Glücksspiel Der Lotto-Krieg: Glücksspiel-Anbieter klagen um die Wette

Staatliche und private Lottogesellschaften klagen um die Wette. Ein absurder Streit um die Milliardenumsätze im Glücksspielmarkt ist entbrannt.

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Lottokugeln im Studio des Quelle: dpa/dpaweb

Neulich, irgendwo in Frankfurt: Eine junge Frau, sie dürfte um die 18 Jahre alt sein, kauft in einer Lottoannahmestelle einige Zeitschriften, Getränke und Süßigkeiten. Kurz vor dem Bezahlen greift sie noch zu einem Rubbellos der staatlichen Lotterie Hessen. Der Verkäufer verlangt ihren Ausweis – Glücksspiel ist Minderjährigen untersagt. Der Ausweis sei in ihrem Auto, antwortet die Frau genervt, sie habe es eilig. Aber sie könne ja woanders einkaufen. Der Verkäufer überlegt, er möchte den Umsatz nicht verlieren – und gibt nach.

Kurz darauf flattert dem Lotterieveranstalter, der staatlichen Treuhandgesellschaft Lotto Hessen, eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Wiesbaden ins Haus. Der Annahmestellenbetreiber habe gegen Jugendschutzauflagen verstoßen. Dem Schreiben beigelegt: eine eidesstattliche Versicherung der Frau und ein Foto, das sie am Tatort mit Rubbellos und Personalausweis zeigt. Die Frau ist in Wahrheit ein Mädchen – gerade mal 16 Jahre alt.

Juristischer Stellungskrieg um 20.000 Lottobuden

In sieben Bundesländern haben staatliche Lottogesellschaften in ähnlichen Fällen einstweilige Verfügungen kassiert. Die Hausjuristen fluchen, die Annahmestellenbetreiber fühlen sich hintergangen. „Wir werden in erpresserischer Weise hereingelegt“, echauffiert sich ein Kioskbesitzer. Man versuche alles, um Jugendliche vom Lottospiel fernzuhalten: Verkäuferschulungen, Erinnerungen an die Altersüberprüfung im Display der Kasse, harte Geldstrafen bei Missachtung bis zum Verlust der Konzession. „Mehr“, seufzt der Mann, „geht einfach nicht.“

Die 20.000 deutschen Lottobuden sind derzeit Schauplatz eines bizarren juristischen Stellungskrieges. Seit der umstrittene Glücksspielstaatsvertrag den Bundesländern das Lottomonopol gesichert und die Privaten vom Markt gedrängt hat, klagen beide Seiten, was das Zeug hält. Zunächst attackierten die staatlichen Anbieter die Privaten. Jetzt drehen diese den Spieß um und schicken Testkäufer quer durch die Republik. Vordergründig kreisen die Scharmützel um Jugendschutz, aber auch um Spielsucht und wettbewerbsrechtliche Verstöße. Tatsächlich aber geht es nur um eine große Frage: Wer darf ran an die Milliardenumsätze im Glücksspielmarkt?

Nichts ist den Klageführern zu abstrus, keine Petitesse zu klein, kein juristischer Winkelzug zu gewagt, um die Gerichte zu behelligen. Hochbezahlte Experten zoffen tagelang um die angeblich anreizende Werbewirkung von Maikäfern oder Osterhasen auf Lottoplakaten. Sportwettenanbieter berufen sich auf Lizenzen aus Indianerreservaten oder der ehemaligen DDR. Lotterieunternehmen attackieren staatliche Produkte, obwohl sie identische Ziehungen anbieten.

Ein kaum noch zu entwirrendes Knäuel aus Urteilen, einstweiligen Verfügungen und laufenden Verfahren hat sich gebildet. Jeden Tag kommen neue Fälle dazu. Die juristischen Debatten im Glücksspielmarkt haben sich verselbstständigt, gehorchen einer fein ziselierten Logik, die selbst die smartesten Juristen nur mit Mühe verstehen. Wie bloß, fragt sich der unbeteiligte Normalbürger, konnte es so weit kommen?

Bundesverfassungsgericht: Quelle: dpa

Denn eigentlich ist mit dem Glücksspielstaatsvertrag gleich dreifach höchstrichterlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt: Das Glücksspielmonopol ist rechtens, wenn der Staat den Spieltrieb seiner Bürger kanalisiert, indem er als Lotterieveranstalter und Sportwettenanbieter der Spielsucht vorbeugt und über den Jugendschutz wacht. Deshalb ist Minderjährigen die Spielteilnahme verboten. Die Werbung unterliegt strengen Auflagen. Das Glücksspiel im Internet ist untersagt.

Damit ist privaten Anbietern wie Tipp24, die im Internet ihr Geld verdienen, das Geschäftsmodell abhanden gekommen. Das Unternehmen klont in seiner Not im ausländischen Exil die staatlichen Ziehungen und kapert mit beachtlichem Erfolg das monopolistische Lottoschiff in der Heimat. Unternehmer wie Tipp24-Chef Jens Schumann würden wohl gern zurückkehren. Wenn man sie nur ließe. Deshalb jetzt die vielen Klagen, deshalb die juristischen Gefechte. Dem Staat soll klargemacht werden, dass die öffentlichen Lottogesellschaften (vulgo: der Staat selbst) die Regeln verletzen. Die Politik, so das Ziel, möge endlich kapieren: Dieser Glücksspielstaatsvertrag ist von vorn bis hinten großer Murks und gehört abgeschafft.

Mächtiger Club sorgt für Chaos und Ärger

Der Chefankläger der Privaten ist Rainer Jacobs, ein Kölner Jura-Professor, Rechtsanwalt und vor allem: der Vorstandsvorsitzende des Verbands für Gewerbetreibende im Glücksspielwesen, kurz GIG. Ende vergangenen Jahres gegründet, vertritt der Verband nach eigenen Angaben direkt und indirekt 500 private Glücksspielunternehmen. Ein mächtiger Club hat sich da gefunden. Seine Mitglieder setzten im vergangenen Jahr anderthalb Milliarden Euro um. Genügend Geld, um die besten Anwälte der Republik von der Kette zu lassen.

Aufgabe des Verbands sei es, Marktteilnehmer zu überwachen und Regelverstöße aufzudecken, sagt Jacobs. Sein bisher größter Coup: der Fehltritt eines bayrischen Annahmestelleninhabers. Zunächst trat der Mann auf einem Plakat von Lotto Bayern mit der seriösen Botschaft „Vertrauen durch fachkundige Beratung“ in die Öffentlichkeit. Dann erwischte ihn der GIG-Verband mit der Handykamera beim Verkauf von Sofort-Losen an eine Minderjährige – vor just diesem Plakat.

Ein weiteres Opfer des klagefreudigen Verbands heißt Heinz-Georg Sundermann. Der Chef der Staats-Gesellschaft Lotto Hessen, ein hochgewachsener Mittfünfziger, sitzt in seinem Büro an der Wiesbadener Rosenstraße und weiß gar nicht, wie und wo er anfangen soll mit den Erklärungen. So viele Fälle. So viel Chaos. So viel Ärger.

Zum Beispiel diese Sache mit dem Rocksänger Rod Stewart. Die Hessen sollten mit einer Art Kombi-Los Eintrittskarten für ein Rod-Stewart-Konzert gewinnen und zugleich Lotto spielen können. Im ganzen Bundesland hatte Sundermann die Aktion plakatieren lassen, auf Bussen, Litfaßsäulen – das volle Programm. Die Poster zeigen über dem Sucht-Hinweis ein Konterfei des Sängers.

So nicht, urteilte das Landgericht Wiesbaden, nachdem der GIG-Verband Beschwerde geführt hatte. Die Darstellung von Rod Stewart errege zu viel Aufmerksamkeit. Das widerspreche dem Staatsvertrag. Wieder eine einstweilige Verfügung. Wieder ein Erfolg für den GIG-Verband.

Sundermann stampfte kurzerhand die Aktion ein. Andersfalls hätte er ein Bußgeld von 250.000 Euro oder sechs Monate Ordnungshaft riskiert. Der Manager ist sichtlich genervt. „Was, bitte schön“, fragt er, „hat das noch mit Spielsuchtprävention zu tun?“

Rocksänger Rod Stewart: Zu Quelle: AP

Er, der Jurist, verliert allmählich den Glauben in den Rechtsstaat. Oft hätten die Richter zu wenig Kenntnis von der Materie, häufig kassiere die nächsthöhere Instanz Urteile gegen den Staat wieder ein. Doch darüber spreche niemand.

Im Gegenzug könne er nicht gegen illegale private Anbieter im Ausland vorgehen, selbst wenn er das Recht auf seiner Seite habe: „Versuchen Sie mal, ein Urteil gegen einen Unternehmer auf Gibraltar zu vollstrecken.“ Dies habe zur Folge, dass im deutschen Sportwettenmarkt 90 Prozent der Umsätze illegal erwirtschaftet werden. Ja, sagt er irgendwann gequält, der Glücksspielstaatsvertrag sei zwar eine konsequente Lösung der Politik, doch seine Durchsetzbarkeit sei anscheinend problematisch. „Hier brauchen wir eine Lösung.“

Zutiefst unglücklich über den Staatsvertrag ist auch der Unternehmer Norman Faber – freilich aus anderen Gründen. Der Erfinder der Lottotippgemeinschaften ist schwer zu bremsen, sobald er das Wort „Glücksspielstaatsvertrag“ hört. Wie auf Knopfdruck sprudeln dann Wörter wie „unfassbar“, „gnadenloser Kampf“ oder „Willkür reinsten Ausmaßes“ aus seinem Mund.

Der Bochumer kann nicht verstehen, dass er in einigen Bundesländern ausgesperrt werden soll, obwohl der Staatsvertrag gewerbliche Spielevermittler wie ihn zulässt. Wegen solch „behördlicher Willkür“ sei die Arbeit des GIG-Verbandes so wichtig. Es gehe um Chancengleichheit. „Wir müssen da was machen, sonst sind wir dem Staat hilflos ausgeliefert.“

Alle drei, der Chefankläger Jacobs, der Unternehmer Faber, ja insgeheim wohl auch der staatliche Manager Sundermann fürchten, dass das Lottospiel schweren Zeiten entgegengeht. Wegen der scharfen Werbe-Auflagen und des Internet-Verbots verliert die Jagd nach den sechs Richtigen an Popularität. Viele Lottoannahmestellen kämpfen ums Überleben. Die Margen von Tabak und Printprodukten schrumpfen. Je weniger Kioske, desto weniger Lotto.

Problem Nummer zwei hat damit zu tun, dass die Spieler im Schnitt etwa 50 Jahre alt sind. Lotto, das sei gewissermaßen die CDU unter den Glücksspielen, spottet ein staatlicher Lottomanager. Der Nachwuchs tippe im Netz bei der illegalen Konkurrenz.

Spieleinsätze um eine Milliarde gesunken

Tatsächlich sind die Spieleinsätze im deutschen Lotto- und Totoblock im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um eine Milliarde auf 6,7 Milliarden Euro gesunken. Der Staat verliert Geld, denn fast 40 Prozent der Einsätze fließen in die öffentlichen Haushalte oder kommen gemeinnützigen Vereinen zugute.

Zugleich hat der Staatsvertrag nach Meinung einiger Experten illegale Wetten und Lotterien nicht verhindert. Millionen Deutsche pokern unverzagt im Netz auf ausländischen Servern, tippen dort Sportergebnisse oder spielen Lotto. Die ins Ausland abgewanderten Anbieter müssen weder die Lotteriesteuer zahlen noch an wohltätige Vereine ausschütten.

Trotzdem werden die Regierungschefs der Länder am Vertrag nicht rütteln. Sie sind heilfroh, überhaupt alle 16 Länder unter einen Hut gebracht zu haben. Also wird munter weitergeklagt. Zur Abwechslung mal wieder von den staatlichen Gesellschaften. Sie wollen dem verhassten GIG-Verband die Aktiv-Legitimation absprechen – also die Berechtigung, wettbewerbsrechtliche Verstöße einzuklagen. Dies dürfen nur Verbände, die eine erhebliche Anzahl von Wettbewerbern vertreten. Da viele GIG-Unternehmen aber keine Erlaubnis haben, in Deutschland ihrem Geschäft nachzugehen, seien sie auch keine Wettbewerber.

Die ersten Verfahren laufen schon.

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