GIZ-Bericht Mehr Hilfe gegen die Fluchtursachen

Angesichts der Flüchtlingskrise drängen die EU-Staaten darauf, Krisenregionen zu stabilisieren, um Flüchtlingsströme zu verhindern oder einzudämmen. Die klassische Hilfe zur Selbsthilfe reicht da nicht mehr.

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In Aleppo, Syrien, ist alles zerstört. Quelle: Reuters

Berlin Deutschland beschränkt sich bei der Unterstützung armer Länder nicht mehr allein auf Hilfe zur Selbsthilfe. Mit der direkten Entwicklungs- und Aufbauhilfe, vor Ort umgesetzt von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), will die Bundesregierung inzwischen gezielt Flüchtlingsströme eindämmen. Und dass die EU in Afrika auch die Ausbildung militärischer Kräfte unterstützen will, damit die nächste Rebellentruppe nicht gleich die frisch gebohrten Brunnen wieder zerstört, findet, wenn auch verhalten, Zustimmung in der Großen Koalition.

„Dies kann in bestimmten Fällen zur Schaffung von Stabilität und Sicherheit dort beitragen. Das Konzept der vernetzten Sicherheit sieht ohnehin ein Ineinandergreifen von militärischen und entwicklungspolitischen Maßnahmen vor“, sagte die für Entwicklungspolitik zuständige Unionsfraktionsvize Sabine Weiss. Allerdings findet sie: Finanzieren sollte dies die EU nicht aus dem Entwicklungshilfetopf, sondern sie müsse eine andere Lösung finden.

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet, will die EU-Kommission „in einigen eng gefassten Sonderfällen“ auch Streitkräfte in Entwicklungsländern, etwa mit Ausbildern, in die Lage versetzen, für Sicherheit zu sorgen. Es geht dabei um Mittel aus dem „Instrument für Stabilität und Frieden“ der EU, ein Topf mit 2,3 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis 2020. Bisher fließen die Mittel in die Ausbildung von Polizisten und die Unterstützung von Bürgerinitiativen, die sich um Konfliktbewältigung vor Ort bemühen. Der Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütiköfer sprach von einem „Tabubruch“, denn die EU-Kommission will jetzt auch die Streitkräfte in Mali oder Somalia, die von Armeen der EU-Staaten ausgebildet werden, direkt unterstützen.

Hintergrund ist die Flüchtlingskrise: Die Regierungen der EU-Staaten, einschließlich der deutschen, drängen darauf, Krisenstaaten zu stabilisieren, um Flüchtlingsströme zu verhindern. Grüne und Linke kritisieren, dass so „fragwürdige Grenzregime zur Flüchtlingsabwehr“ gefördert würden.

Allerdings machen auch deutsche Entwicklungshelfer die Erfahrung, dass ihre Aufbauarbeit vergeblich bleibt, wenn es den Regierungen der Entwicklungsländer nicht gelingt, Sicherheit herzustellen: Etwa im Norden Nigerias, wo die Terrorgruppe Boko Haram agiert. Die GIZ etwa hat ihr Sicherheits-Analysezentrum von drei auf 14 Mitarbeiter aufgestockt. Das Entwicklungsministerium tauscht inzwischen gezielt Erfahrungen mit der Bundeswehr aus, etwa in Mali.


„Moralisch inakzeptabel“

Fluchtursachen vor Ort bekämpfen, lautet das übergeordnete Ziel der schwarz-roten Koalition. Seit vergangenem Jahr heißt dies auch, dass die zusätzlichen Mittel aus dem Entwicklungsetat in die Flüchtlingscamps in Jordanien, dem Libanon, dem Irak und der Südosttürkei fließen. „Die Menschen wollen nah ihrer Heimat bleiben“, sagte GIZ-Chefin Tanja Gönner auf der Bilanzpressekonferenz ihrer Organisation am Dienstag. „Keine Perspektive für ihre Kinder zu haben, lässt Eltern weiter flüchten.“

Um das zu verhindern, baut die GIZ in den Camps Schulen: Bis zum Ende des nächsten Schuljahres soll jedes Flüchtlingskind in den drei Ländern einen Schulplatz haben. Für Jugendliche schafft die GIZ Ausbildungsplätze, vorrangig in Berufen, die später beim Wiederaufbau der Kriegsländer Syrien und Irak gefragt sein werden, etwa auf dem Bau. Erwachsene sollen durch das Programm „Work for cash“ Arbeit in den Lagern finden; etwa indem sie eine funktionsfähige Abfallbeseitigung organisieren. 30.000 Menschen finden in dem Programm in diesem Jahr bezahlte Arbeit, 150.000 Menschen fänden so ein Auskommen, so die GIZ.

Die deutsche Hilfe kommt dabei auch den Gemeinden zugute, in denen die Camps liegen. Die Mittel für diese Hilfen wurde von 179 Millionen Euro des Jahres 2015 auf 408 Millionen Euro im ersten Halbjahr dieses Jahres aufgestockt.

Die Gründlichkeit, mit der der Leitsatz, Flüchtlingen nahe ihrer Heimat zu helfen, umgesetzt wird, wirkt auch auf die Verhandlungen der EU mit Tunesien und Marokko: Beide Länder sollen nicht nur eigene Staatsangehörige, sondern auch Menschen aus anderen afrikanischen Staaten, die über Marokko und Tunesien nach Europa geflohen sind, zurücknehmen. Im Gegenzug fließt mehr Entwicklungshilfe.

Auf dem letzten EU-Gipfel hatten die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, „wirksame Anreize“ für ausgewählte Staaten in Afrika zu schaffen, um Flüchtlingsströme zu reduzieren und „irreguläre Einwanderer“ in ihre Heimat zurückzubringen. Der Zustrom von Menschen über Libyen nach Italien müsse verringert werden, forderte der Gipfel – auch, um zu verhindern, dass immer mehr Menschen auf der gefährlichen Überfahrt im Mittelmeer ertrinken.

Als „moralisch inakzeptabel“ kritisiert dies die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Die Entwicklungshilfe werde daran gekoppelt, „dass die Empfängerländer bereit sind, für Europa die Drecksarbeit zu machen“, sagte der Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation, Günter Burkhardt: Das Ziel sei, dass kein Flüchtling mehr die Festung Europa erreiche.

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