Gigabitstrategie „Ein PR-Papier ohne Lösungen“

Niedersachsen: Arbeiter sind mit Bagger und Spaten an einer Straße mit der Erdverlegung von Glasfaserkabeln beschäftigt. Quelle: dpa

Die Ampel-Koalition bringt ihre neue Gigabitstrategie auf den Weg. Bis 2030 soll jeder deutsche Haushalt einen Glasfaseranschluss bekommen. Die Telekommunikationsindustrie stößt sich vor allem an den Förderplänen.

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Geht es um graue Flecken in Deutschland, sehen sich viele Gemeinden auf der Zielgerade: Herbrechtingen, Heiligenhaus, Neufra oder Lengerich in Nordrhein-Westfalen. Sie alle vermelden stolz, schon bald die letzten ihrer Haushalte an eine schnelle Glasfaserleitung anschließen zu wollen. Graue Flecken, also Adressen mit langsamem Internet, sollen dem gigabitfähigen Netz weichen. Endlich.

Auch in Berlin drückt die Ampel-Bundesregierung aktuell aufs Tempo. Am Mittwoch hat das Kabinett die neue Gigabitstrategie von Digitalminister Volker Wissing (FDP) beschlossen. Eckpunkte hatte der Minister bereits im März präsentiert. Auch hier geht es im Kern darum, graue und weiße Flecken zu beseitigen. Auch hier möchte man rufen: Endlich!

Deutschland soll den Glasfaserausbau flächendeckend bis 2030 vollziehen. Bis 2025 sollen bereits 50 Prozent der Haushalte einen Anschluss bekommen. Ein sogenanntes Gigabit-Grundbuch werde Versorgungsdaten zentralisieren, Genehmigungsverfahren sollen vereinfacht und alternative Verlegemethoden gestärkt werden, heißt es in der Strategie.

Schon bevor die Regierung ihre mehr als 90 Einzelmaßnahmen allerdings beschloss, regte sich bereits Widerstand seitens der Kommunikationsanbieter. Der Bundesverband für Breitbandkommunikation (Breko) übte in einem Bewertungspapier heftige Kritik am Vorhaben der Bundesregierung. Die Maßnahmen würden mit Blick auf die staatliche Glasfaser-Förderung „keinen hinreichend geeigneten Rahmen zur Zielerreichung“ bieten, heißt es darin. Und weiter: Formulierungen zur Digitalisierung der Genehmigungsverfahren seien „ernüchternd.“ Eine vom Ministerium geplante nachträgliche Evaluierung sei „nicht geeignet, eine Priorisierung der Förderung auf die förderbedürftigen Gebiete sicherzustellen und zu viele parallel laufende Markterkundungsverfahren und Förderverfahren zu verhindern.“

Erbitterte Diskussion um Förderung

Hintergrund der harschen Worte dürfte ein lange schwelender Konflikt bei der Verantwortung für den Ausbau des Glasfasernetzes sein, den die neue Gigabitstrategie offenbar nicht beizulegen vermag. So hatte zwar bereits der Ampel-Koalitionsvertrag den Vorrang eigenwirtschaftlichen Ausbaus durch private Anbieter betont. Auf der anderen Seite will der Staat aber trotzdem mithilfe von Förderung aktiv eingreifen, wo er Nachholbedarf beim Ausbau sieht. Etwa, wenn Firmen ein Gebiet nicht erschließen, weil sich das betriebswirtschaftlich nicht rechnet.

Wann jetzt aber genau wer zuständig ist, blieb seitdem unklar. Die Bundesländer selbst waren sich zuletzt in ihren Planungen uneins darüber, ob sie ihren Ausbau lieber über die Förderung forcieren oder über den privatwirtschaftlichen Ausbau voranbringen wollten.



Die Gigabitstrategie versucht jetzt, diese Frage zu klären. Förderfähige Gebiete sollen über eine Potenzialanalyse ausgemacht werden. Diese soll die Reichweite des eigenwirtschaftlichen Ausbaus abschätzen und kartografisch darstellen.

Das Verfahren sei allerdings nicht bindend, kritisiert die Industrie. Grundsätzlich könne sich jede Kommune weiter um eine Förderung bemühen, was wiederum zu Verzögerungen beim Ausbau führe. „Dabei sind 50 Milliarden Euro im Markt für den deutlich schnelleren privaten Glasfaserausbau vorhanden“, sagt ein Sprecher der Deutschen Glasfaser GmbH. Das gelte auch für den Ausbau in unbesiedelten Regionen. „Die öffentlichen Haushalte können das Geld gut gebrauchen, das die Wirtschaft zu investieren bereit ist.“
Hinter solchen Argumenten stecke auch eine handfeste betriebswirtschaftliche Agenda, analysierte jüngst Cordelius Ilgmann, Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium Thüringens. Die einmal auf Grundlage der Infrastruktur errichteten Gebietsmonopole erlaubten den Unternehmen „langfristige und sichere Renditen.“ Dem stehe die staatliche Förderung und die damit geplanten öffentlich-rechtlichen Betreibermodellen sozusagen als Konkurrenz im Weg.

Dazu scheint zu passen, dass die sich Telekomfirmen jetzt vor einer unkontrollierten Förderwelle sorgen. Der Staat darf ab 2023 überall dort fördern, wo nicht mindestens 200 Megabit/s bei Down- und Uploads zur Verfügung stehen. Dann könnten auf einen Schlag zwölf Millionen Haushalte förderberechtigt sein, so die Befürchtungen.
Für ein an den Haaren herbeigezogenes Argument hält das Torsten Gerpott, Telekommunikationsexperte von der Universität Duisburg-Essen. Er glaubt nicht, dass die Zahl der Förderanträge explodieren werde: „Die Kommunen werden wie bisher nur die bürokratischen Mühen, die zu Recht mit einer staatlichen Förderung verbunden sind, auf sich nehmen, wenn sich kein privater Anbieter findet, der Versorgungslücken hinreichend schnell und gut schließt“, erklärt er.

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Grundsätzlich hält der Experte die Netzförderpolitik des Bundes für sinnvoll, auch wenn sie 2015 viel zu spät gestartet worden sei. Die neue Gigabitstrategie füge dieser Politik aber kaum etwas Neues hinzu und sei für die Ziele 2030 ambitionslos. „Im Grunde handelt es sich weitgehend um ein PR-Papier, das kaum innovative Ideen und Lösungen für digitale Infrastrukturen präsentiert“, so Gerpott.

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Und weiter: „Wir haben bei Telekommunikationsnetzen kein Strategie-Defizit, sondern ein Umsetzungsdefizit“. Zu tun habe das weniger mit der viel umstrittenen Förderfrage als mit der verschleppten Einrichtung eines digitalen Gigabit-Grundbuchs sowie Engpässen beim Personal in Bauämtern und Tiefbauunternehmen.

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