Görlachs Gedanken

Angela Merkel hat jetzt drei Möglichkeiten – und sie sind alle Mist

Ändert die Kanzlerin ihre Flüchtlingspolitik? Bleibt sie bei ihrem Kurs? Die öffentliche Debatte, die wir nun erleben, ist absurd. Denn die Politik von Angela Merkel ist in Wahrheit nicht das Problem.

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Kolumnist Alexander Görlach hält nichts von der Debatte, dass die Kanzlerin ihre Flüchtlingspolitik ändern soll. Quelle: REUTERS

Wenn in einem Bundesland mit der größten Fläche und der kleinsten Anzahl aufgenommener Flüchtlinge über 20 Prozent die rechtsradikale AfD wählen, dann muss die Regierung nicht ihre Flüchtlingspolitik überdenken, sondern die Bildungspolitik. Diese Einschätzung machte nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern in den sozialen Netzwerken die Runde – und sie ist goldrichtig.

Die Mehrheit der AfD-Wähler gab an, dass es ihnen wirtschaftlich gut gehe. Ihre Wähler sind also eben nicht der viel beschworene kleine Mann, der Wende-Verlierer. Der AfD-Wähler möchte der Regierung einen Denkzettel verpassen, wegen der ganzen Mohammedaner, die Merkel ins Land gelassen hat. Aber Denkzettel für was?

Es geht ja niemanden schlechter in Deutschland wegen der Flüchtlinge, das Land steht gut da - und was schlecht in Deutschland läuft, lief schon vor dem September 2015 schlecht. 

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Die traurige Wahrheit aber ist, dass sich mit der AfD nun mehr eine Partei rechts der CDU etabliert hat. Viele ehemalige CDU-Funktionäre finden sich in ihr. Von daher ist die bayerische Schnappatmung zu verstehen, die sich schon seit der Aufnahme der Flüchtlinge im vergangenen September aus dem Süden der Republik vernehmen lässt. Horst Seehofer, der selbst ein Populist ist, hat sofort gespürt, welches Potenzial nach rechts die Bundeskanzlerin mit ihrer Aktion öffnet.

Diese Gemengelage bestimmt die Optionen, die die Bundeskanzlerin nunmehr im Hinblick auf ihre eigene Zukunft und die Bundestagswahl im kommenden Jahr hat. 

  1. Frau Merkel könnte zu allererst einmal nicht mehr antreten als Spitzenkandidatin. Die Union hat keinen vorzeigbaren Kandidaten, der oder die der amtierenden Kanzlerin auch nur ansatzweise adäquat nachfolgen könnte – außer Wolfgang Schäuble. Der wird aber Bundespräsident nächstes Frühjahr. Horst Seehofer, der ja immer mal wieder genannt wird, und der sicher auch einige Anhänger hat, ist eine bayerische Le Pen, nur viel unbeständiger und erratischer und scheidet damit aus.

  2. Frau Merkel könnte "stur" bei ihrem Kurs bleiben. Doch welche Sturheit ist da im öffentlichen Diskurs gemeint? In diesem Jahr sind deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland gekommen als 2015. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, dass es in 2016 so weiter gegangen ist wie in 2015. Also soll Frau Merkel sich von einer Politik distanzieren, die gar nicht mehr stattfindet?

  3. Frau Merkel könnte einräumen, dass sie einen Fehler gemacht hat und sagen "Wir schaffen es nicht". Was ist die Konsequenz daraus? Dass die Rechten dann mit dem Segen der Obrigkeit Asylanten auf der Straße bespucken darf?

Diese drei Optionen, wie sich die Bundeskanzlerin nach der verlorenen Landtagswahl positionieren könnte oder müsste, sind alle drei nicht valide. Sie führen zu nichts, also zu keiner Politik. Warum?

Es geht um niedere Instinkte

Es geht überhaupt nicht um ein konkretes Politikfeld. Es geht um ein Gefühl. Ein Gefühl der Angst, der Furcht, die sich kanalisiert. Es ist eine Angst vor dem Islam und den Muslimen. Darin ist überhaupt kein rationales Argument zu finden, dass es in der nötigen Debatte um Integration aber geben müsste. Es geht nicht darum, Muslime in unserer westlichen Gesellschaften zu integrieren. Es geht um keine Politik. Es geht, man muss es immer wieder und wieder wiederholen: um Gefühle. Nein, um Instinkte, niedere Instinkte sogar.

Die Reaktionen zur Landtagswahl
Die Anhänger der AfD in Schwerin haben etwas zu jubeln. Ihre Partei holte bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern - ersten Hochrechnungen zufolge - aus dem Stand 21,5 Prozent der Stimmen. Quelle: dpa
Freude gab es auch bei den Anhängern der SPD. Sie wurde erneut stärkste Kraft und kann auch in Zukunft den Ministerpräsidenten stellen. Aber auch die Sozialdemokraten haben deutlich verloren. Quelle: dpa
Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern und Wahlgewinner, Erwin Sellering, hat sich nicht auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU festgelegt. Er habe keine Präferenz für eine Koalitionsoption, sagte der SPD-Politiker nach der Landtagswahl am Sonntag. "Wir werden mit allen reden." Es gebe neben der CDU auch eine zweite Möglichkeit. Nach den ersten Hochrechnungen könnte die SPD auch mit Linken und Grünen eine Regierung bilden. Quelle: dpa
Lange Gesichter hingegen gab es bei der CDU. Sie lag mit unter 20 Prozent sogar noch hinter der AfD. Quelle: dpa
Der CDU-Spitzenkandidat, Lorenz Caffier, hat der Parteispitze in Berlin eine Mitschuld an der Wahlniederlage gegeben. Die Verunsicherung der Menschen über das Thema Flüchtlinge habe man in Berlin nicht genügend wahrgenommen, sagte Landesinnenminister Caffier am Sonntagabend. Man könne zudem aus dem Ergebnis lernen, dass man kurz vor der Wahl nicht über Katastrophenschutzpläne diskutieren sollte. Diese Kritik richtet sich an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Dieser hatte vor eineinhalb Wochen ein Konzept für den Fall eines Terror- oder Cyberangriffs vorgelegt. Die Kritik, er schüre damit nach den jüngsten Anschlägen Verunsicherung, hatte de Maizière zurückgewiesen. Quelle: dpa
Das Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist nach Ansicht des CDU-Politikers Michael Grosse-Brömer ein Denkzettel für die große Koalition. "Dies ist kein schöner Wahlabend für uns", sagte der parlamentarische Geschäftführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Die große Koalition sollte ein stückweit auch abgestraft werden", sagte er mit Hinweis auf die Verluste sowohl von CDU als auch SPD. Offenbar müsse die Bundesregierung gerade die Flüchtlingspolitik besser erklären und den Menschen klarmachen, dass viele Sorgen vor Ort unnötig seien. Eine Politikänderung gegenüber der AfD halte er nicht für notwendig. 75 Prozent der AfD-Wähler wollten gar keine Lösungen. Das seien Proteststimmen. Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber führt die schwere Schlappe seiner Partei bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern auf weit verbreiteten „Unmut und Protest“ in der Bevölkerung zurück. Dies habe offensichtlich zu großen Teilen „mit der Diskussion über die Flüchtlinge“ zu tun, sagte er am Sonntagabend in Berlin. „Dieses Ergebnis und das starke Abschneiden der AfD ist bitter“, sagte Tauber. Quelle: dpa

Endlich ist da wieder eine Gruppe, die man nach Herzenslust denunzieren und erniedrigen darf. Das ist in sehr vielen westlichen Gesellschaften nach dem 11. September zu beobachten gewesen und hat Jahr für Jahr zugenommen: die Zustimmungswerte in Umfragen, die Muslime und ihre Lebensweise als unvereinbar mit der unseren, der christlichen, der westlichen, betrachten. Dazu gäbe es in der Tat viel zu sagen: zum Beispiel über die wirklichen Integrationswerte von jungen Muslimen in westlichen Gesellschaften. 

Für die Bundestagswahl ist klar: eine Politik, die freundlich ist gegenüber Asylsuchenden und Kriegsflüchtlingen wird keine Chance haben. Eine Politik, die sich differenziert mit echten Problemen auseinandersetzt (der Burkini ist kein echtes Problem) wird es schwer haben. Angela Merkel war immer eine Politikerin des sachlichen, nackten, manche würden sagen, kalten Kalküls. Die Aufnahme der Flüchtlinge im vergangenen Jahr geschah, um eine Katstrophe in Europa zu verhindern. Es war der Versuch, eine zuvor, auch durch Versäumnisse der Deutschen auf europäischer Ebene, gescheiterte Flüchtlingspolitik zu korrigieren.

Dass dieser politische Ansatz in Einklang mit der Sittenlehre Kants und der Lehre der Bergpredigt steht, ist großartig, war aber sicher nicht ganz oben auf der Abwägungsliste der Bundeskanzlerin.

Man muss befürchten, dass eine rationale Politik in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr gewünscht und daher auch nicht gewählt werden wird. Die Deutschen werden sich an ihren Lagerfeuern dereinst erzählen, wie schön es war, von einer besonnenen und wenig emotional agierenden Kanzlerin regiert zu werden.

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