Globalisierung „Zivilisation und Wildnis“

Der Politikwissenschaftler Thomas Barnett über die Grenzen der Globalisierung und die Gefahren der wirtschaftlichen und politischen Abschottung

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Mister Barnett, wie kamen Sie dazu, den Globus in zwei Zonen aufzuteilen: in die globalisierte Welt und jenen Teil, der aus der Globalisierung herausfällt? Mein Ausgangspunkt ist die militärische Analyse. Bis zum Ende des Kalten Krieges waren Politiker und Militärs davon überzeugt, die potenziellen Gegner seien andere Großmächte, andere Staaten. Der 11. September hat gezeigt, dass das nicht mehr so ist, sondern die Gefahr in dem Teil der Welt lauert, den man als schwarzes Loch bezeichnen könnte. Also in den armen Weltregionen? Mit arm und reich hat das nur mittelbar zu tun. Manche Erdöl exportierenden Länder sind reich. Entscheidend ist aber, ob sie in die globalisierte Weltwirtschaft eingebunden sind. Viele Ölstaaten aber treiben nur Handel mit einem oder zwei Produkten. Und darum droht dem Westen von dort der Terrorismus? Staaten, die sich an der globalisierten Weltwirtschaft beteiligen, müssen bestimmten Anforderungen genügen: Die jungen Leute brauchen eine vernünftige Ausbildung, Rechtssicherheit ist unabdingbar, dazu ein gutes Klima für ausländische Investitionen. In Gesellschaften, die das alles ablehnen, wachsen die inneren Spannungen, oft auch die außenpolitische Aggressivität, antimodernistische Ideologien machen sich breit – ein idealer Nährboden für Terrorismus und lokale Kriege. Was kann, was soll der Westen tun? Der beste Weg, den Kern größer und das Loch kleiner zu machen, sind Wirtschaftsbeziehungen. Wir müssen in den problematischen Ländern investieren, wir müssen mit ihnen Handel treiben und sie politisch an uns heranführen. Das gilt besonders für Staaten an der Grenze der Globalisierung, die wir stabilisieren müssen. Was heißt das? Die USA müssen die wirtschaftlichen Beziehungen zu den an der Weltwirtschaft orientierten Staaten Lateinamerikas ausbauen. Genauso sollte die EU die Türkei aufnehmen und in ein vollwertiges Kernland der Globalisierung verwandeln.

Ist Ihre Sicht der Welt nicht ein wenig simpel? Sie ziehen einfach zwei Grenzlinien im Norden und im Süden der Weltkugel und versenken so etwa den kapitalistischen Boom-Staat Singapur im Krisenloch, während das zurückgebliebene Weißrussland zum Globalisierungskern gehört. Das sind Problemfälle. Singapur ist eigentlich vorbildlich in die Globalisierung eingebunden, aber so etwas wie eine luxuriöse Stadtvilla inmitten von Slums. Dergleichen ist zumindest riskant. Die potenziellen Krisenherde befinden sich fast alle am Übergang zwischen Kern und Loch. Isolierte Loch-Staaten innerhalb der globalisierten Welt können jedoch relativ harmlos sein wie das schwache Weißrussland oder brandgefährlich wie Nordkorea. Und potenzielle Rivalen der USA wie China, Indien oder Russland machen Ihnen keine Sorgen? Natürlich müssen wir uns auch Sorgen um diese Länder machen. Aber völlig falsch ist es, wenn einzelne Leute im US-Militär und in Washington China für Amerikas Feind Nummer eins im 21. Jahrhundert halten. Ich bin für ein Bündnis mit China. Das Land hat sich klar für die Globalisierung entschieden und handelt entsprechend. Wir und die Chinesen haben weitgehend gleiche Interessen und damit auch die gleichen potenziellen Gegner. Ähnliches gilt für Russland und Indien. Und welche Rolle spielen die Europäer in Ihrem geopolitischen Kalkül? Ich halte es für möglich, dass wir in ein paar Jahrzehnten mit entschlossen globalisierten Staaten wie Russland oder Indien besser kooperieren können als mit einem Europa, das sich zum Teil noch immer vor der Globalisierung verbarrikadieren will. Schreiben Sie Europa ab? Nein, ich glaube eigentlich an eine positive Entwicklung in Europa, besonders in Deutschland. Sie haben bei der Eingliederung Ostdeutschlands gelernt, dass Sonderwege und scheinbar soziale Alternativen zum Weltmarkt nichts bringen: Die Investitionen aus aller Welt fließen nach Polen und Tschechien, nicht in den deutschen Osten. Wenn Sie daraus Konse-quenzen ziehen, stimmt mich das optimistisch. Kann man denn Optimist sein, wenn man die Weltlage aus der Sicht eines Militärs betrachtet? Aber ja doch, ich bin Optimist! Die globalisierten Länder sind für die meisten Menschen in der Peripherie außerordentlich attraktiv, und wenn wir ihnen helfen, werden sie versuchen, uns zu kopieren. Wie im 19. Jahrhundert in Nordamerika die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis immer weiter nach Westen rutschte und schließlich ganz verschwand, wird der globalisierte Kern im 21. Jahrhundert immer größer, wenn wir keine großen Fehler machen. Thomas Barnett, 43, war nach seiner Promotion als Politikwissenschaftler in Harvard Dozent am Naval War College der US-Marine in Newport. Barnett ist heute Senior Managing Director der Beratungsfirma Enterra Solutions.

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