Görlachs Gedanken

Warum Deutschland der Kollaps droht

Wird die AfD bei den Landtagswahlen am Sonntag zum großen Gewinner, tragen dafür vor allem die CDU-Spitzenkandidaten die Verantwortung. Das Ergebnis: Unser Fortbestand als freie Nation steht auf dem Spiel.

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Die Kommunalwahlen in Hessen gelten als Stimmungstest für die Landtagswahlen in drei Bundesländern am kommenden Sonntag. Quelle: dpa

Wir sind satt geworden. Das ist ein Umstand, der uns an den Rand des Abgrunds führt. Hier stehen wir jetzt. Wir sind nur wenige trippelnde Schritt davon entfernt davon, unsere Lebensordnung aufzugeben und mit ihr die Führungsrolle in der globalisierten Welt. Es ist noch nicht lange her, da wollten alle so sein wie wir Deutschen. Es ist noch nicht lange her, da war das westliche Modell dasjenige, an dem sich alle anderen orientiert haben. Heute wollen große Teile der Bewohner dieser bewunderten westlichen Gesellschaften ihr eigenes "Erfolgsmodell Westen", auf dem ihr Wohlstand beruht, eintauschen gegen autokratische Systeme wie das, dass Russlands Vladimir Putin in seinem Land installiert hat. Und bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz könnte mit der Alternative für Deutschland (AfD) eine Partei grandiose Ergebnisse einfahren, die genau diese Sehnsucht nach der scheinbar sicheren nationalen Nische bedient – und von der Vertreter offen Sympathie für autokratische Systeme zeigen.



Grund dafür ist, dass die Gesellschaften des Westens nicht Willens waren, die liberale Art unseres Zusammenlebens weiter zu denken und zu entwickeln anhand der Herausforderungen, die die Globalisierung und die Digitalisierung an sie richten. Das ist nicht etwa nur den politischen Eliten anzulasten, sondern dem in den europäischen Nationen leider verbreiteten Denken, dass man alleine schon ganz gut klar käme. Was nicht stimmt: weder Frankreich, noch England noch Deutschland könnte ohne den veritablen Verbund, den die Europäische Union bildet, in der Welt von heute bestehen und seine Interessen artikulieren.

Große Vokabeln stehen im Raum: Globalisierung, Digitalisierung. Was sie bezeichnen, wird bis in die kleinsten Nischen der europäischen und US-amerikanischen Gesellschaften deutlich, in Deutschland brandaktuell im Kontext der drei Landtagswahlen. Schauen wir nach Baden-Württemberg: die Empörung der Schwaben, dass die Beschleunigung und der Wettbewerb in der Welt nicht vor ihren beschaulichen Landesgrenzen Halt machen, wurde zuerst deutlich im Streit um den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs. Wütende alte Menschen wollten sich nicht damit abfinden, dass sich für die Jungen eine tägliche Zeitersparnis von circa zehn Minuten zu veritabler Lebenszeit aufaddiert, sie wurden zu „Wutbürgern“. Mit diesem Konflikt begann sich die Diskurskultur in Deutschland massiv zu verschlechtern. Die Globalisierung und die Digitalisierung verändern den Arbeitsmarkt. Infrastruktur und damit die Befähigung zur Mobilität der Arbeitnehmer ist ein Schlüssel, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Für nichts anderes stand Stuttgart 21. Man wollte das dort nicht sehen.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Globale Flüchtlingsströme, die die Radikalisierung der Völker Europas so befördert hat, sind ebenfalls Ausdruck einer sich verändernden Wirklichkeit auf unserem Planeten. Es stimmt, dass noch nie so viele Menschen wie heute in Frieden und außerhalb von Armut gelebt haben. Es stimmt aber auch, dass die Menschen, die noch nicht in Frieden und Wohlstand leben, global vernetzt sind und sich dahin bewegen, wo sie ihrem Traum vom freien und zufriedenen Leben in Erfüllung gehen sehen. In den Debatten, die in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt von der AfD angezettelt werden, geht es darum, diesen Wunsch als diabolisch abzutun.


Allenfalls ist man bereit, Kriegsflüchtlingen, Obdach zu gewähren. Aber oft auch noch nicht mal mehr das: wir sehen es an dem rüden, unerzogenen, barbarischen Mob, der in Heidenau, Bautzen oder Clausnitz tobt. Er unterscheidet sich in Gesinnung, Wut und Entschiedenheit in keiner Weise von den Denkfiguren, die sich die militanten ISIS-Unmenschen an den Tag legen, vor dem die Flüchtlinge zu uns fliehen. Diese neuen Rechten sind die Dschihadisten eines wiederkehrenden rationalistischen, die weiße Rasse verherrlichenden Ungeistes. Endlich sind die empörten weißen Männer mal wieder wer.

Gewinnt ihr Denken massiv an (parlamentarischem Rückhalt), könnte der Besen das letzte sein, was man künftig in Stuttgart, Mainz und Magdeburg in Freiheit wird schwingen dürfen. Die Offenheit, die Grundlage für unseren Wohlstand ist, ginge verloren. Wie verzweifelt muss man in Baden-Württemberg sein, um auf diesen Unsinn hereinzufallen? Der Feind des Bundeslandes sitzt in Kalifornien und baut an batteriebetriebenen selbstfahrenden Autos. Er sitzt nicht als Flüchtling in einem Schlauchboot im ägäischen Meer.

Kollektive Zukunftsverneinung

In den drei Bundesländern, in denen der Wahlkampf tobt, führt die CDU einen erbitterten Anti-Ausländer-Wahlkampf. Die ansonsten so sympathische Julia Klöckner lässt nicht locker mit ihren immer weiter gehenden rhetorischen Forderungen gegenüber Ausländern. Davon wird kein einziger Flüchtling schneller registriert, oder gar das nach bleierner SPD-Vetternherrschaft geführte Rheinland-Pfalz in eine goldene Zukunft geführt. Aber diejenigen, die menschenfeindliche Ressentiments pflegen, werden in ihrer Haltung bestätigt. Selbstverständlich wollen Politiker wie Klöckner keine Gewalt gegen Flüchtlinge, keine brennenden Unterkünfte. Aber leider befeuern sie mit ihrer Rhetorik den Rechtsruck im Land, der am Ende zu weniger Freiheit für alle führen wird. Die Union, allen voran die hässliche Tante aus Bayern, waren schon immer gut darin, rechts von sich abzuschöpfen und in den demokratischen Diskurs zurück zu führen. Das muss man nicht mögen, hat aber verhindert, dass sich dauerhaft neben der Union etwas Rechtes im politischen Betrieb der Republik festgesetzt hätte.


Die Union hat sich aber in den vergangenen Jahren modernisiert, liberalisiert. Das ist alles unter Kanzlerin Angela Merkel geschehen: die Integrationsgipfel, die Islamkonferenz. Und ein Bundespräsident aus den Reihen der Konservativen erklärte, der Islam gehöre zu Deutschland. Die Union wirft sich nun selbst in diesen Landtagswahlkämpfen um dieses Jahrzehnt zurück - und sie hat ja keinen Erfolg damit: sie schmiert in den Umfragen ab. Nicht, weil Merkel abgestraft würde (ihre Beliebtheitswerte sind wieder gestiegen, die Deutschen trauen ihr zu, die Flüchtlingskrise zu gestalten), sondern umgekehrt, weil die Landesgrößen der CDU mit ihren Distanzierungsversuchen die Union insgesamt diskreditiert und als ernsthafte, gemeinsam agierende politische Kraft in Frage stellt.

Anders als in Italien (wo Berlusconi erster "neuer" Populist des Kontinents war), Frankreich (LePen), Niederlande (Wilders), England (Farage) oder den USA (Trump) gibt es in Deutschland noch nicht eine starke Person, die diese kollektive Zukunftsverneinung, diese Angst vor Veränderung politisch für sich zu nutzen versteht. Das kann sich aber schnell ändern.

Das Abendland davor zu bewahren heißt: weder die AfD noch Pegida als Besorgtheits-Indikatoren klein zu rechnen, sondern als die Gefahr zu brandmarken, die sie für unsere freiheitliche Grundordnung in Deutschland darstellen. Man soll in hundert Jahren nicht sagen müssen: mit einem Bahnhof in Stuttgart hat alles angefangen.

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