Globale Steuerreform G20-Powerplay der alten Schule

Italien, Venedig: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Quelle: dpa

Die weltweite Mindestbesteuerung von 15 Prozent soll ab 2023 greifen. Widerständler wie die Iren werden wohl von den USA einfach niedergezwungen – wie vor einigen Jahren die Schweiz beim Bankgeheimnis.

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Es war eine subtile Geste der Macht, als die US-Finanzministerin Janet Yellen und ihr deutscher Kollege Olaf Scholz an diesem Samstag um kurz nach zehn Uhr vor die Presse traten. Der Ort: Das alte Werftgelände in Venedig, wo sich die führenden Industrie- und Schwellenländer der G20-Gruppe für knapp zwei Tage in Klausur begaben. Yellen also sprach mit leiser Stimme. Der Deal sei gut für alle Länder, es gehe darum, das selbstzerstörerische Rennen nach unten bei den Unternehmensteuern zu beenden. Scholz sekundierte und erklärte in geschliffenem Englisch: „This will make the world better.“

Dass einige kleine EU-Staaten gar nicht bei der Mindestbesteuerung von international tätigen Unternehmen mitmachen wollen, Irland, Estland und Ungarn, schien die beiden Minister kaum zu stören. „Wir versuchen die Vorbehalte solcher Länder zu verstehen“, sagte Yellen, um dann aber klarzumachen, dass man schon bestimmte „enforcement measures“ gegen Länder ergreifen werde, die die G20-Vereinbarung zur Begrenzung des internationalen Steuerwettbewerbs zu unterlaufen versuchen würden. Eine ruhige, aber auch klare Ansage.

Wie die „enforcement measures“ aussehen können, darüber konnte man am Rande des G20-Treffens „unter 3“, also hinter vorgehaltener Hand mehr erfahren. Die Iren wären überhaupt nicht in einer richtigen Verhandlungsposition, heißt es. Denn die meisten der vielen Multis, die sich auf der grünen Insel in den vergangenen Jahren angesiedelt haben und dort maximal 12,5 Prozent Steuern zahlen, sind US-Konzerne. Und die werden künftig – wenn die USA die G20-Vereinbarung demnächst umsetzen – einfach vom amerikanischen Fiskus nachträglich besteuert, damit sie die 15 Prozent mindestens an Steuern zahlen. Hinzurechnungsbesteuerung heißt der Fachterminus – und da könnten die Iren gar nichts gegen unternehmen.

von Christian Ramthun, Sascha Zastiral

Wie wenig die Amerikaner dabei auf nationale Gefühle oder Interessen anderer Rücksicht nehmen, lässt sich in einem anderen Fall vor gut zehn Jahren betrachten. Damals knackten die Amerikaner das ewige Bankgeheimnis der Schweizer, indem sie drohten, ansonsten alle Schweizer Banken extrem hoch zu besteuern und vom US-Markt quasi auszuschließen. Damit bescherten die Vereinigten Staaten der Welt den automatischen Informationsaustausch für Kontodaten und das Ende des Bankgeheimnisses.

Nun könnte es die Mindestbesteuerung werden. Europa selbst sind hier theoretisch die Hände gebunden, wenn sich einzelne EU-Mitglieder verweigern. Denn die Umsetzung von innergemeinschaftlichen Steuerregeln setzt im Steuerrecht Einstimmigkeit voraus, sagt etwa der Europarechtler Werner Haslehner von der Universität Luxemburg. Jedes noch so kleine Land kann damit die anderen ausbremsen, selbst die großen Länder Deutschland und Frankreich. Gleichwohl gibt es auch bei den Deutschen und Franzosen Bestrebungen, notfalls gegen das Einstimmigkeitsprinzip zu verstoßen, indem man es einfach nicht anerkennt. Deutschen und Franzosen, die beiden großen Treiber bei der Mindestbesteuerung, könnten also Maßnahmen gegen niedrig versteuerte Gewinne aus anderen Ländern ergreifen – und würden dann möglicherweise vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Das könnte dauern. Und für tiefe Verstimmung in den Niedrigsteuerländern Irland, Ungarn und Estland sorgen, die um ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit fürchten.

Vielleicht aber gelingt es Brüssel, die bockigen Drei (plus Zypern, die gar nicht erst bei dem OECD-Gesprächen zur Steuerneuordnung teilnehmen) doch noch mit ins Boot zu holen. Zeit gäbe es noch. Denn die Mindestbesteuerung soll 2023 beginnen. Im ersten Halbjahr 2022 hat Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft inne, und die Franzosen dürften mit all ihrem diplomatischen Geschick für eine gesamteuropäische Lösung bei der Mindestbesteuerung werben. Sticks and carrots, Zuckerbrot und Peitsche, mal so, mal so.

Es bleibt also auch nach dem heutigen G20-Beschluss in Venedig ein spannendes Projekt. Bis Ende Oktober will zudem die OECD die Details der Steuerreform ausarbeiten, insbesondere zu den Berechnungsgrundlagen. Gleichwohl bestehen nach Ansicht von Kritikern weiterhin Gerechtigkeitsdefizite, auch wenn Minister Scholz schon von einer „gerechteren Steuerwelt“ spricht. Andere sprechen von einer verpassten Chance. Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kritisiert: „Statt eines großen Schrittes zu mehr Steuergerechtigkeit erleben wir genau das Gegenteil. Sie dient wenigen Industrieländern.“ Dagegen werde dank einiger Ausnahmen für die Finanzbranche und die Rohstoffindustrie „die Ausbeutung der Entwicklungsländer zementiert“. Fairness im internationalen Steuerwettbewerb scheint nicht die Dritte Welt einzubeziehen. Genau das kritisieren auch Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam.

Am Ende geht es doch um Machtpolitik und nationale Interessen. Es geht auch im Jahr 2021 um Powerplay. Der G20-Club kann sich davon nicht freisprechen.

Mehr zum Thema: Venedig richtet das Treffen der G20-Finanzminister aus. Dort lebt ein deutscher Unternehmer und Ex-Politiker seit Jahren. Eine Gelegenheit, um mit Michael Fuchs zu sprechen.

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