Deutschlands Kampf gegen Geldwäsche ist schlecht organisiert, die Resultate sind bestenfalls dürftig. Kriminellen gelingt es deshalb Jahr für Jahr, Milliarden Euro aus Straftaten in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. An diesem Großproblem hat die oberste Anti-Geldwäsche-Behörde einen nicht unerheblichen Anteil: die Financial Intelligence Unit, kurz FIU. Der Behördenchef Christof Schulte sollte jetzt Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Ein solcher Schritt ist längst überfällig – im Sinne der Geldwäschebekämpfung, der FIU und ihrer Mitarbeiter. Und wenn Schulte nicht selbst zurücktritt, muss das für die FIU zuständige Bundesfinanzministerium unter Christian Lindner seiner Aufsicht gerecht werden und diese Entscheidung treffen.
Drei Gründe machen den Rücktritt der FIU-Führung notwendig. Erstens: Die FIU handelt gesetzeswidrig. Sie schafft es seit Jahren nicht, ihren gesetzlichen Auftrag vollumfänglich zu erfüllen. Dieser sieht vor, dass die FIU Geldwäscheverdachtsmeldungen von Banken und anderen Unternehmen unverzüglich analysiert und einschlägige Fälle an Polizei und Staatsanwaltschaften weiterleitet. Doch regelmäßig wird bekannt, dass die FIU tausende Verdachtsfälle nicht bearbeitet. Erst vor wenigen Wochen wurde erneut bekannt: Bei ihr haben sich mehr als 100.000 nicht abschließend geprüfte Geldwäschemeldungen angestaut. Aus diesem Grund ermittelt die Staatsanwaltschaft Osnabrück bereits seit 2020 in Sachen FIU wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt.
Es mangelt an einer klaren Strategie
Die Probleme der Behörde rechtfertigen sogar einen weiteren Vorwurf: Ihr Versagen ist Beihilfe zur Geldwäsche durch Unterlassen. Jedenfalls würde so der Vorwurf gegen Banker lauten, die Geldwäscheverdachtsfälle melden müssen, dieser Pflicht aber nicht nachkommen. In diesen Fällen werden sehr konsequente Maßnahmen eingeleitet: Bußgelder, Sonderprüfungen, Geschäftsbeschränkungen, Rücktritte, Durchsuchungen, sogar Untersuchungshaft. Diese Konsequenz muss doch erst recht für die vordergründig wichtigste und zentrale staatliche Institution zur Geldwäschebekämpfung gelten.
Über den Gastkommentator
Thomas Seidel ist Gründer der gemeinnützigen Organisation Antifinancialcrime.org: Die Denkfabrik setzt sich dafür ein, dass Deutschland Geldwäsche, Finanzkriminalität und Terrorismusfinanzierung besser bekämpft. Zuvor arbeitete er unter anderem beim Bundeskriminalamt und in den Compliance-Abteilungen der Commerzbank und Deutschen Bank. Zurzeit ist er als Berater tätig.
Die FIU-Führung muss noch aus einem zweiten Grund zurücktreten: Bei der Behörde lässt sich Organisationsversagen konstatieren. Abermals hilft ein Vergleich mit Banken, um diesen Vorwurf zu verstehen: Geldhäuser (und andere Unternehmen) müssen sich laut Gesetz so organisieren, dass ihre Mitarbeiter Geldwäscheverdachtsfälle unverzüglich bearbeiten. Andersfalls stellen die Aufsichtsbehörden wie die Finanzaufsicht BaFin regelmäßig Organisationsversagen fest. Das heißt: Eine Bank weist derart gravierende Mängel auf, dass sie nicht mehr garantieren kann, ihre gesetzlichen Aufgaben noch erfüllen zu können. Ein Geldhaus muss diese Mängel dann schnellstmöglich abstellen.
Die Behördenleitung verwaltet bloß die Mängel
Es ist offensichtlich, dass bei der FIU ein solches Organisationsversagen vorliegt. Es türmen sich die Probleme, die es der Behörde unmöglich machen, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen: Es mangelt an ausreichend qualifiziertem Personal, an der IT-Ausstattung, an sachgemäßen Bearbeitungsprozessen, an Transparenz, an Datenzugriffen, ja an einer klaren Strategie. Für diese Probleme sind nicht die Mitarbeiter, sondern die FIU-Führung verantwortlich.
Die Behördenleitung scheint sich aber primär damit zu beschäftigen, die Mängel zu verwalten und die Verantwortung dafür von sich zu weisen, anstatt sich dem Kampf gegen Geldwäsche zu widmen. Zudem gewinnt man den Eindruck, dass die FIU-Führung den höchst umstrittenen und vielleicht sogar rechtswidrigen „risikobasierten“ Analysefilter für Geldwäscheverdachtsfälle eingeführt hat, um unter diesem Deckmantel ihre Versäumnisse zu rechtfertigen.
Die Mitarbeiter brauchen einen Neustart
Die FIU-Führung muss noch aus einem dritten Grund zurücktreten: Sie schuldet der Behörde und ihren Mitarbeitern ihren Rücktritt. Es ist nicht schön, wenn man in Unternehmen oder Behörden arbeitet, die permanent in der Kritik stehen. Diese Situation ist erst recht belastend, wenn man seiner Aufgabe engagiert nachgeht. Folglich verschlechtert sich die Motivation der Mitarbeiter; ich weiß das, weil ich mehrere Jahre in der Compliance-Abteilung der Deutschen Bank gearbeitet habe. Es ist also im Sinne der FIU-Mitarbeiter, dass die Behördenleitung ihnen einen Neustart ermöglicht. Die Aufgabe der FIU ist einfach zu wichtig, als dass ihre Arbeit durch inkompetente Führung und Organisation erschwert wird.
Herr Lindner und sein Bundesfinanzministerium haben Ende August verkündet, eine neue Bundesbehörde aufbauen zu wollen, um die Finanzkriminalität zu bekämpfen. Die FIU soll neben dem neuen Bundesfinanzkriminalamt Teil dieser neuen Bundesbehörde werden. Von einem Paradigmenwechsel in der Geldwäschebekämpfung und Mut zum großen Wurf war damals die Rede. Diesem Anspruch kann das Bundesfinanzministerium nur gerecht werden, wenn sich die bereits bestehenden Behörden gesetzeskonform verhalten, für die das Ministerium schon verantwortlich ist. Es wäre der FIU und ihren Mitarbeitern zu wünschen, dass diese wichtige Behörde mit einer neuen Führung, einem klaren Plan und ohne den Ballast der vergangenen Jahre Teil dieses unbedingt notwendigen Paradigmenwechsels wird.
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