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Gesundheitswesen Welche Kosten auf Krankenkassen-Versicherte wirklich zukommen

Die ersten Krankenkassen fordern bis zu 474 Euro Zusatzbeitrag von ihren Kunden. Was kommt auf die Versicherten noch zu?

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Sie warteten, bis sich die Aufregung über die monatlich acht Euro Zusatzbeitrag einiger Konkurrenz-Kassen verzogen hatte. Dann rückten die BKK für Heilberufe und die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln (GBK) vergangene Woche mit ihrer Forderung heraus: Bis zu 37,50 Euro müssen ihre 200.000 Kunden dann monatlich extra überweisen. Im Jahr sind es dann – der Beitrag auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld hinzugerechnet – maximal 474 Euro. Sonst würden BKK und GBK in Existenznöte geraten. Die Unternehmen sind nur die Eisbrecher: Von 169 Kassen schließen nur 13 Zusatzbeiträge generell aus, rund 50 immerhin für 2010. Der Rest langt zu – früher oder später.

Dürfen die das? Sie sollen es laut Gesundheitsreform sogar. Jede Kasse in Not darf pauschal acht Euro mehr verlangen, maximal 37,50 Euro.

Kassenwechsel wird zum Glücksspiel

Der Kassenwechsel wird für betroffene Versicherte zum Glücksspiel, auch wenn es sich Gesundheitsminister Philipp Rösler (FPD) anders erhofft. Denn Tatsache ist: Das Defizit im Gesundheitsfonds dürfte 2011 noch höher ausfallen als 3,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, befürchten Gesundheitswissenschaftler. Von bis zu elf Milliarden Euro ist die Rede.

Versicherte können per Einzugsermächtigung, Dauerauftrag oder Rechnung zahlen. Verweigerer kann die Kasse anmahnen, pfänden oder deren Leistungen einschränken. Zumindest für Notfallbehandlungen muss sie aber weiterhin zahlen. Aus Erfahrung sind bis zu 20 Prozent der Kunden säumig.

Sobald sich sein Beitrag erhöht, hat jeder Kunde ein vierwöchiges Sonderkündigungsrecht, um zur Konkurrenz zu wechseln. Aber: Wer bei seiner Kasse Zusatzversicherungen abgeschlossen hat, darf häufig erst nach drei Jahren von dannen ziehen.

Acht Euro monatlich darf die Kasse pauschal verlangen, darüber hinaus muss sie bis zur maximalen Grenze von einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens die Einnahmen jedes einzelnen Versicherten prüfen. Hat die Kasse Informationen über die Einkünfte – zum Beispiel vom Arbeitgeber –, muss sie die Ein-Prozent-Grenze prüfen. Ansonsten muss der Kunde selbst Nachweise übers Einkommen an die Kasse schicken.

Bei Pflichtversicherten zählt für die Ein-Prozent-Grenze nur das Gehalt. Für Selbstständige, mitversicherte Familienangehörige und Rentner gelten jedoch andere Regeln. Für sie sind auch Kapitalerträge, Mieten, Nebenjobs, Unterhaltszahlungen oder andere Einkommensarten relevant.

"Die Aussichten sind düster"

Die Regierung erhöht die Beitragsbemessungsgrenze jährlich und nutzt sie als Geldmaschine für das chronisch klamme Gesundheitssystem. Politisch wahrscheinlich ist, dass die Grenze für Zusatzbeiträge ebenfalls erhöht oder gar aufgehoben wird. Die Kassen könnten dann theoretisch Zusatzbeiträge in beliebiger Höhe erheben. Damit würde sich das System dem Prämienmodell annähern, das FDP und CDU favorisieren.

Alternativen zu den Zusatzbeiträgen gibt es nicht. Selbst wenn versicherungsfremde Leistungen wie Krankentagegeld, Schwangerschaftsleistungen, Mutterschaftsgeld, Beitragsfreiheit in der Elternzeit, Mutter-Kind-Kuren oder Haushaltshilfen in Notlagen gestrichen würden, es bliebe ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Ausgaben dafür sind zu gering. Zudem bleiben wegen dieser Leistungen viele freiwillig Versicherte in der GKV – die Privatkassen zahlen viele dieser Leistungen nicht.

„Die Aussichten sind düster“, sagt Bent Lüngen, Chef der Hamburger Unternehmensberatung B-Lue, die Krankenkassen strategisch berät. „Auf angeschlagene Anbieter kommt ein Teufelskreis zu: Fordern sie hohe Zusatzbeiträge, laufen ihnen vor allem die gut verdienenden, häufig gesünderen freiwillig Versicherten weg. Und solange die Verhandlungsmöglichkeiten der Kassen mit den Ärzten, Kliniken und Pharmaherstellern so eingeschränkt bleiben wie bisher, wird es auch für gute Kassen schwierig.“ Glaubt er daran, dass der Beitragssatz gar jemals wieder sinken werde? Der Kassen-Experte ist skeptisch: „Nein, solange medizinische Leistungen nicht beschränkt werden, ist das unwahrscheinlich.“

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