
Österreich zeige Deutschland, wie es in der Flüchtlingskrise zu reagieren hätte, meinen einige Kommentatoren, die den Beschluss der Alpenrepublik feiern, nur noch 80 Flüchtlinge pro Tag über die Grenze in das Land einreisen zu lassen. Manch einer versteigt sich sogar zur Behauptung, dass Wien sich mit der Grenzschließung zum wahren Zentrum Europas aufschwinge, zur neuen Hauptstadt des Kontinents, beinahe so wie einst zu Zeiten des mächtigen Kaiserreiches der Habsburger. All das ist falsch.
Die beiden Länder Österreich und Deutschland lassen sich schlicht nicht miteinander vergleichen. Bei allem Wiener Schmäh: Österreich ist gegenüber Deutschland ein Zwerg, mit gerade mal einem Zehntel der Bevölkerung und etwa einem Zehntel der Wirtschaftskraft.
Kein US-Präsident käme auf den Gedanken, in Wien anzurufen, will er wichtige Anliegen in Europa regeln. Aber die Nummer des Berliner Kanzleramtes ist im Weißen Haus gespeichert.

Österreich war lange ein sehr freundlicher Zwerg. Gemeinsam mit Schweden ist es das Land in Europa, das proportional zu seiner Einwohnerzahl die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Dafür gebührt Österreich großer Respekt. Andere, größere Nationen in der Europäischen Union haben sich nicht dazu bereitfinden können.
Deutschland ist die Zentralmacht in Europa
Aber sollte Deutschland deswegen Österreich nachahmen? Natürlich nicht. Was in Deutschland passiert, hat – ganz anders als das, was in Österreich passiert – direkten Einfluss auf ganz Europa. Wir scheuen aus historischer Vorsicht diesen Begriff, aber Deutschland ist die Zentralmacht in Europa. Schließen wir die Grenzen, scheitert auch das offene Europa, das wir kennen und lieben. Die Bundesrepublik, mit einer brummenden Wirtschaft und Fast-Vollbeschäftigung gesegnet, muss einfach mehr leisten, mehr schaffen können als Österreich.
Ein wichtiger erster Schritt dafür ist, dass Deutschland die Sorgen der kleineren EU-Länder wie die Österreichs ernst nimmt. Lobenswerterweise hat Kanzlerin Angela Merkel schon vor Monaten gesagt, dass Deutschland die Menschen, die bereits auf dem Weg sind und sich in den Ländern entlang der Route aufhalten, aufnehmen wird, alleine schon, um den Balkanländern keine Situation zuzumuten, an deren Ende ein neuer Krieg, zumindest aber verheerende gewalttätige Auseinandersetzungen stehen könnten.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Die Kanzlerin hat in ihrem Gespräch mit Anne Will am Sonntag mehrfach darauf hingewiesen: es muss eine europäische Lösung geben, die auch kleine Länder mit einbezieht. Die Kanzlerin meinte damit vor allem Griechenland, denn dieses Land ist von Grenzschließungen entlang des Flüchtlingsweges am meisten betroffen. So sieht eine europäische Politik aus, eine Politik, die auch bereit ist, mehr zu tragen, als die Schultern kleiner Länder es vermögen.
Vor allem, weil wir sehen, dass diese Länder leicht überfordert werden.
Österreichs traurige Geschichte
Der rechte Rand ist in Ländern wie Österreich, der Schweiz, Frankreich, Holland, Polen, Dänemark und England längst kein Rand mehr. Populistische xenophobe und islamophobe Parteien waren oder sind dort entweder bereits an der Macht oder sehr stark.
Österreich hat, was das betrifft, eine lange, traurige Geschichte, die das Land schon einmal in Konflikt mit Europa brachte. Als eine rechtsradikale Bewegung Teil der Regierung wurde, reagierte die Europäische Union mit Sanktionen. Der Name Jörg Haider genügt, um einen Teil der jüngeren rechtslastigen Geschichte Österreichs ins Gedächtnis zu rufen.
Den kleinen Ländern geht eben schneller die Puste aus als den Großen. Umso wichtiger, dass vor allem Frankreich und Deutschland zusammen stehen und rasch gemeinsam mit der Türkei und der Nato an einer wirksamen Bekämpfung der Fluchtursachen arbeiten - und Griechenland so schnell wie möglich entlasten.
Nein, bei aller Liebe: Wien ist nicht der Visionär oder der Gestalter in Europa, wie es sich manche Kommentatoren nun erträumen. Es gilt, wie so oft in der europäischen Geschichte und ob wir es mögen oder nicht: Auf Deutschland kommt es an.