
Man soll sich als Journalist ja bloß nicht zu ernst nehmen, aber wenn zwei Magazine genau den identischen Titel-Gedanken haben, kommt man doch ins Grübeln. Wir bei der WirtschaftsWoche zeigen in unserer aktuellen Ausgabe die Hände der Kanzlerin, wie sie die längst Kult gewordene Merkel-Raute formen, aus der Euro-Stücke kullern. Denn scheitert der Euro, so unsere Schlussfolgerung, droht auch Merkels Kanzlerschaft zu scheitern.
Und einen Tag später zeigte der "Spiegel" Merkel auf seiner Titelseite gar als Trümmerfrau, versehen mit der nun schon bekannten Unterzeile: Scheitert der Euro, scheitert Merkels Kanzlerschaft.
Warum könnte ausgerechnet der junge Marxist Alexis Tsipras jener Mann werden, der Dr. Angela Merkel entzaubert? Weil er in seiner Radikalität nicht nur die Brüsseler juristischen Regeln aufgekündigt hat, nach der die Währungsunion mehr schlecht als recht funktioniert. Sondern indem er auch die künftige Euro-Rettungspolitik aus den Berliner und Brüsseler Hinterzimmern in Europas Scheinwerferlicht gerückt hat.
Die Probleme Europas lösen sich nicht in Luft auf
Für Merkel, die diskrete Verhandlungen zu ihrem Markenzeichen erhoben hat, ist das ein Schock. Wer die Kanzlerin in kleineren Runden erlebt, der weiß, wie differenziert sie die Lage in Europa sieht. Dann deutet sie an, dass Griechenland einzigartig sei, ein ganz besonderer Fall von Staatsversagen, nicht vergleichbar mit den Problemen in Spanien, in Portugal, in Irland oder anderen Krisenstaaten.
Und sie lässt auch eine weitere Einsicht erkennen: Die entscheidenden Probleme in Europa lösen sich selbst mit einem möglichen Ende des Griechenland-Dramas nicht in Luft auf.
Der Öffentlichkeit wollte Merkel solche Gedanken aber bislang kaum zumuten. Dort nennt sie ihre Rettungspolitik alternativlos. Oder verkündet, wie gerade auf dem Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand in Berlin, mit Blick auf die Referendumspläne in Athen und die möglichen Folgen markig: "Dann werden wir über gar nichts neu verhandeln."
Merkel wird aber nun in den nächsten Tagen natürlich neu verhandeln müssen. Und sie wird auch endlich öffentlich beantworten müssen, wie es nicht nur mit den Griechen, sondern mit dem gesamten Euroraum weitergehen soll.
Die EU steht nicht nur für Wohlstand
Der Griechen-Showdown hat nämlich schonungslos offengelegt, dass es den Regierungen dort an einer wirtschaftspolitischen Strategie fehlt. Während Länder im Süden Europas in staatlichen Eingriffen und Inflation seit jeher ein probates Mittel zur Lösung wirtschaftlicher Probleme sehen, setzen die Nordländer auf Wettbewerb und Stabilität.





Merkel hat gedacht, sie könne sich dagegen rückversichern, etwa indem sie den Internationalen Währungsfonds (IWF) ins (Rettungs-)Boot holte oder Rettungsgelder nur gegen Strafzinsen gewährte. Sie erwog sogar, schwere Verstöße gegen Haushaltsregeln mit Verstößen gegen Menschenrechte zu vergleichen und Sünderländern das Stimmrecht zu entziehen. Und sie strafte die Griechen mit Strenge, als das Ausmaß der griechischen Schummeleien bekannt wurde.
Aber sie hat sich zugleich davor gedrückt, eine Welt zu erklären, in der die Europäische Union plötzlich nicht mehr, wie all die Jahrzehnte zuvor, so gut wie automatisch für "mehr Wohlstand" steht, sondern im Zweifel für mehr Sparen, für Verlust.
Merkel ist lange nicht nach Griechenland gefahren, um dort für ihre Politik zu werben. Sie hat zwar Verständnis für die Nöte der griechischen Bevölkerung geäußert, aber es wirkte stets, als beobachte die gelernte Physikerin eine Versuchsanordnung.