Genossenschaften Große Begeisterung für die Kiez-Kapitalisten

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Die Mittelschicht macht´s

Olaf Kretschmar, Vorsitzender der Berlin Music Commission

Zu Jahresbeginn allerdings gab eine Freiburger Genossenschaft mit ähnlichen Plänen auf: Die „Energie in Bürgerhand“ wollte einen Teil des Energieversorger Thüga übernehmen und ihn grüner machen. Die Gruppe hatte seit 2009 bis zu acht Millionen Euro eingesammelt. Doch auch der Einstieg in verschiedene Stadtwerke klappte nicht wie geplant. So musste das Geld zurück an rund 5000 Bürger fließen.

Die Wir-Kapitalisten präsentieren sich als aufrechte Bürger der Mittelschicht, die das Gemeinwohl, aber eben auch die Geldbörse im Blick haben. Auf dem Prinzip bauen schon seit Jahrzehnten etablierte Firmen auf: Die Lebensmittelhändler von Edeka ebenso wie das Softwarehaus Datev, das Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Anwälte unterstützt. Knapp 40 000 Mitglieder hat der Nürnberger IT-Spezialist und mehr als 6000 Mitarbeiter.

Aber auch die dynamische Berliner Musikwirtschaft profitiert von diesem Prinzip. In einer sehr zersplitterten Szene hat sich unerwartet eine Genossenschaft etabliert – die Berlin Music Commission (BMC). Olaf Kretschmar ist „Dompteur“ der Truppe, wie er sich ironisch nennt. Früher betrieb er unter anderem den legendären Berliner Club Delicious Doughnuts Research. „Die » » Musikbranche steckt in einem tief greifenden Umbruch“, sagt er. Mit der Digitalisierung brächen Geschäftsmodelle weg und neue entwickelten sich. Auch gebe es für Popkultur kaum öffentliches Geld, das bekomme die Klassik-Konkurrenz.

Musiker, kleine Labels, Clubs oder Pop-Veranstalter seien oft überfordert. „Viele in der Branche arbeiten im Selfmade-Modus: Ich gegen den Rest der Welt.“ Und scheitern immer wieder, weiß der 49-Jährige. Das kehrt die BMC um. „Wir sind ein Netzwerk, das Kooperation statt Konkurrenz schafft“, ist Kretschmars Ansage. Er vernetzt die Musikmacher, damit sie größere Aufträge ergattern und bekannter werden.

Netz der Kreativen

Nach dem Vorbild der Berlin Fashion Week hat das Netzwerk die Berlin Music Week etabliert, die Publikum von weit anzieht. Es bringt den Kreativen Betriebswirtschaft und Buchhaltung nahe. Die Genossenschaft sei ideal, um ein Netz der Kreativen zu knüpfen und zu festigen, findet Kretschmar. Jeder könne leicht Mitglied werden, aber auch wieder aussteigen.

Allerdings kann sich die Berlin Music Commission nicht durch Erlöse ihrer Aktivitäten tragen. Die Mitglieder zahlen 600 bis 900 Euro Beitrag im Jahr. Das schrecke nicht ab, immerhin vereine das Netzwerk etwa 400 Unternehmen, so der Musikmanager. „Der Mehrwert dieser Genossenschaft bemisst sich nicht nur finanziell.“

Während Kretschmar Geschäfte für eine dynamische Branche erschließt, kämpfen die Bürger im Flecken Nörten-Hardenberg bei Göttingen gegen das Schrumpfen. Als die Gemeinde das Defizit des Hallenbades nicht mehr tragen konnte, übernahmen sie es 2006 selbst. Der Trick: Das Bad gehört der Gemeinde, eine Bürgergenossenschaft betreibt es. Das spart Steuern.

Länger offen - mehr Service

Die Genossenschafter organisieren das Bad ehrenamtlich. 300 Mitstreiter haben eine Einlage für das Hallenbad gezeichnet. Badeprofis wie der Schwimmmeister wurden zu bescheideneren Bedingungen neu angestellt. „Das ist unser Bad, das gehört uns“, sagt Heinz-Werner Radeck stolz. Er ist Aufsichtsrat und war Bürgermeister. Inzwischen hat das Bad länger offen und bietet mehr Service. Ein Blockheizkraftwerk und eine Solaranlage drücken die Betriebskosten. „Es hat funktioniert, aber zu Beginn mussten wir auf der Straße um Vertrauen und den guten Willen der Leute werben.“

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