Gesichtserkennung im Testlauf Mit Hightech-Kameras gegen das Verbrechen

Am Berliner Bahnhof Südkreuz startet am Dienstag ein Pilotprojekt, das die Videoüberwachung in Deutschland verändern könnte. Bundesinnenminister de Maizière ist begeistert. Doch vor dem Bahnhof formiert sich Protest.

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Bodenaufkleber weisen auf Erkennungsbereiche zur Gesichtserkennung hin. Quelle: dpa

Berlin Im Berliner Bahnhof Südkreuz hängen neuerdings drei kleine Kameras in unscheinbaren weißen Gehäusen. Das einzig auffällige an ihnen sind die vierreihigen nach oben abstehenden Taubenabwehrgitter. Allerdings sind es nicht die handelsüblichen Kameras, die bereits viele Bahnhöfen und Züge überwachen. Diese Videokameras können deutlich mehr. Mithilfe biometrischer Gesichtserkennungssoftware sollen sie in Zukunft in der Lage sein, die Verbrechensbekämpfung zu verbessern und die Aufklärung zu beschleunigen.

Bis es allerdings soweit ist, will die Bundespolizei in Kooperation mit dem Bundesinnenministerium, der Deutschen Bahn und dem Bundeskriminalamt die Hightech-Kameras am Berliner Bahnhof Südkreuz ein halbes Jahr testen. Innenminister Thomas de Maizière scheint allerdings schon jetzt Feuer und Flamme für die neue Technologie zu sein, die er am 24. August höchstpersönlich am Bahnhof Südkreuz unter die Lupe nehmen will. „Durch den Einsatz intelligenter Gesichtserkennungssysteme können zukünftig wesentlich bessere Ergebnisse für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger erzielt werden“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums. Es freue ihn sehr, dass am Bahnhof Südkreuz jetzt unter realen Bedingungen getestet werde, was auf Grundlage der heute vorhandenen Technik möglich sei.

Diese Begeisterung kann die Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff, nicht wirklich teilen. „Das Pilotprojekt der Bundespolizei ist für sich genommen noch nicht als schwerwiegender Eingriff zu sehen“, heißt es in einer Erklärung der Bundesbehörde. Es ändere aber nichts an den grundsätzlichen Bedenken gegen die automatisierte Gesichtserkennung. „Es stellt sich schon die Frage, mit welchen Datenbeständen der Abgleich der Videobilder erfolgen soll.“

Diese Frage konnte Jens Schobranski, Pressesprecher der Bundespolizei der Polizeidirektion Berlin, der am Bahnhof das Projekt erläuterte, auch nicht beantworten. „Noch kann ich nicht sagen, welche Datenbestände wir für die Gesichtserkennung nutzen wollen. Zunächst soll die Testphase zeigen, wie serienreif die Technologie und wie hoch die Fehlerquote ist“, erklärt der Pressesprecher der Bundespolizei Berlin.

Rund 300 Testpersonen haben sich für das Pilotprojekt gemeldet. Fotos ihrer Gesichter sind im System hinterlegt und sie tragen Transponder, um zu überprüfen, ob sie sich im Bahnhof aufhalten, wenn die Kamera die Testperson erkannt haben will. Im Gegenzug bekommen Testpersonen, die an 25 unterschiedlichen Tagen von der Kamera erfasst werden, einen Amazon-Gutschein im Wert von 25 Euro. Den fleißigsten Testern winkt gar eine Apple Watch.


Sorgt biometrische Videoüberwachung wirklich für mehr Sicherheit?

Damit unbeteiligte Personen nicht unbemerkt ins Sichtfeld der Kameras gelangen, ist der Aufnahmebereich mithilfe von blauen Aufklebern auf dem Boden markiert. Und sollte dennoch ein Passant durch das Sichtfeld huschen, werden die Aufnahmen sofort gelöscht, nachdem die Software erkannt hat, dass es sich nicht um eine Testperson handelt, so Schobranski.

Fraglich bleibt, welchen Mehrwert in Sachen Sicherheit die neue Kameratechnologie bieten soll. Der Berlin-Attentäter Anis Amri wurde mehrfach vor und nach der Tat von Videokameras aufgenommen. Seinen Anschlag verhindert hat das nicht. Und auch seine Festnahme hat es nicht beschleunigt. Im Falle des U-Bahn-Treters von Oktober des vergangenen Jahres konnten Videokameras die Straftat ebenfalls nicht verhindern. Die Aufklärung gestaltete sich jedoch einfacher, da der Täter kurz nach Veröffentlichung der Überwachungsbilder gefasst werden konnte.

Der Täter war aber weder in Deutschland vorbestraft, noch stand er auf irgendwelchen Fahndungslisten. Selbst mithilfe der biometrischen Videoüberwachung hätte seine Tat an der jungen Frau deswegen nicht verhindert werden können.

Allerdings sieht Bundespolizist Schobranski auch andere Möglichkeiten für die Nutzung der Gesichtserkennung. „Stellen sie sich vor, ihr Kind läuft weg oder wird gekidnappt. Wenn wir in einer solchen Situation die Einwilligung des Gesetzgebers und der Eltern haben auf die Fotos des Kindes zurückzugreifen und sie im System zu hinterlegen, wäre eine schnellere Aufklärung möglich. Das wäre ein Gewinn an Sicherheit.“

Vielen Menschen dürfte dieses Maß an Überwachung allerdings bereits zu weit gehen. Deswegen versammeln sich an diesem Nachmittag bereits mehrere Demonstranten am Hildegard-Knef-Platz vor dem Bahnhof: „Freiheit statt Angst“ heißt das Motto der Initiative. Auch in der Berliner Landesregierung sieht man das Thema skeptisch. Noch im März diesen Jahres hatte der Berliner Senat gegen eine Ausweitung der Videoüberwachung gestimmt. Dass das Pilotprojekt nun ausgerechnet im Rot-Rot-Grünen Berlin gestartet wird, dürfte den Landespolitikern der Regierungskoalition alles andere als gefallen.

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