Görlachs Gedanken

Fall Jan Böhmermann: Angela Merkel hätte souveräner sein müssen

Wie reagiert der Rest der freien Welt auf Satiriker wie Jan Böhmermann? Mit Gelassenheit. Darin zeigt sich die wahre Größe einer Nation - und ihre Stärke.

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Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan Quelle: AP

Die Staatsaffäre Böhmermann ist beendet, zum Schmähgedicht ist alles gesagt, zur rechtsstaatkonformen Reaktion der Bundeskanzlerin an die Adresse der türkischen Regierung auch. Nun bleibt nur noch, den Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch zu tilgen, der Majestätsbeleidigung mit bis zu drei Jahren Gefängnis belegt.

Der alberne Paragraph wird fallen, da es ja wirklich zumindest einen Staatspräsidenten gibt, der sich nicht schämt, vermeintliche Beleidigungen an seine Person auch im Ausland verfolgen zu lassen. So wie in der Türkei alles freie Denken geknebelt und die Gesellschaft in eine religiöse rücküberführt werden soll, so stellt sich der Herrscher vom Schwarzen Meer auch die Unterordnung der Nationen vor, die er als Peripherie der Türkei betrachtet.

Dabei wird deutlich, und das haben wir letztlich der Satire von Jan Böhmermann zu verdanken, dass Politiker, die einer liberalen, freiheitlichen Gesellschaftsordnung - der Demokratie - zusprechen, Angriffe auf ihre Person besser "verkraften" als Autokraten wie der türkische Führer Erdogan.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Ein Angriff gilt entweder dem Amt oder der Person. Beide sind voneinander getrennt. Nur Autokraten wie Herr Erdogan oder Herr Putin begreifen sich als die Verkörperung der Nation, den natürlichen Gipfel ihres, sei es des osmanischen, sei es des russischen Narratives. Wie handhaben ähnliche Herausforderungen denn freiheitliche Nationen, wie handhaben es die USA; das Flaggschiff der freien Welt?

Reaktionen auf den Entscheid der Regierung im Fall Böhmermann

In Amerika ist das Verbrennen der Flagge ein Skandal, wird aber nicht strafrechtlich verfolgt. Die Größe der Nation besteht darin, dass man sie auch kritisieren kann. Das gilt auch für den Commander in Chief. Barack Obama hat in den vergangenen Jahren demonstrativ gelassen auf die vielen rassistischen Einlassungen reagiert, mit denen er konfrontiert wurde: er sei ein Muslim, er sei kein Amerikaner, was im Konzert der Anklagen noch die feineren waren.

Selbstverständlich spielte auch seine Hautfarbe eine Rolle. Doch der Präsident ist gelassen, weil er weiß, dass die Anfeindungen gegen seine Person nicht das Amt treffen können, das für viele US-Amerikaner völlig unbescheiden das schönste und bedeutendste in der freien Welt darstellt.

Auch Donald Trump will die Freiheit einschränken

Möglich macht dies in den USA das First Amendment der Verfassung, das festschreibt, dass die Redefreiheit unter keinerlei Umständen eingeschränkt werden darf. Man darf sich öffentlich äußern wie man möchte, das gilt für politische Aussagen allgemein wie auch für die Person des Präsidenten im Besonderen. Ein Recep Erdogan würde es in den USA keinen Tag aushalten. In der Türkei hat er rund 1800 Verfahren gegen Bürger angestrengt, von denen er sich beleidigt fühlt.

Kein Wunder, dass ein Donald Trump, der in seiner xenophoben Grundausstattung einem Herrn Erdogan nicht unverwandt ist, diese Freiheit einschränken möchte. Die Rechtsprechung in den USA sieht in Politikern Personen von öffentlichem Interesse. Diese werden in ihren Rollen Adressaten von Schmähungen, Beschimpfungen, Kritik durch den populus, durch das Wahlvolk. Sie haben durch ihre Ämter weniger Schutz und nicht mehr - so wie etwa der deutsche oder der österreichische Bundespräsident gesetzlich gegen Verunglimpfungen geschützt sind.

Auch die Presse genießt weitgehendste Freiheiten. Nur weil bei der Berichterstattung auch Fehler vorkommen können, naturgemäß, könnte nicht im Vorhinein eine bestimmte Berichterstattung ausgeschlossen oder verboten werden. Das gilt in den USA seit 1964, als ein Bürger die New York Times wegen eines Recherechefehlers auf 500.000 Dollar Schmerzensgeld verklagte und damit scheiterte.

Trump möchte das nun ändern, den Schutz, den die freie Presse genießt, absenken, um, wie er sagt, die Medienhäuser und Journalisten zu verklagen und "jede Menge Geld damit zu machen".

Dahinter steckt ein ähnliches Kalkül wie in der Türkei: In der Republik Erdogans werden Verleger mit Steuernachzahlungen konfrontiert, die angeblich aufgelaufen seien. Diese könnten bezahlt oder vergessen werden, sollte man als Verleger beginnen, erdoganfreundlich zu schreiben. Ähnliches hat Donald Trump im Sinn: durch die permanente Drohung, einen Verlag mit Klagen zu überziehen und zu lähmen, entstünde ein ähnliches Klima der Einschüchterung und der Unfreiheit.

Die Bundeskanzlerin hat gut daran getan, anzukündigen, dass zumindest der Paragraph fallen werde, der die Beleidigung ausländischer Staatschefs unter Strafe stellt. Das stärkt die Meinungsfreiheit und schützt die Presse. Aber warum nicht einen Schritt weitergehen und sowohl den Paragraphen abschaffen, der den Bundespräsidenten besonders schützt. Und wenn man schon dabei ist: auch den Gotteslästerungsparagraphen abschaffen? Freie Gesellschaften haben keine allerheiligsten Güter außer den Freiheiten, die sie der Person als unveräußerlich und von Geburt an zusprechen. Hier gilt: je mehr Freiheit, desto besser. Deutschland sollte sich hier an den USA orientieren.

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