Gewerkschaften Die unheimliche Macht der IG Metall

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Kein Machtgleichgewicht

Für Wirtschaft und Politik wirft die Renaissance der IG Metall allerdings einige unbequeme Fragen auf. Drohen den Unternehmen nun auf Dauer massive Verteilungskonflikte? Kann es gut sein, wenn eine Gewerkschaft mit ihren diversen Regulierungswünschen auf offene Ohren an höchster Stelle stößt, während Positionspapiere der Wirtschaftsverbände in ministerialen Schubladen verstauben? Fakt ist, dass der Einfluss der IG Metall auf die Regierungspolitik mittlerweile höher ist als noch zu rot-grünen Regierungszeiten. „Wenn man ,IG Metall‘ ruft, gehen in Berlin alle Türen auf“, sagt ein ehemaliger Lobbyist der Gewerkschaft.

Nächste Kampagne schon in Planung

Gleichzeitig spricht vieles dafür, dass die IG Metall künftig nicht nur über die herkömmliche Mitbestimmung, sondern auch via Tarifpolitik ihren Einfluss auf die Geschäftspolitik der Unternehmen erhöhen will. Es passt ins Bild, dass sich die Gewerkschaft in der aktuellen Tarifrunde in die Personalpolitik einmischt, eine Übernahmepflicht für Azubis und ein Vetorecht von Betriebsräten gegen den Einsatz von Zeitarbeitern fordert. Und die nächste Kampagne ist schon in Planung: Die Gewerkschaft will den Einsatz von Werkverträgen in den Unternehmen eindämmen. „Die Frage der Fertigungstiefe in der Industrie wird das nächste Megathema für die IG Metall. Darauf können sich die Arbeitgeber schon mal einstellen“, kündigt Vize-Chef Wetzel an.

Trotz alledem geben sich die Arbeitgeber noch überraschend zahm. Die steigenden Mitgliederzahlen der IG Metall bewertet selbst Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser als „positiv“. Um die Gewerkschafter im eigenen Haus milde zu stimmen, etwa bei Umstrukturierungsmaßnahmen, gewähren manche Unternehmen IG-Metall-Mitgliedern mittlerweile sogar zusätzliche Geld- und Sachleistungen, die nicht organisierten Arbeitnehmern vorenthalten bleiben. Über 200 solcher Bonustarifverträge gibt es bereits. Bei einem Bochumer Stahlbetrieb etwa erhielten Gewerkschaftsmitglieder eine Jahressonderzahlung in Höhe eines Monatslohns, bei einem Maschinenbauer in Gummersbach gab es 5000 Euro zum Ausgleich für eine Arbeitszeitverlängerung.

Keine Unternehmerfresser

Sicher: Die Gewerkschaft agierte während der Wirtschaftskrise pragmatisch, akzeptierte eine Nullrunde sowie einen langlaufenden Tarifvertrag. Huber, sein Vize Wetzel und die wichtigsten Bezirksfürsten Oliver Burkhard (NRW), Jörg Hofmann (Baden-Württemberg) und Armin Schild (Hessen) sind alle keine Unternehmerfresser; der Flächentarif wurde zudem in den vergangenen Jahren spürbar flexibilisiert. „Die Macht und der politische Einfluss der IG Metall sind gestiegen. Allerdings geht die Gewerkschaft damit bislang verantwortungsbewusst um“, lobt der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz. Die Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre seien „alles in allem ökonomisch vertretbar“ gewesen.

Doch wird das so bleiben? Angesichts der fortschreitenden internationalen Vernetzung und Just-in-time-Produktion kann die IG Metall mit geringem Aufwand maximalen wirtschaftlichen Schaden anrichten. „Das Kampfgleichgewicht bei Tarifverhandlungen hat sich zugunsten der Gewerkschaften verschoben. Kaum ein global agierendes Unternehmen kann sich heute noch einen Streik leisten“, sagt Franz.

In der aktuellen Metall-Tarifrunde dürfte bereits – mindestens – eine Vier vor dem Komma stehen, erst recht, nachdem die Kollegen von Verdi im öffentlichen Dienst 6,3 Prozent (auf zwei Jahre) herausgeholt haben. Auch der Lohntrend in den kommenden Jahren zeigt steil nach oben. „Wir erleben derzeit einen fundamentalen Wechsel in der deutschen Lohnpolitik. Die Ära der Zurückhaltung ist definitiv vorbei“, warnt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Die Tarifentgelte in Deutschland dürften nun „über Jahre hinweg stärker steigen als im Durchschnitt der Euro-Zone“.

Vielleicht profitieren davon ja auch irgendwann die Mitarbeiter der IG Metall: Die Lohnzuwächse, die ihnen ihr Vorstand genehmigt, waren zuletzt eher kärglich. Die letzte Erhöhung – 2,0 Prozent – gab es im August 2010.

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