Gesucht: der rote Klimakanzler Olaf Scholz sucht seine rote Linie

Olaf Scholz besucht einen Windpark. Quelle: imago images

Die SPD feiert heute ihren 160. Geburtstag. Oberster Gratulant: Olaf Scholz. Der war mal mit dem Versprechen angetreten, Arbeiter, Wirtschaft und Ökologie miteinander zu versöhnen. Gilt es noch?

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Mitten im Wahlkampfsommer 2021 stapft Olaf Scholz in gelber Warnweste und mit Bauhelm auf dem Kopf durch ein Zementwerk im brandenburgischen Rüdersdorf. Während eines Rundgangs lauscht er den Ausführungen von Ingenieuren, wie man den Baustoff künftig so klimafreundlich wie möglich produzieren könnte. Die Tour endet im Schatten der Fabriktürme, das Unternehmen hat ein Zelt mit Catering aufbauen lassen.

Aber Scholz, zu diesem Zeitpunkt SPD-Kanzlerkandidat mit Umfragen-Aufstiegsthermik, greift nicht zu den Schnittchen, sondern zum Mikro. Das, was er gerade gehört und gesehen hat, verarbeitet er direkt zu einer Kurzintervention. Sie endet mit dem Worten, dass man in diesen Tagen eine „Kapitulation der CDU-Wirtschaftspolitik“ erlebe. Die Konkurrenz habe „die wichtigste industrielle Frage der Zukunft falsch beantwortet“.

Scholz zielt hier vor allem auf den amtierenden Wirtschaftsminister, Peter Altmaier von der CDU. Dessen, aus Scholz' Sicht, verschluderte und verbummelte Energiewende passt hervorragend, um seinen eigenen Plan kontrastreich zu skizzieren: Es ist die öffentliche Hand, die Stromtrassen ermöglichen, Verfahren beschleunigen und Voraussetzungen für Windparks erst schaffen muss, damit deutsche Unternehmen günstige, sichere und saubere Energie bekommen – so wie hier in Brandenburg. Die wichtigste industrielle Frage der Zukunft? Für Scholz der Pfad zur Klimaneutralität ohne Wohlstands- und Jobverluste. Transformation ja, aber mir rotem Anstrich.

Vater Staat

Ordnungspolitik, das wird an jenem Sommertag deutlich, bedeutet für Olaf Scholz zuallererst staatliches Ordnen, um Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst zu begründen. Er denkt institutionell, strukturell, in politischen Organisationen und ihren Zugriffsmöglichkeiten. Politik first, Markt second. Und mein Wille geschehe.

Den Fabrikturm erklimmt er dann ohne Presse und ohne Entourage, corona-konform. „Ich hatte die Gelegenheit, hochzufahren“, sagt er strahlend, als er wieder unten ankommt. „Sehr interessant.“ Zu besichtigen war in jenem Sommer ein Staatsmann, in dem der Gedanke reifte, bald das Amt innezuhaben, von dem er glaubte, dass es ihm längst zustünde.

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Heute, fast zwei Jahre und 18 Monate Regierungszeit später, fragen sich viele, ob Olaf Scholz immer noch derselbe ist, der damals Plakate kleben ließ, auf denen stand: „Kanzler für Klimaschutz“. Wenn wir nicht aufpassen, fliegen uns unsere Widersprüche zwischen Worten und Taten irgendwann um die Ohren, klagt ein Genosse, der wahrlich kein Gegner des Kanzlers ist. Bei uns sind schon einige verwundert, wie oft Scholz an unserer Seite steht, sagt ein Liberaler. Und überhaupt wundern sich einige in der Hauptstadt, wie still es im Kanzleramt werden kann, wenn die Koalition sich mal wieder zerlegt: Heizungsgesetz und Industriestrompreis, um nur diese prominenten Beispiele zu nennen – viele wüssten gern, ob Scholz dazu erstens eine Meinung besitzt und zweitens den Willen, diesen auch durchzusetzen.

von Cordula Tutt, Christian Ramthun, Florian Güßgen, Silke Wettach

Wille und Wunder

Worte versus Taten, das trifft es. Denn über kaum etwas spricht der Kanzler ja so gerne wie über den grünen Wandel der Wirtschaft. Wobei das mit dem gerne sogar eher eine Untertreibung ist: Scholz‘ Kanzler-Überzeugung, dass der Bundesrepublik ein neues Wirtschaftswunder ins Haus steht, angefeuert von der Transformation der Industrie hin zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, grenzt schon an Leidenschaft. Leidenschaft und Scholz? Ja, richtig gelesen.

Und auch eine gewisse Beständigkeit kann man ihn dabei nicht absprechen: der Wahlkämpfer Scholz hielt es für eine seiner wichtigsten Leistungen, die Arbeiterschaft auf den grünen Geschmack gebracht zu haben. Fürchtet Euch nicht, lautete seine Botschaft, auch die verwandelte Wirtschaft von morgen kennt Tarifverträge und Boni, schafft Wohlstand und Wachstum. Strukturwandel einmal nicht als Bedrohung, sondern als Verheißung, lautete die Erzählung. Und wir, die Sozialdemokratie, sind Deine Garantie, dass das auch klappt. Da war es schon, das „neue Wirtschaftswunder“.

„Wenn das Ganze sozial kippt, kippt alles“, mahnte schon im Wahlkampf Michael Vassiliadis, der einflussreiche Chef der Gewerkschaft IG BCE. „Wenn das Vertrauen verloren gehen würde und eine Mehrheit den Eindruck bekäme, Ökologie sei etwas für eine elitäre Avantgarde, und die da unten müssten sich im Winter halt dicke Pullover stricken – dann wird das nichts.“



Scholz dürfte mit ziemlicher Sicherheit ein paar dieser Leitmotive fortspinnen, wenn er heute im Willy-Brandt-Haus zum 160. Geburtstag der SPD eine Grundsatzrede galten wird. Fortschritt gibt es nur mit uns, sozial ausgewogen, wohldurchdacht, ökologisch und gerecht. Mit uns zieht die neue Zeit. Und nur mit uns.

Ist da jemand im Kanzleramt?

Allein, die Taten und die Entscheidungen bleiben ein Problem. Im Hier und Heute stellen sich dann doch ein paar drängende Fragen: Warum schaut Scholz seit Wochen dabei zu, wie die Grünen mit dem Gebäudegesetz durch die Manege gezogen werden? Ist es etwa nur ihre Wärmewende? Bei einem zentralen Vorhaben seiner Regierung versteckt sich der Kanzler im, genau, kommunikativen Heizungskeller.

Wie, nächstes Beispiel, passen Klimaclub-Offensiven auf der Weltbühne zum Aussetzen eines höheren CO2-Preises in Deutschland? Und warum bremst der Kanzler beim Industriestrompreis, den er als Kandidat der Wirtschaft noch ziemlich unverhohlen in Aussicht gestellt hatte? 

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In dieser komplizierten Gegenwart, bei einem Schulbesuch in Kleinmachnow bei Berlin, wird er nur einmal deutlich, sogar überdeutlich, aber an unpassender Stelle. Am Montagnachmittag fragen Schüler nach Scholz' Meinung zu den Straßenblockaden der Letzten Generation. Seine Antwort: „Ich finde das völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße.“ Das dürfte ein Satz sein, der buchstäblich kleben bleiben wird. Zu einer Nebensächlichkeit. Die Hauptsachen müssen derweil warten.

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