
Die Koalitionsspitzen haben sich nach monatelangem Streit in der Flüchtlingspolitik auf Maßnahmenpakete zur Integration und zum Anti-Terror-Kampf geeinigt. Das teilten CDU, CSU und SPD nach siebenstündigen Beratungen im Kanzleramt am frühen Donnerstagmorgen in Berlin mit.
Ob die Runde der Partei- und Fraktionschefs um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch Annäherungen bei der Förderung von Elektroautos oder der Bekämpfung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen erzielen konnten, blieb zunächst offen. Zur Lösung der Differenzen bei der Erbschaftsteuer seien weitere Gespräche mit der SPD notwendig, hieß es aus Unionskreisen.
Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD, neben Merkel (CDU) waren auch Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) dabei, wollen sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag um 12.00 Uhr im Kanzleramt auf einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Beratungen äußern. Mit dabei sein sollen Innenminister Thomas de Maizière (CDU), Arbeitsministerin Andrea Nahles sowie Justizminister Heiko Maas (beide SPD).
Die wichtigsten Antworten zum neuen Integrationsgesetz
Um Fördern und Fordern. Es sollen 100 000 neue „Arbeitsgelegenheiten“ - darunter vermutlich Ein-Euro-Jobs - aus Bundesmitteln geschaffen werden. Ziel ist eine Heranführung an den Arbeitsmarkt und sinnvolle Betätigung während des Asylverfahrens. Integrationskurse sollen verpflichtend sein. Wer die Mitwirkung daran ablehnt oder abbricht, dem werden Leistungen gekürzt. Bei Straffälligkeit wird das Aufenthaltsrecht widerrufen. Zur Vermeidung sozialer Brennpunkte sollen Schutzberechtigte gleichmäßiger verteilt werden. Wer den zugewiesenen Wohnsitz verlässt, muss mit Konsequenzen rechnen.
Den Sicherheitsbehörden sollen mehr Befugnisse, Geld und Personal geben. Telekommunikationsanbieter müssen sich auf neue Verpflichtungen einstellen. Die Geheimdienste sollen künftig enger mit wichtigen ausländischen Partnerdiensten zusammenarbeiten. Die Internet-Branche ist aufgefordert, in einer freiwilligen Selbstverpflichtung aktiv gegen Terror-Propaganda in ihren Netzwerken vorzugehen.
Es sieht danach aus. Am Donnerstagmittag bei der großen Pressekonferenz im Kanzleramt soll auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihren Auftritt haben. Sie hat längst ein Gesetz fertig, um den Missbrauch von Werkverträgen und Leih- oder Zeitarbeit einzudämmen. Dann legte aber die CSU den Kompromiss auf Eis. Mit Werkverträgen vergeben Unternehmen etwa IT-Dienstleistungen, Catering- und Reinigungsdienste an andere Firmen.
Ungewiss. Klar ist, dass die Koalition den miesen Absatz von Elektroautos mit verschiedenen Maßnahmen ankurbeln will. So soll das spärliche Netz von Ladestationen ausgebaut werden. Höhe und Ausgestaltung einer möglichen Prämie für E-Auto-Käufer waren zuletzt immer noch offen. Wirtschaftsminister Gabriel hatte einmal 5000 Euro ins Spiel gebracht. Die Kosten würden sich Staat und Industrie teilen. In Koalitionskreisen war auch die Rede von einer Selbstverpflichtung der Autobranche, in heimische Batterietechnologie zu investieren. Schwarz-Rot muss etwas tun, weil die Bundesregierung vom Ziel, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen, bereits jetzt meilenweit entfernt ist.
Zuletzt hieß es in Parteikreisen, es sei keine Einigung in Sicht. Die Konfliktlinie verläuft hier eher zwischen der CSU auf der einen und CDU/SPD auf der anderen Seite. Zum 1. Juli muss die Reform der Erbschaftsteuer in Kraft sein. Das Bundesverfassungsgericht hatte gerügt, dass Erben großer Familienunternehmen mit Steuerbefreiungen zu gut wegkommen. Union und SPD hatten sich schon mehrfach geeinigt, die CSU hatte jedoch immer wieder Korrekturen zugunsten der Firmenerben verlangt. Dies war dann wiederum der SPD zu weitgehend, aber auch in der CDU sowie von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurden die Forderungen der CSU kritisch gesehen. Ohne Neureglung bis Ende Juni droht Firmenerben, dass sie die Privilegien ganz verlieren.
Die Entscheidung der Bundesregierung ist in jedem Fall heikel. Sie wird aber noch in dieser Woche erwartet und möglicherweise bei der Pressekonferenz gleich mit bekanntgegeben. Merkel dürfte auf größtmögliche Geschlossenheit setzen. Die Regierung hat die Wahl zwischen einer Ermächtigung der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung Böhmermanns wegen dessen vulgären Gedichts über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem Nein zu einem entsprechenden Wunsch der Türkei. So oder so wird es Kritik hageln: entweder aus Ankara, wo das Gedicht als Beleidigung Erdogans gewertet wird, oder in Deutschland, wo viele eine Beschränkung der Meinungsfreiheit fürchten.
Darauf vertrauen viele Koalitionspolitiker nicht. Dem Vernehmen nach hatten sich die drei Parteichefs bereits in der vorigen Woche im kleinsten Kreis darauf verständigt, nach den Zerwürfnissen vor allem zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik Ruhe walten zu lassen. Aber schon kurze Zeit später brachen CSU und SPD eine Rentendebatte vom Zaun. Alle drei Partner - und besonders die Sozialdemokraten - stehen angesichts sinkender Umfragewerte enorm unter Druck. Sie dürften versuchen, sich frühzeitig in Position zu bringen. Was die Union und SPD noch am ehesten eint: die Sorge vor einem weiteren Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD).
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schrieb auf Twitter: „50 Jahre nach dem Beginn der Einwanderung bekommt Deutschland jetzt ein Integrationsgesetz.“ Aus der Union hieß es, man sei mit den Ergebnissen bei der Integration und den Anti-Terror-Maßnahmen zufrieden. Es handele sich um „gute Maßnahmen“.
Die Koalitionsspitze legte ein sechs Seiten langes Papier mit Eckpunkten für ein Integrationsgesetz vor. Darin werden Maßnahmen zur Förderung der Eingliederung von Flüchtlingen und Migranten benannt. Zugleich listet das Papier aber auch Sanktionsmöglichkeiten auf, falls sich Betroffene der Integration verweigern.
Die Eckpunkte sollen am 22. April bei einer Ministerpräsidentenkonferenz erörtert werden. Die Regierung will den Gesetzentwurf bei einer Klausur am 24. Mai in ihrem Gästehaus in Meseberg nördlich von Berlin beschließen.