Görlachs Gedanken
Eine

Es gibt kein linkes Meinungskartell in Deutschland

50 Jahre nach 1968 fordert ein CSU-Politiker eine konservative Revolution. Das ist geschichtsvergessen und gefährlich. Denn die Linken von heute haben mit denen von damals kaum mehr etwas gemein.

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Das Jahr 2008 war ein großes Reflexionsjahr, 40 Jahre nach den Ereignissen von 1968. Autoren wie die Historiker Götz Aly oder Ingrid Gilcher-Holtey brachten viel beachtete Bücher auf den Markt. Das Thema der 1968-Generation und ihr Einfluss auf die Bundesrepublik wurde umfänglich aufgearbeitet und diskutiert. Für die einen waren sie an allem schuld, für die anderen wurden sie wie messianische Heilsgestalten verehrt.

40 Jahre, das war genau der richtige Abstand, der kairos, der rechte Augenblick, um die Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen und die Rezeptionsgeschichte jenes Schicksalsjahres und seiner Ausläufer zusammenzufassen und auszuwerten. Danach war alles gesagt: diese Generation hat ohne Zweifel Deutschland verändert, aber nicht in dem Maße, wie es in der glorifizierten Rückschau mancher zu wirkt.

Zehn Jahre später holt nun ein bayrischer Politiker die 68er Bewegung noch einmal hervor, um sie als die heimlichen Regenten des Landes zu exponieren und dazu aufzurufen, ihren vermeintlichen Lebensort, den Prenzlauer Berg in Berlin, auszuräuchern. Zu lange, so meint es Alexander Dobrindt von der CSU, habe eine Art linkes Meinungskartell dem Land seinen Lebensstil aufgezwungen. Er, Dobrindt, stoße nun ins Horn, um eine „konservative Revolution“ gegen diese Gesinnungsjunta anzuführen. Man darf sich die Augen reiben – nicht nur, weil der Begriff „konservative Revolution“ einen braunen Beigeschmack hat, sondern, weil die Behauptungen von Dobrindt in der Sache völlig falsch sind.

Die Bundesrepublik Deutschland hat in Folge der Flüchtlingskrise einen Rechtsruck erlebt, von denen das Land in periodischen Stößen immer wieder erschüttert wird. Wenn es um Ausländer geht, heißt es seitdem fast ausschließlich: abschieben oder gar nicht erst reinlassen. Die AfD hat den Kessel überhitzt und nun überbieten sich die Parteien in Forderungen, die alles andere als links sind. Sie finden damit in den verschiedensten Gruppen Gehör und erfreuen sich generell einer allgemeinen, breiten Zustimmung in weiten Teilen der Gesellschaft. Ganz gleich, ob am Ende in den jeweiligen Milieus SPD oder CDU gewählt wird.

Alexander Görlach. Quelle: David Elmes, Harvard University

Die 68er selbst waren keine lupenreinen Linken. Die RAF war frauenfeindlich und antisemitisch eingestellt, die Rhetorik von Rudi Dutschke totalitär und die Verehrung für Gestalten wie Ho-Che-Minh geradezu skandalös und Zeugnis nicht ausgeprägten Geschichts- und Gerechtigkeitssinns einer jungen Generation, die zurecht über die Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern und die daran anschließende Verschwiegenheit richtete.

Es gibt keinen ernstzunehmenden Ort in Deutschland, an dem dieses alt-linke Gedankengut heute unwidersprochen geäußert würde, geschweige denn Mainstream wäre. Und ganz sicher ist der Prenzlauer Berg in Berlin nicht das letzte Refugium dieser Weltanschauung. All das sollte auch Alexander Dobrindt wissen. Vermutlich weiß er es sogar und erweckt bewusst den Anschein, die heutigen Linken seien mit denen von damals vergleichbar.

Dobrindts Debatte taugt nicht um herauszustellen, wer in Deutschland alles links ist. Vielmehr zeigt sie, wie rechts die CSU weiterhin ist. Linkes Gedankengut wurde über die Jahrzehnte modifiziert, neu justiert, weiter entwickelt und ist längst nicht mehr in einer Form vorzufinden, für die die Jahreszahl 1968 stehen mag.

Im Sommer 2011 fragten beispielsweise Vorreiter eines denkenden konservativen Bürgertums hierzulande, – wie der viel zu früh verstorbene Publizist Frank Schirrmacher – ob die Linke angesichts der Katastrophe, in die der Neoliberalismus und der unkontrollierte Finanzkapitalismus die Welt geführt hatte, nicht vielleicht doch recht gehabt haben könnte. Das war eine echte Debatte, in der sich konservative und linke Ökonomen und Gesellschaftstheoretiker auf Augenhöhe begegnen und ihre Standpunkte diskutieren konnten.

Was aber bleibt?

Die Rede von Dobrindt ist dagegen nur ein laues Lüftchen, ein gefährliches und demagogisches Säuseln! Quillt doch daraus Geschichtsvergessenheit („konservative Revolution“ als antidemokratische Bewegung) und eine Form von Rhetorik, mit der sich die Protagonisten der AfD in den öffentlichen Diskurs spielen: Feinde ausmachen, wo keine sind, um die Reihen zu schließen und die ihrigen hinter xenophoben Parolen zu versammeln. Dieses Gedankengut wird auch in 100 Jahren noch falsch sein.

Links sein hingegen hat sich verändert, rechts ist immer noch dieselbe menschenverachtende Soße. Dass so etwas im Gewande des Christlichen einher schreiten darf, kann und muss die Christenheit zornig machen. Keine Predigt kann hier politisch genug sein, um das herauszustellen.

Was aber bleibt? Die so genannte 68er-Generation von Politikern, die sich langsam in den Ruhestand verabschiedet, hinterlässt den nachkommenden Generationen einen mächtigen Berg an Pfründen, die sie sich die einstigen Staatsfeinde beim Gang durch die Institutionen gesichert haben: eine Rente und soziale Absicherung, von denen die so genannten Millennials einst am Lagerfeuer erzählen werden, als eine Ahnung dessen, was einmal möglich war, wenn man Sozialstaat sagte, aber Raubbau an künftigen Generationen meinte.

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Hierzu ist nichts zu hören aus dem Munde des bayuwarischen Revolutionärs: wie soll eine faire und generationengerechte Gesellschaft aussehen? Was muss in der nächsten Koalition, in der man ja in babyboomender Eintracht danach trachtet, wieder miteinander zu regieren, konkret an Politik gemacht werden, um das drohende Fiasko abzuwenden? Die Rentenkasse wird ohne Zuschüsse aus Steuermitteln nicht auskommen, die Rente ist nicht sicher.

Debatten ohne Sachkenntnis und argumentative Schärfe, sehr geehrter Herr Dobrindt, sind keine. Es gibt kein linkes Meinungskartell in Deutschland, sondern eine AfD, der Sie in Ihrer Rhetorik nacheifern. Was es in Deutschland gibt, ist eine heranwachsende Generation, die sich den Luxus bereits heute nicht mehr gönnen kann, Ihren revisionistischen Tiraden zu folgen, sondern sich sorgen muss, nicht der Altersarmut anheim zu fallen.

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