
Berlin Die Karlsruher Richter haben am Freitag das neue Geheimgremium des Bundestages zur Kontrolle des 440-Milliarden-Rettungsschirms gestoppt. Bis zur Entscheidung über eine Klage von zwei SPD-Abgeordneten muss das Bundestagsplenum über die deutsche Beteiligung an EFSF-Hilfen entscheiden - auch über geheime wie Staatsanleihenkäufe, die damit faktisch unmöglich würden. Noch ist der EFSF nicht scharf geschaltet. Schon im Dezember könnte es aber zu Problemen kommen, wenn ein Euro-Land Hilfe braucht.
Mit der Einstweiligen Anordnung verhindert das Gericht, dass die Kläger vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Denn die Entscheidungen des Gremiums hätten nicht rückgängig gemacht werden können. Der neunköpfige Ausschuss war am Mittwoch vom Plenum gewählt worden und hätte sich am Freitag konstituieren sollen. Wie die Richter in der Sache urteilen werden, lässt sich aus der Anordnung nicht ablesen. Eine Gerichtssprecherin sagte, sollten die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichten, werde ein Urteil noch vor Weihnachten gesprochen.
Bis dahin fallen die Beteiligungsrechte des Bundestags auf das Plenum mit seinen 620 Abgeordneten zurück. Geheimsitzungen des Bundestages seien unmöglich, sagte der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke: „Das Instrument Sekundärmarktkäufe ist erst einmal tot.“ Würden Marktteilnehmer vorab von Zeitpunkt und Umfang von Staatsanleihenkäufen an Börsen erfahren, würde deren Wirkung verpuffen. Bisher hatte die Europäische Zentralbank immer wieder zugunsten von Schuldenstaaten am Markt eingegriffen, um die Zinsen zu drücken und für ausreichend Liquidität zu sorgen.
Die Organklage und den Eilantrag hatten am Donnerstag die SPD-Abgeordneten Swen Schulz und Peter Danckert eingereicht. Sie sehen sich durch die Übertragung der parlamentarischen Haushaltsverantwortung auf das geheim tagende Gremium in ihrem Abgeordnetenstatus verletzt. Dem Gremium gehören Vertreter aller fünf Fraktionen an. Es sollte über eilbedürftige und vertrauliche EFSF-Hilfen befinden. Damit wäre ihm eine große Macht zugefallen, denn die Entscheidungen im EFSF-Direktorium müssen unter den 17 Euro-Ländern einstimmig gefällt werden. Ohne grünes Licht des Gremiums wäre der EFSF blockiert gewesen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte, noch sei keine Entscheidung über eine Verfassungswidrigkeit gefallen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, versicherte: „Der Deutsche Bundestag wird dafür sorgen, dass bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Handlungsfähigkeit Deutschlands und die Handlungsfähigkeit des europäischen Fonds jederzeit sichergestellt sind.“ Notfalls könne das Bundestagsplenum auch kurzfristig zusammenkommen.
SPD und Grüne sehen sich bestätigt
Die SPD sah ihre ursprünglichen Vorbehalte gegen das Neuner-Gremium bestätigt. „Die Koalition hat die Bedenken der SPD gegen das Gremium beiseite gewischt, jetzt kommt die Quittung aus Karlsruhe“, sagte ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann. Seine Fraktion wolle das Gesetz ändern. Die SPD-Fraktion hatte der jetzigen Fassung letztlich zugestimmt.
Der Haushaltsausschuss berief nach dem Urteil eilig eine Sondersitzung ein, um über Konsequenzen und Auswege zu beraten. Erwogen wurde etwa, geheime Entscheidungen auf den Ausschuss zu übertragen. Zunächst herrschte aber vor allem Ratlosigkeit. Die Abgeordneten baten Lammert um Vorschläge, wie bis zum Urteil in eiligen und vertraulichen EFSF-Fällen verfahren werden solle.
Die Grünen-Fraktion erklärte, die Einstweilige Anordnung unterstütze ihre Forderung, dass wichtige Entscheidungen durch das Bundestagsplenum offen und transparent getroffen würden. Der Unionspolitiker Altmaier sagte, er hoffe, dass die Richter zügig urteilten und eine monatelange Diskussion vermieden werde. Für die 440 Milliarden Euro des EFSF bürgt Deutschland mit 211 Milliarden Euro. Linken-Chefin Gesine Lötzsch sagte, über solche riesige Summen sollten nicht neun Menschen entscheiden. Das habe nichts mit Demokratie zu tun.
Aktuell hätte in dem Gremium noch nichts entschieden werden müssen. Die Leitlinien des Rettungsschirms sollen erst im November von den Euro-Finanzministern fertiggestellt werden. Darin ist auch die umstrittene Hebelung der EFSF-Milliarden geregelt, auf die sich der Euro-Gipfel Mittwoch geeinigt hatte. Der Schuldenschnitt in Griechenland, der Hilfsmaßnahmen des EFSF nötig machen dürfte, ist erst für Anfang 2012 geplant.
Damit hängt alles davon ab, wie zügig die Richter über die Klage entscheiden. Am Finanzmarkt wurde die Anordnung gelassen aufgenommen. „Die Deutschen machen schon seit einiger Zeit Probleme“, sagte Guillaume Menue, Analyst bei Citigroup. Bis der EFSF arbeiten könne, seien noch einige Hürden zu nehmen.