Görlachs Gedanken

Martin Schulz ist kein Barack Obama – und kann doch von ihm lernen

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Martin Schulz ist aber ganz sicher der Kandidat der Parteiführung

Ob das gelingen wird, hier muss man fair sein, ist nicht vorhersehbar. Ein Bericht in der FAZ muss erschrecken. Journalisten des Frankfurter Qualitätsblattes begleiteten im westdeutschen Haßloch den zuständigen SPD- und den CDU-Politiker. der Grund: in dem "deutschen Durchschnittsort" hatten bei der letzten Landtagswahl 18.8 Prozent AfD gewählt. In dem Ort ist die Arbeitslosigkeit niedriger als im Schnitt, ein wohlhabenderer Streifen Erde in Deutschland. Die in dem Artikel befragten Bürgerinnen und Bürger können so recht nicht sagen, was ihnen nicht passt.

Vielleicht ist das genau der Moment, an dem Angela Merkel nicht mehr passt, und ein Gefühlsmensch, wie Martin Schulz gerne über sich spricht, übernehmen wird. Die Kanzlerin, die für ihr Abwägen (wie Obama) bekannt und (genauso wie er, Stichwort Syrienpolitik) dafür kritisiert wird, versteht nicht, was irrationale Wähler antreibt. Vielleicht spricht Martin Schulz etwas in ihnen an, was sie schon lange nicht mehr in der deutschen Politik erlebt haben. Das dürfte auch manche Umfragen erklären, die Schulz und die SPD bereits von Merkel und ihrer Union sehen. Es geht um Projektionen in Martin Schulz, eine Hoffnung, die er noch erfüllen muss.

Obama ist, genauso wie Merkel, nicht der Kandidat des Establishments gewesen. Martin Schulz ist aber ganz sicher der Kandidat der Parteiführung. Die Rochade Schloss Bellevue (Steinmeier), Auswärtiges Amt (Gabriel) ist der Inbegriff des Hinterzimmerausmachens – einer Art Politik zu betreiben, der es überall in der westlichen Welt an den Kragen geht. Hier hat Martin Schulz weniger mit Barack Obama gemein als er denken mag - und auch mit Amtsinhaberin Merkel, die sich gegen die Männerriege der Union durchsetzen musste und muss, und das für eine Rekordzeit aus- und durchgehalten hat.

Die Personalie Schulz zu setzen, tut der SPD in Umfragen gut. Es ist wichtig, dass die Menschen, die im September in Deutschland an die Wahlurne gehen, zwischen zwei Persönlichkeiten wählen können. Bis dahin muss Martin Schulz mehr vorlegen als sich und seinen Namen: was sind die Projekte der SPD unter seiner Kanzlerschaft? Wie wird er sich zu Amerika und gegenüber Russland positionieren? Wie die Europäische Union retten und wie sich gegen Präsident Erdogan wehren.

„Yes, we can“ war Barack Obamas Antwort auf die Frage, ob change, Veränderung, möglich sei. Der kulturelle Unterschied zwischen den USA, die wir kannten, und dem Deutschland der Gegenwart könnte gegensätzlicher nicht sein: die Deutschen suchen keinen Kanzler, der mit ihnen irgendwelche Veränderungen veranstaltet. Das Land ist, wie viele im Westen, die USA inklusive, auf Retro-Kurs. Obama hat die schwerste Wirtschaftskrise seit der großen Depression erfolgreich gemanagt und eine allgemeine Gesundheitsversicherung eingeführt. Wenn aus dem Kandidaten Schulz ein Bundeskanzler Schulz werden sollte, braucht er eine große Agenda – wie einst Barack Obama. Das ist wichtiger als irgendwelche Vergleiche. Schulz muss jetzt inhaltlich ein Gegenangebot zu Angela Merkel liefern.

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