um den Zahlungsausfall eines Landes zu vermeiden.


DIW-Experte: Erhöhtes Risiko einer Zwillingskrise

Dessen ungeachtet sieht Schneider das Risiko einer erneuten Krisen-Eskalation angesichts der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht gebannt. „Die großzügige Liquiditätsversorgung der EZB für die Banken wird ein Problem, wenn damit strukturelle Probleme bei den Banken zugedeckt werden“, sagte er. Deshalb sei die bevorstehende Bankenunion auch nicht zustimmungsfähig, ohne das es ein wirksames Bankenabwicklungsregime gebe, das dann auch angewendet werde. Das habe oberste Priorität. „Zudem dürfen Banken nur in das neue Aufsichtssystem aufgenommen werden, wenn sie sich zuvor einen Stress-Test unterzogen haben und ihre Bilanzen bereinigt wurden.“

Reinemund erklärte, natürlich könne die expansive Geldpolitik der EZB nur eine „temporäre Stabilisierungsmaßnahme“ darstellen. Die Geldmenge müsse mittelfristig wieder reduziert werden. Genau dies habe aber EZB-Präsident Mario Draghi bei seinem Besuch im Bundestag als Ziel genannt. Streiten könne man sicher über die Definition, wie „kurzfristig“ zu definieren sei, sagte die FDP-Politikerin. Doch die EZB sei in ihren Entscheidungen unabhängig. „Bisher wirkt die Geldpolitik der EZB in der Krise durchaus stabilisierend“, betonte Reinemund. Anzeichen für Zwillingskrisen, bei der sich Banken- und Schuldenkrise gegenseitig verstärken, sehe sie derzeit nicht.

Demgegenüber gab CDU-Haushälter Willsch unter Hinweis auf wissenschaftliche Untersuchungen namhafter Ökonomen zu bedenken, dass Bankschulden- und Staatsschuldenkrisen häufig parallel bzw. nacheinander aufträten. „Die Billion Euro, die die EZB Ende letzten und Anfang diesen Jahres in zwei 500 Milliarden-Tranchen rausgehauen hat, auf drei Jahre zu 1 Prozent Zins, dürften in der Tat überwiegend zur eigentlich verbotenen monetären Staatsfinanzierung genutzt worden sein“, sagte Willsch.

Auch der Makroökonomie-Experte Sören Radde vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht in der expansiven EZB-Krisenpolitik ein erhöhtes Risiko für eine Zwillingskrise. „Bereits jetzt sollten alle Rettungsmaßnahmen in hilfsbedürftigen Euroländern darauf angelegt sein, die wechselseitige Abhängigkeit von Staaten und Banken nicht zu verstärken“, sagte Radde im Interview mit Handelsblatt Online. „In diesem Zusammenhang sehen wir insbesondere die Politik der EZB kritisch, den Bankensektor über kurzfristige Stabilisierungsmaßnahmen hinaus strukturell mit Liquidität in unbegrenztem Maße zu versorgen.“ Gerade spanische und italienische Banken hätten diese Liquidität in der Vergangenheit dazu genutzt, in heimische Staatsschuldentitel zu investieren. „Auf diese Weise hat man die Anfälligkeit für Zwillingskrisen erhöht.“


Auch Deutschland vor Ansteckung nicht gefeit

Nach Raddes Einschätzung könnte auch Deutschland in den Sog einer solchen Krise geraten. Bislang beschränke sich das Risiko einer Zwillingskrise auf die von der Staatsschuldenkrise betroffenen Peripherieländer. „Die Herabstufung der Bonität des Euro-Rettungsschirms ESM aufgrund der geringeren Kreditwürdigkeit Frankreichs ist allerdings ein erster Warnschuss, dass auch die Kernländer des Euroraums nicht vor diesem Schicksal gefeit sind“, sagte der DIW-Ökonom. „Insbesondere die Belastungen aus den Hilfsprogrammen könnten im schlimmsten Fall auch für Länder wie Frankreich und Deutschland zu groß werden.“

Radde hält es vor diesem Hintergrund für einen Fehler, dass Banken Staatsanleihen bisher nicht mit Eigenkapital unterlegen müssen. „Durch die Privilegierung von Staatsanleihen der EU-Mitgliedsstaaten in der Bankenregulierung entsteht ein Fehlanreiz“, sagte der Ökonom. „Dieser führt dazu, dass Banken über die Maßen in europäische Staatsanleihen investieren, und zwar insbesondere in die des eigenen Heimatstaates.“ Zum Problem werde dies in Staatsschulden- oder Bankenkrisen. „Dann wächst sich die Krise in einem Bereich nämlich schnell zu einer Zwillingskrise aus, die sowohl den Staat als auch den Bankensektor betrifft.“ Drohende Bankeninsolvenzen veranlassten dann den Heimatstaat zu Stützungsmaßnahmen, die ihrerseits die Schuldentragfähigkeit des Staates gefährden können.

Radde plädiert daher auch für eine Art Großkreditbeschränkung für das Engagement einzelner Banken gegenüber staatlichen Schuldnern. Derzeit mache die Regulierung hier noch eine Ausnahme. Diese führe dazu, dass beispielsweise im deutschen Bankensektor das durchschnittliche Verhältnis von deutschen Staatsanleihen zum Eigenkapital bei 165 Prozent liegt. „Die Übertragung einer Obergrenze für heimische Staatsanleihen würde diese Exposure also stark begrenzen und damit effektiv zum Abbau der beschriebenen Abhängigkeiten beitragen“, sagte der DIW-Experte.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%