Görlachs Gedanken

Warum das Ausland Angst hat, Seehofer könnte Merkel demontieren

Er ist für eine Obergrenze, sie dagegen. Seit einem Jahr streiten die Kanzlerin und der bayrische Ministerpräsident offen über die Flüchtlingspolitik. Womit im Ausland gerechnet wird, wenn Seehofer Merkel demontieren sollte.

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Seit einem Jahr streiten die Kanzlerin und der bayrische Ministerpräsident offen über die Flüchtlingspolitik Quelle: dpa

Die Bundeskanzlerin hat sich in einem Interview mit der WirtschaftsWoche erstmals von ihrem Satz „Wir schaffen das“ distanziert. Das Echo auf diese Distanzierung, die darin bestand, dass Frau Merkel diesen Satz nicht mehr wiederholen mochte, wurde in deutschen und internationalen Medien aufgegriffen. Eine der Fragen war, ob die Kanzlerin nun etwa einknicke vor dem Dauerfeuer aus dem bayerischen Süden, vor den Attacken der CSU.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern haben sich die CSU-Parteigrößen Seehofer, Söder und Scheuer in Abwandlungen des Merkel-Satzes verstiegen. Am Ende hatten Sie den Satz so verunstaltet, dass Merkel keine Lust mehr hat, ihn zu benutzen. Denn anders als die CSU und die AfD es den Menschen weismachen wollen, war dieser Satz keine vollumfängliche Weisung der Exekutive an das Volk, sondern ein mit Empathie und Verve vorgetragenen Satz. Und zwar in jenem Augenblick, der später von den politischen Gegnern der Kanzlerin bis aufs letzte benutzt und ausgewrungen wurde und bis heute wird.

International hat die Flüchtlingskrise den Deutschen und ihrer Kanzlerin viel Respekt eingetragen. Da alle Länder des Westens im Moment in der einen oder anderen Weise ihre innenpolitischen Auseinandersetzungen haben, die den Islam, Muslime und deren Integration betreffen, haben die politischen Reaktionen aus England und Frankreich, in denen die Kanzlerin teilweise massiv wegen ihrer Entscheidung, die 250.000 Flüchtlinge, die in Ungarn gestrandet waren, aufzunehmen, angegangen wurde, eine entsprechende Schärfe gehabt. Auch in den USA meldeten sich zahlreiche Akteure zu Wort, die zu Protokoll gaben, keinen einzigen syrischen Flüchtling im Land aufnehmen zu wollen. Der Grund: Terrorgefahr.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

„Wir schaffen das“ - ein Jahr später. Deutschland hat die Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr kamen, irgendwie absorbiert. Das irgendwie wird mal verwaltungsmäßig meisterhaft gelöst wie in Bayern oder wird eine menschenunwürdige, peinliche Angelegenheit wie in Berlin. Tausende haben sich ehrenamtlich engagiert und damit dem Land das menschliche Gesicht verliehen, das in den ersten Tagen der Flüchtlingskrise überall in die Welt ausstrahlte. Wenig später sagte die Kanzlerin bereits einen ersten, ähnlich markigen Satz. In der Kritik stand die menschliche Hilfe im Angesicht der Kriegskatastrophe in Syrien. Wenn man sich für dieses Verhalten nunmehr entschuldigen müsse, so Frau Merkel, „dann ist das nicht mehr mein Land“. Auch dieses Merkel-Diktum fand Eingang in die internationale Berichterstattung. Was die Kanzlerin macht, wie sie in der Krise reagierte und die Krise managte, wurde beobachtet und wurde als Fähigkeit Deutschlands gesehen Herausforderungen zu meistern. 

Warum Merkel jetzt Fehler eingesteht

Die CSU jedoch warf der Kanzlerin Verfassungsbruch vor und dass wegen ihr Deutschland in eine „Herrschaft des Unrechts“ abgeglitten sei. Damit spielte Horst Seehofer direkt auf die DDR an, in der die Bundeskanzlerin aufgewachsen ist. Nun ist es aber umgekehrt so, dass die Akteure aus Bayern die Verfassung nicht mehr anerkennen, indem ihr Generalsekretär Andreas Scheuer sagt, dass das Asylrecht, dass darin aufgenommen ist, nicht mehr gelte. Zumindest nicht, solange eine Obergrenze draufkommt. 

Dieser Streit zwischen der CDU und der CSU schaffte es auch im Kontext der Berlinwahl am vergangenen Sonntag wieder in die internationalen Medien. So schreibt die New York Times: „Herr Seehofer droht damit, Frau Merkel die Unterstützung für die Wahl in 2017 zu entziehen sollte sie nicht eine Obergrenze für Flüchtlinge zustimmen.“ Der Guardian berichtet am Montag, dass die Kanzlerin entgegen der CSU-Forderung eine Obergrenze für Flüchtlinge weiterhin nicht wolle, da diese, so wird Frau Merkel zitiert, das Problem „nicht löse“.

Im Ausland wird zudem genau beobachtet, ob sich Frau Merkel entschließt, noch einmal als Kanzlerin anzutreten. Sollte sie das nicht tun, befürchten Analysten ein Einbrechen des Euros und damit düstere Zeiten für die deutsche Wirtschaft. Denn die Kanzlerin der Deutschen steht, anders als die Herren der CSU, für Beständigkeit und Verlässlichkeit. Sollten die Volksfreunde aus Bayern Frau Merkel absägen, dann sehen internationale Beobachter Deutschlands Zukunft skeptisch.

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