Görlachs Gedanken
SPD-Chef Martin Schulz. Quelle: AP

Was die SPD tun muss, um nicht unterzugehen

Die Sozialdemokraten wollen sich erneuern, wissen aber nicht, wie das gehen soll. Sie müssen bei ihrer einstigen Kernkompetenz anfangen – dem Wert der Arbeit. Und sie müssen aufhören, die Vergangenheit zu lieben.

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Als Außenstehender sieht man Dinge klarer, die den Insassen im Bauch eines Schiffes aus einer Vielzahl von Gründen verborgen bleiben. Das gilt auch für politische Parteien. Im deutschen Parteiensystem ist jede der Traditionsparteien von innen her befangen und gleichzeitig von außen unter enormem Veränderungsdruck. Die FDP war die erste Partei, die den Rauswurf aus dem Deutschen Bundestag zu einer inhaltlichen und personellen Neuauflage nutzen mussten. Weitere Parteien werden auf dem Erneuerungspfad folgen: die Grünen sind dabei, die alte Trittin-Garde, die den ideologischen Ritt aus der Vergangenheit nicht mehr fortführen sollen, sollte die Öko-Partei auf absehbare Zeit eine Chance bekommen, wieder mitzuregieren.

Die CDU wird am Tag nach dem Ende der Ära Merkel in ein tiefes Loch stürzen: wer sind wir, wofür stehen die Konservativen, was ist unsere Vision?

Und die Sozialdemokraten: Auf dem Weg zu einer soliden 18-Prozent-Partei ist sie am Vorabend der Koalitionsverhandlungen in einem Dilemma. Erklärt sie sich nicht bereit, in eine dritte GroKo einzutreten, wird man ihr vorhalten, keine Verantwortung übernehmen zu wollen. Bleibt sie der Aussage ihres Vorsitzenden Martin Schulz vom Wahlabend treu, dann darf sie nicht in die neue Regierung mit Angela Merkel eintreten. Eine dann fällig werdende Neuwahl aber macht den Genossen Angst. Sie würden voraussichtlich noch einmal schlechter abschneiden als bei der Bundestagswahl im September 2017. Wenn es zu einer GroKo kommt, dürfte zudem Schulz, aus purer Glaubwürdigkeit, der neuen Regierung nicht angehören.

Alexander Görlach. Quelle: David Elmes, Harvard University

Was ist das Problem der Sozialdemokratie? Lassen Sie mich eine Skizze versuchen: Im Jahr 2011 habe ich mit dem SPD-Linken Björn Böhning ein Buch über den digitalen Wandel geschrieben. Ich wollte herausfinden, ob Sozialdemokraten und Konservative (damals war ich noch Mitglied der CDU) das Internet und alle Disruptionen, die damit einhergehen, ähnlich bewerten oder ob alte ideologischen und politische Gräben in neuer Zeit fortbestehen würden.

Das Ergebnis war aufschlussreich. Björn und ich hatten bei allen Themen eine Schnittmenge, außer beim Thema Arbeitsmarkt. Da musste man meinen, wenn man Björns Ausführungen folgte, dass wir in Deutschland noch im 19. Jahrhundert stehen und die Sozialdemokraten die an Hochöfen schuftende Arbeiterschaft vor Ausbeutung schützen müssen. Für mich war mit unserer Arbeit an dem Buch klar, wo das Problem dieser Traditionspartei liegt.

Sie haben ihr Kernthema, ihre Hauptkompetenz nicht in die Gegenwart übersetzt. Was ist faire Arbeit, gerechter Lohn, soziale Gerechtigkeit und die Vision einer neuen (Arbeits-)Welt im digitalen Zeitalter. Lange war das Thema Internet in der Bundestagsfraktion, wie in den anderen Fraktionen auch, eines, das stiefmütterlich behandelt wurde. Die meisten Internet-Politiker der verschiedenen Fraktionen kamen zusammen in dem Wissen, in ihren Fraktionen belächelte Paradiesvögel zu sein. In der Partei der Arbeiterschaft wurde erst jetzt mit Lars Klingbeil einer der Internet-Politiker der ersten Stunde in ein sichtbares Amt gehoben. Der neue Generalsekretär wird hier Akzente zu setzen versuchen. Es wird sich zeigen, ob er hierfür, nunmehr, Unterstützung in seiner Partei bekommt.

„Der Preis droht noch höher auszufallen, als befürchtet“
Angela MerkelDie Bundeskanzlerin (CDU) zeigt sich erleichtert über das Ja der SPD zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Der CDU sei dabei wichtig, dass Deutschland eine stabile Regierung bekomme, die Lösungen für die Zukunftsfragen in Angriff nehmen könne, sagte Merkel am Sonntagabend vor Beratungen der Spitzengremien ihrer Partei in Berlin. „Das Sondierungspapier ist dabei der Rahmen, in dem wir verhandeln.“ Auf der Grundlage dieses Papiers müsse noch eine Vielzahl von Fragen im Detail geklärt werden. Quelle: dpa
Martin SchulzDer SPD-Parteichef ist zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis. „Wir sind natürlich alle erleichtert. Wir werden nach dieser harten Diskussion (...) versuchen, die Partei zusammenzuführen“, sagte Schulz nach der Abstimmung. Quelle: dpa
Horst SeehoferFür eventuelle Nachverhandlungen des Sondierungsergebnisses steht die CSU nicht zur Verfügung. Parteichef Seehofer sagte nach einer Sitzung des CSU-Spitzengremiums: „Es gab keine Stimme, die dies für verhandelbar erklärt hat.“ Verträge müssten eingehalten werden, so Seehofer. Quelle: AP
Julia KlöcknerAuch von der CDU gab es Lob für das Abstimmungsergebnis der SPD. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Klöckner schrieb auf Twitter: „Glückwunsch zur Entscheidung und Bereitschaft, sich doch in den Dienst des Landes zu stellen #SPD.“ Quelle: dpa
Christian LindnerDer FDP-Chef äußerte sich kritisch zu einer Neuauflage der Großen Koalition. „Wenn die gesamte Führung für den Regierungseintritt wirbt, aber nur eine knappe Mehrheit des Parteitags folgt, ist das eine Hypothek“, so Lindner. „Das Ergebnis lässt befürchten, dass in den Koalitionsverhandlungen nun Rückschritte zu erwarten sind. Widersprüche zwischen den Koalitionspartnern werden nach „Methode Merkel“ nun vermutlich mit noch mehr Steuergeld zugeschüttet“, sagte Lindner weiter. Quelle: dpa
Cem ÖzdemirNachdem er bereits an den gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen teilgenommen hat, kritisiert der Bundesvorsitzende der Grünen eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition. „Stabil wird diese große Koalition, wenn sie denn zustande kommt, nicht“, so Özdemir. Die SPD sei „im höchsten Maße gespalten“, die Angst vor einer Neuwahl habe sich durchgesetzt. Ergänzend sagt er: „Man hat den Eindruck, als ob es irgendwie offener Strafvollzug wäre, Deutschland regieren zu dürfen.“ Quelle: dpa
Cem ÖzdemirDer niedersächsische Ministerpräsident zeigt sich erleichtert über die positive Abstimmung zur Aufnahme von Gesprächen mit der Union. „Ich bin erleichtert. Man hat gesehen, dass die SPD wirklich mit sich gerungen hat. (...) Das war ein extrem hartes Stück Arbeit“, sagte Weil. Quelle: dpa

Die SPD hat sich in der Großen Koalition verbraucht, sie ist von der Union aufgerieben worden. Nicht (nur), weil Angela Merkel so schwach war, sondern vor allem, weil sie beim Thema Arbeitsmarkt in alten, ganz alten Strukturen und Rezepten denkt. Bei den jungen, aber auch den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verfangen diese nicht mehr, weil sich die veränderte Arbeitsmarktsituation von heute darin nicht abbildet.

"Nur Rezepte aus der Vergangenheit"

In Deutschland wird, nicht nur bei der SPD, aber vor allem da, in der folgenden Weise vom Arbeitsmarkt, dem aus ihm zu schöpfenden Steueraufkommen und den Aufgaben, die dem Staat zukommt, bei der Verteilung der Einnahmen durch diese Steuer, gedacht: Die Matrix der Einnahmenreihe des Staates ist die unbefristete Festanstellung. Über sie werden die Abgaben in die Rente und die Arbeitslosenversicherung geleistet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilten sich die Kosten für die Krankenkasse. Und natürlich ist die Rente sicher.

Es gibt aber immer weniger Kinder und immer weniger sozialversicherungspflichtige Festanstellungen. Über eine Reform der Einnahmenseite des Staates wird aber nicht laut genug neu nachgedacht. Das wäre nun die Aufgabe der SPD. Neu heißt nicht, Steuern rauf und Erben superhoch besteuern. Es heißt sich klar zu machen, dass das Bruttoinlandsprodukt heute nicht mehr ausschließlich mit Menschenhände Arbeit erwirtschaftet wird. Es heißt klar herauszustellen, dass künftig mehr und mehr schlaue Maschinen, Algorithmen und Roboter Wert generieren und Arbeit verrichten werden. Das hat weitreichende Folgen. Wir gehen in die größte Veränderung der Arbeitswelt seit Mitte des 19. Jahrhunderts.

von Max Haerder, Thomas Schmelzer, Marc Etzold

Die Partei aber, die hier vorangehen müsste, verpennt das Thema und hat, wenn der Mund dann doch mal aufgeht, nur Rezepte aus der Vergangenheit. Wir brauchen aber einen neuen Gesellschaftsvertrag, der über ein Grundeinkommen, die Besteuerung von Roboterarbeit und anderen Maßnahmen den sozialen Ausgleich schafft und ideologisch in die Zukunft springt. Das Narrativ der Arbeit, welches aus der protestantischen Ethik kommend bis heute den Selbstwert des arbeitenden Menschen feststellt, ist erledigt. Etliche päpstliche Enzykliken betonen, dass der Mensch Würde und Stand als Person durch die Arbeit erhält. Sie ist also mehr als nur Broterwerb, sondern Identitätsstifter. Erledigt. Hat die SPD das auf dem Schirm? Nein! Haben es die anderen Parteien? Nein, aber von der SPD würde man das zuerst erwarten. Anstelle dessen geht der Blick zurück.

Die bisher geführten Gespräche mit der Union belegen das. Mehr Ausgaben in der Rente kommen sicher, mehr Belastung durch Steuern hätte man gerne (in Zeiten, in denen der Staat vollste Kassen hat). Das wird aus der SPD dauerhaft die 18 Prozent Partei machen, auf die sie in Umfragen ja schon zuläuft. Sie zelebriert eine Sozialromantik aus dem vergangenen Jahrhundert, mit Hilfe derer die Generationen jener Zeit heute in den Genuss von Renten kommen, die für die Nachgeborenen wie Märchen aus einer versunkenen Welt klingen werden.

Die Botschaft: Die Zukunft ist egal. Und ist der Verlängerung des Alten und Hergebrachten wird so lange weitergemacht, bis man selbst durch ist. Nach uns die Sintflut. Wenn diese große Koalition überhaupt nur einen Hauch von Daseinsberechtigung haben soll, dann muss sie einen ganz, ganz großen Wurf in Richtung Zukunft machen. Oder sie lässt es besser gleich sein.

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