Görlachs Gedanken

Die Welt braucht Angela Merkel - oder etwa nicht?

Als Führerin der freien Welt wurde die Kanzlerin weltweit geradezu verehrt. Aber ihr ungeschicktes Sondierungs-Verhalten zeigt auch, wie viel Überschätzung dabei mitschwang. 

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlässt eine Pressekonferenz am 27.11.2017 in Berlin Quelle: dpa

Angela Merkel ist Mutter und Haupt unseres Landes: als erste konservative protestantische Frau aus den neuen Teilen der Republik hat sie das, was es unter Adenauer und Kohl hieß, deutscher Kanzler zu sein, transzendiert. Angela Merkel wird heute in aller Welt als Frau der Prinzipien gefeiert, die die Menschenrechte gegenüber ihren ärgsten Feinden in Russland und China anspricht und einfordert.

Sie wird als Frau gelebter Moral gefeiert, die den Flüchtlingen aus Syrien ein Obdach in Deutschland schenkte. Sie wird auf der ganzen Erde nicht nur als die am längsten amtierende Regierungschefin der Bundesrepublik verehrt, sondern als starke Europäerin, Anführerin des Westens und mächtigste Frau der Welt.

Und nun das: der Taktikerin und Verhandlungskönigin gelingt es nicht, eine Regierung zu bilden! In manchen Teilen der Welt begehrt man bereits auf: so schickten die Engländer vergiftete Grüße ins sichere Herkunftsland ihrer Monarchen: kümmert ihr euch um euren Kram, bevor ihr uns vorschreibt, wie wir unser Brexit-Desaster moderieren sollen.

Merkel rügt Argrarminister Schmidt

Der Grund für das Debakel von Frau Merkel liegt auf der Hand: Deutschland ist keine Monarchie, sondern eine parlamentarische Demokratie. Was in der Außenpolitik stabilisierend wirken mag, eine lange währende gleiche Regierung, wirkt innenpolitisch wie Blei. Die Deutschen sind nach zwölf Merkel-Jahren monoton durch- und fertig regiert. Unterschiede sind verschwommen, parlamentarischer Diskurs minimiert.

Den potentiellen kleinen künftigen Partnern aus Grünen und FDP wurde von Frau Merkel in Aussicht gestellt, unter dem Mantelsaum der immerwährenden Kanzlerin ein zu hause zu finden. Der Öko-Partei versprach sie, als Wiedergutmachung für die gescheiterte Regierungsbildung in 2013, künftig etwas grün zu tragen. Den Liberalen sollte es genügen und eine Ehre sein, diese alte Regierung als eine neue zu legitimieren. Ein Hauch von Napoleon wehte durch die Parlamentarische Gesellschaft in Berlin: dieser ließ den Papst nach Paris kutschieren, um sich schließlich bei der Zeremonie selbst die Krone aufs Haupt zu setzen.

Vertiefung in den Gräben der politischen Landschaft

Seit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen hat die seit Jahren sedierte deutsche Politik wieder etwas Pepp. Leider an einer Stelle, wo sie ihn nicht gebrauchen kann: die Grünen verbreiten das Märchen, die Liberalen wären in unhöflicher Manier vom Verhandlungstisch aufgestanden, um nicht regieren zu müssen.

Sie verschleiern damit, dass sie es, wie 2013 auch, wegen einer maximal-losen Kanone Jürgen Trittin nicht geschafft haben, eine Bundesregierung zu bilden. Während sich die FDP gegen üble Nachrede der Öko-Gerechten und das Heer von schwarz-grünen Journalisten verteidigen muss, die sich schwarz-grün  als Wunschkoalition schon seit Jahren herbeiwünschen, tut die Kanzlerin: nichts.

Weder in den Sondierungen noch nach ihrem Scheitern sind von Frau Merkel Worte zu hören, die zur Versöhnung aufrufen, die weitere Spaltung verhindern. Sie lässt die Vertiefung in den Gräben der deutschen politischen Landschaft zu, weil ein Hinabsteigen dorthin, nicht nur im Ausland, für eine Kaiserin als unwürdig erachtet werden würde. Damit verschwindet allerdings nicht nur der Nimbus einer christlichen Regentin, der ihr seit der Flüchtlingsrettung zugesprochen wurde, sondern auch die Aura von salomonischer Klugheit und Ausgewogenheit.

Wenn Deutschland erst einmal keine neue Bundesregierung hat, sondern Frau Merkel sich im Parlament wechselnde Mehrheiten besorgen muss, wird sich zeigen, wie viel von dem wirtschaftlichen Erfolg der vergangenen Jahre wirklich der Regentschaft der Kanzlerin zugesprochen werden kann. Es ist klar, warum Frau Merkel diese Variante nicht bevorzugt: Sollte die Wirtschaft in einem von der Union als unstabil gebrandmarkten Zustand genauso gut oder gar besser agieren können, dann stünde fest: Die Kaiserin trägt überhaupt gar keine Kleider.

"Unser Land verträgt keinen Stillstand"
Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG"Unser Land verträgt keinen Stillstand", erklärt VW-Chef Matthias Müller. Es müssten wichtige Entscheidungen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands getroffen und deshalb schnell klare Verhältnisse geschaffen werden. "Eine Hängepartie können wir uns nicht erlauben." Quelle: dpa
Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats ("Die fünf Wirtschaftsweisen")Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, hat angesichts des Scheiterns der Jamaika-Sondierungen vor einem Regierungsbündnis aus ständig miteinander streitenden Parteien gewarnt. "Ein Bündnis, deren Partner sich in den kommenden Jahren vor allem gegenseitig blockieren würden, wäre wohl noch schlechter als eine schleppende Regierungsbildung", sagte Schmidt am Montag. Auch habe der Abbruch der Gespräche für eine Koalition aus Union, FDP und Grünen die Ausgangslage für die deutsche Wirtschaft derzeit kaum verändert. "In jedem Fall sind die negativen Auswirkungen der gescheiterten Jamaika-Sondierungen eher langfristiger als konjunktureller Natur", sagte der Ökonom. Nach wie vor sei die konjunkturelle Lage in Deutschland sehr gut, betonte Schmidt. Die Wirtschaft erlebe einen langen und robusten Aufschwung. Allerdings gebe es mittel- und langfristig große Herausforderungen, wie der demografische Wandel, die Digitalisierung oder die Fortentwicklung der Europäischen Union. Darauf müsse eine neue Regierung Antworten finden. Quelle: dpa
Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts Quelle: dpa
Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer Quelle: REUTERS
Thilo Brodtmann, VDMA-Hauptgeschäftsführer Quelle: VDMA
Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen Quelle: Presse
Matthias Wahl, Präsident des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) Quelle: PR

Für den Rest der freien Welt ist diese von Frau Merkel herbeigeführte Lage mehr als misslich und hat alles Potential zu eskalieren. Die kecke Adresse aus England, das durch einen erlogenen Brexit das Modell der liberalen Demokratie in Richtung Klippe navigiert hat, ist nur der Anfang: Im Weißen Haus sitzt ein Misanthrop, der für Frauen, nicht nur in Führungspositionen, nichts übrig hat. Und die Bedrohung des freien Westens durch Russland und China ist über Nacht nicht weniger geworden. Der Westen bräuchte im Moment nichts mehr als eine kluge Anführerin. Nun ruht alle Hoffnung auf Paris.

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