Der Parteichef der Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke, ist am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bremen angegriffen worden. Nach Angaben der Polizei blieb er unverletzt. Der Vorfall ereignete sich am Samstagnachmittag bei einer Veranstaltung der eurokritischen Partei auf der Waldbühne im Bremer Bürgerpark. Acht vermummte und vermutlich dem linksextremen Lager zuzuordnende Angreifer hätten während einer Rede Luckes die Bühne gestürmt, sagte eine Polizeisprecherin.
„Wir sind schockiert“, sagt Antonia Hanne vom AfD-Landesverband Bremen im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. Die Stimmung sei bestens gewesen, als plötzlich ein Mann auf die Bühne stürmte, Lucke das Mikrofon entriss und ihn von der Bühne stieß. „Ich bin zur Bühne gerannt und habe Bernd Lucke aufgeholfen, als weitere Angreifer hinter den Bäumen hervorkamen und mit Pfefferspray in die Menge sprühten“, berichtet Hanne.
Die Polizei bestätigt, dass die Angreifer mit Reizgas bewaffnet waren. Mehrere Menschen mussten behandelt werden. Laut Antonia Hanne hätte mehrere Beamte die Veranstaltung beschützt, seien aber von der Attacke in dem uneinsichtigen Park überrascht worden. Die Polizei geht davon aus, dass sich bis zu 20 Angreifer „in den Büschen versteckt“ hatten. Drei Angreifer wurden bei der Verfolgungsjagd, an der sich neben Polizisten auch Parteifreunde Luckes beteiligten, festgenommen. Erst nach längerer Pause wurde die Veranstaltung unter massivem Polizeischutz fortgesetzt.
Fakten zur Anti-Euro-Bewegung „Alternative für Deutschland“ (AfD)
Zum Parteivorstand gehören neben dem Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke unter anderem der langjährige FAZ-Feuilletonist Konrad Adam und der ehemalige hessische Staatssekretär Alexander Gauland.
Die AfD fordert die Auflösung des Euro-Währungsgebietes und die Wiedereinführung nationaler Währungen.
Zur Bundestagswahl im September ist die neugegründete Partei erstmals angetreten. Sie erreichte 4,7 Prozent der Zweitstimmen. Zum Einzug ins Parlament fehlten ihr nur rund 130.000 Stimmen.
Bei der Europawahl am 25. Mai 2014 erreicht die AfD in Deutschland 7,0 Prozent der Wählerstimmen. Damit stellt sie zum Beispiel die FDP klar in den Schatten, die lediglich auf 3,4 Prozent der Wählerstimmen kommt.
„Bernd Lucke wollte nach dem Angriff weitersprechen“, sagt Hanne. „Wir lassen uns von den Chaoten nicht stoppen.“ Dennoch: Eine Grenze ist längst überschritten. In den vergangenen Tagen und Wochen sind des Öfteren Wahlkampfveranstaltungen der AfD gestört worden. Die Demonstranten kommen aus dem linken Lager und werfen der Partei Rassismus vor.
Die neue Partei sei wie „ein Staubsauger für alles, was sich am rechten Rand der CDU und rechts davon tummelt“, sagen selbst Spitzenfunktionäre wie Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck.
AfD und NPD sind nicht gleichzusetzen
Dabei hat das deutsch-französische Unternehmen linkfluence herausgefunden, dass es kaum Schnittmengen zwischen der AfD und Rechtsextremen gibt. Linkfluence wertete die „Gefällt-mir“-Angaben von Facebook-Usern aus und verglich die Angaben der AfD-Sympathisanten mit den gelobten Inhalten von NPD-Anhängern verglichen. Über 20.000 Daten gingen in die Analyse ein.
Das Ergebnis der Facebook-Analyse: „Wir haben festgestellt, dass die Fans der Alternative für Deutschland und die Fans der NPD wenig gemeinsam haben“, sagt Oliver Tabino, Geschäftsführer von linkfluence Deutschland. Bei den NPD-Fans gehört die Modemarke Thor Steinar zu den Top-Likes. Sie interessieren sich außerdem für Piercings, Tattoos und Bier, für Schauspieler wie Vin Diesel und Charlie Sheen, für die Bundeswehr und für die Wehrmacht. Die politische „Gefällt mir“-Welt reicht von der Facebookgruppe „stopptdenmultikultiwahn“ bis hin zum NPD-Politiker Udo Pastörs.
Bei den AfD-Anhängern sind Facebookseiten mit den Themen Eurokritik und Forderungen nach mehr direkter Demokratie am beliebtesten. Außerdem grenzen sie sich klar von den Grünen und dem linken Spektrum ab. „GrueneNeinDanke“ ist beispielsweise eine beliebte „Gefällt mir“-Angabe. Auch auffällig: Persönlichkeiten wie Friedrich Merz, Karl-Theodor zu Guttenberg, Wolfgang Bosbach, Peter Gauweiler und Henryk M. Broder zählen zu den am häufigsten geliketen Persönlichkeiten. Personen, die lautstark eigene Meinungen vertreten – im Zweifel auch gegen die eigene Partei oder den Mainstream. Bei den genannten Politikern also Abgeordnete, die einen anderen Politikstil pflegen als die konsensorientierte und konfliktvermeidende Angela Merkel.
Die AfD schlägt in diese Kerbe. „Im Bundestag sitzen Ja-Sager, Abnicker und vor allem Diätenkassierer, aber keine Abgeordneten, die das Volk vertreten“, erklärte AfD-Vorstandsmitglied Bernd Lucke beim Wahlkampfauftakt in Hamburg.
"Wir werden stigmatisiert"
"Wir werden von den anderen Parteien stigmatisiert", sagt Antonia Hanne. Die AfD sei kein Sammelbecken für Rechtsextreme. Die Medien hätten die Partei erst populistisch genannt, Grüne, Piraten und Autonome hätten daraus eine rechtsextreme Haltung gemacht. "Wenn wir rechtsextreme Gedanken verbreiten würden, wären wir drei Viertel unserer Mitglieder los", sagt Hanne. "Parteiführung wie Basis sind ganz klar antifaschistisch."
Das bestätigt auch die linkfluence-Studie. Ein Blick auf die Verlinkungen von und zu Seiten der Alternative für Deutschland und deren Sympathisanten zeigt: Die Parteineulinge halten sich mit Verlinkungen zu radikalen Seiten und Gruppierungen zurück und bestätigen somit die Aussage Luckes – „Ich kann nicht erkennen, dass wir in irgendeiner Form rechts sind“. Andersherum gibt es viele Verlinkungen der politischen Ränder zur AfD. „Pro-NRW oder national-chauvinistische Seiten verlinken auf die AfD. Das ist für uns ein Hinweis, dass es Sympathie gibt und die Partei ihren Usern empfohlen wird“, sagt Tabino. Links stünden für eine Empfehlung, sich die Seite der AfD anzuschauen aber auch für Zustimmung, nach dem Motto: Der Meinung bin ich auch. Oder: Die sind auch unserer Meinung.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
„Unsere Hypothese ist: Die AfD wird als Vehikel genutzt, um radikale Positionen wieder gesellschaftsfähig zu machen“, so der Geschäftsführer von linkfluence Deutschland. Die AfD habe sich vor allem durch ihre europakritische Haltung und der Forderung, Klartext zu reden, in diese Position gebracht. Der Vorteil für die Extremen vom rechten Rand: „Radikalere Ansichten bekommen unter dem Absender der AfD einen politisch korrekteren Anstrich als unter dem Absender der NPD oder anderen rechten Gruppierungen“, so Tabino. Die Euro-Kritiker müssten folglich aufpassen, sich nicht vor den Karren Andersdenkender spannen zu lassen.
"Rechtsextreme sind bei uns nicht willkommen", sagt Hanne. Und auch Lucke unterstreicht, dass ehemalige NPD- oder DVU-Mitglieder unerwünscht seien. "Die Hetze muss aufhören", mahnt Hanne. Die Gewalt auch. Szene wie in Bremen sind indiskutabel. Zeit, dass die Demonstranten abrüsten.
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