Gleichstellungspolitik Ein Rückschritt

Der Frauenanteil im Parlament ist gesunken, der Verdienstunterschied zu Männern ist so hoch wie fast nirgendwo in der EU – Deutschland hat bei der Gleichstellung viel aufzuholen. Verbände setzen Hoffnungen in die GroKo.

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Gleichstellungspolitik: Frauenverbände setzen Hoffnungen in GroKo Quelle: Imago

Berlin Es ist ein Ranking, auf das ein Land wie Deutschland nicht stolz sein kann: Nur in zwei von 28 EU-Ländern ist die Lücke bei der Bezahlung von Frauen und Männern so groß wie in Deutschland, das hat die EU-Kommission errechnet. 22 Prozent beträgt der sogenannte Gender Pay Gap, nur in Estland und in Tschechien sind die Löhne noch ungleicher verteilt.

Kritiker meinen, dass dieser Lohnunterschied auch darauf zurückzuführen ist, dass Frauen tendenziell schlechter bezahlten Berufen, zum Beispiel in der Pflege nachgehen. Doch selbst wenn man nur vergleichbare Qualifikationen und Tätigkeiten heranzieht, verdienen Frauen pro Stunde durchschnittlich sechs Prozent weniger als Männer. Und auch innerhalb der Berufe gibt es große Gehaltsunterschiede, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet hat. So verdienen etwa Verkäuferinnen 29 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen und Buchhalterinnen 24 Prozent weniger.

Gleichzeitig ist der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten der großen Unternehmen seit 2015 von 25 auf rund 28 Prozent Anfang 2017 gestiegen, wie Zahlen der Bundesregierung zeigen. In den Vorständen der Unternehmen bewegt sich hingegen wenig. Der Frauenanteil ist dort weiterhin im einstelligen Prozentbereich.

Auch andere Zahlen zeigen, dass es bei der Gleichstellung noch einiges aufzuholen gilt. Und es eben nicht immer weiter vorangeht, wie man lange Zeit dachte. Mit 30,7 Prozent ist der Anteil der Frauen im neuen Bundestag in diesem Jahr nach 36,5 Prozent im Jahr 2013 noch hinter den Stand von 1998 zurückgefallen. Bei der ersten Sitzung des Bundestags war unter acht Rednern nur eine Frau. Es gibt wieder weniger Bundestagsvizepräsidentinnen als noch 2013.

„Wir beobachten ein Verdrängen von Frauen in der Politik“, warnt Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU) im Gespräch mit dem Handelsblatt. Es sei ein großes Problem, dass weniger Frauen im Bundestag sitzen.

Die letzte Legislaturperiode habe zwar Erfolge gebracht, sagt Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) Berlin. Aber sie stellt auch fest: „Wir haben einen Stau in der Gleichstellungspolitik.“ Enttäuscht hatten sich die deutschen Frauenverbände auch von den zurückliegenden und am Ende gescheiterten Verhandlungen zu einer möglichen Regierung aus CDU, CSU, FDP und den Grünen gezeigt. „Da ist das Thema auf drei Zeilen geschrumpft“, so Große-Leege.

Nun liegen die Hoffnungen auf einer möglichen Neuauflage der Großen Koalition. „Die neuen Sondierungsgespräche sind eine große Chance. Wir können nur hoffen, dass das Thema Gleichstellung nun eine größere Rolle einnimmt als es bei den Gesprächen zu einer Jamaika-Koalition der Fall war.“ „Die Jamaika-Verhandlungen waren für uns gleichstellungspolitisch enttäuschend“, sagt Mona Küppers, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, ein Dachverband von rund 50 deutschen Frauenorganisationen. „Hier muss für uns mehr passieren.“ Zu wichtigen Themen wie Quote oder Parität habe in den Sondierungsvereinbarungen nichts gestanden.

In der letzten Bundesregierung seien viele gleichstellungspolitischen Gewinne auf das Konto der SPD gegangen. „Hinter diese Ansprüche möchte sie sicher nicht zurückfallen“, hofft Küppers. Insbesondere bei den Themen Gewalt gegen Frauen, Rückkehrrecht auf Vollzeit und die Weiterentwicklung des Entgelttransparenzgesetzes erwarteten die Verbände von SPD und CDU/CSU „große Schritte“.

Die Möglichkeit, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Platz räumen muss, besorgt VdU-Geschäftsführerin Große-Leege. „Aktuell kann man sich nicht vorstellen, dass es dann einen Mann in diesem Amt gibt, der ein Feminist à la Trudeau, der kanadische Premierminister oder der französische Staatspräsident Macron ist.“ Zu wünschen wäre es Deutschland.

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