Griechenland und die Schulden Deutschland sitzt im Glashaus

In der Debatte um Griechenland findet sind besonders die Deutschen der Meinung, die Griechen seien selbst schuld. Dabei wird eines vergessen: Mehrmals im 20. Jahrhundert hat Deutschland von Schuldennachlässen profitiert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
D-Mark und Euro Quelle: dpa

Selten war Deutschland so mit sich im Reinen wie in diesen Tagen. Die Griechen seien faul, korrupt, an ihrer misslichen Lage selber schuld, und auf keinen Fall dürfe man nachgeben. Und wenn sie nicht zahlen, dann raus mit ihnen aus dem Euro, am besten zugleich mit allen anderen Wackelkandidaten. Zurück zur D-Mark, die war eine Hartwährung, ein Stück deutscher Identität, ein Spiegelbild unseres Fleißes und unserer Disziplin. Wer mithalten kann, ist gerne eingeladen mitzumachen, die anderen sollen wegbleiben. Deutschland ist nichts für Weicheier, in Währungsfragen schon gar nicht.

Man mag viel über Nutz und Frommen einer Hartwährung sagen, ebenso über das Spektakel einer griechischen Linksregierung, die mit Volksfronttaktiken ihr krisengeschütteltes Land geradewegs in Richtung Argentinien zu führen scheint, wenn nicht Venezuela.

Dennoch beruht der deutsche Währungsstolz auf einem historischen Gedächtnisverlust: Deutschlands eigene finanzielle Gesundung nach dem Zweiten Weltkrieg und die Stabilität der Deutschen Mark waren selbst im Kern  das Ergebnis eines massiven Schuldenschnitts. Ohne die Streichung und Streckung von Schulden in ungeheurer Höhe wäre das Wirtschaftswunder kaum möglich gewesen.

Albrecht Ritschl Quelle: PR

Deutschland konnte in den Fünfzigerjahren mit einer Kombination hoher Zuwachsraten in Produktion, Einkommen und Beschäftigung glänzen, hatte aber dennoch keine Inflation und fast ausgeglichene öffentliche Haushalte. Möglich war das aber nur, weil die Staatsschulden durch Schuldenschnitte auf weniger als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt worden waren.

So blieb Geld in der Kasse, um ab den späten Fünfzigern bei ausgeglichenem Haushalt die Dynamisierung der Altersrente voranzutreiben, den Ausbau der Krankenversicherung, die Absenkung des Rentenalters, die Senkung der Wochenarbeitszeit, und ganz nebenbei noch wieder aufzurüsten, mit einer Armee, deren hoher Ausrüstungsstand dem heutigen Betrachter die Sprache verschlägt.

So macht der Bund Schulden
Die Haushaltsreferate der einzelnen Bundesministerien planen ihre Haushalte für die folgenden Jahre, der Finanzminister trägt die Vorhaben zusammen. Die Bundesregierung beschließt im Kabinett den Haushalt für den Bund – in der Regel im Sommer für das jeweilige folgende Jahr. Quelle: dpa
Mittlerweile müssen die nationalen Haushalte auch bei der EU-Kommission vorgelegt werden. Die Behörde in Brüssel prüft im Herbst, ob etwa die Höhe vorgesehener Schulden den Regeln der Europäischen Union entspricht. Quelle: dpa
Das Parlament hat die Hoheit: Der Bundestag beschließt endgültig über den Haushalt des Bundes. Übersteigen die von den Parlamentarieren beschlossenen Ausgaben die erwarteten Einnahmen, müssen zusätzliche Schulden gemacht werden („Netto-Neuverschuldung“). Quelle: dpa
Seitdem Finanzminister Wolfgang Schäuble 2014 die „Schwarze Null“ durchgebracht hat, spart sich der Bund die Netto-Neuverschuldung. Neue Kreditpapiere bringt der Bund trotzdem auf den Markt– um alte Kredite abzulösen. Zur Fälligkeit muss der Staat den Nennwert begebener Anleihen und Geldmarktpapiere inklusive Kuponverzinsung an die Investoren zurückzahlen. Das Geld dafür beschafft er sich, indem er kurz vorher neue Anleihen begibt. An welchem Tag welche Bundeswertpapiere begeben werden legt die Finanzagentur – der oberste Schuldenmanager des Bundes – jeweils im Dezember für das Folgejahr fest. Im Juni 2015 teilte die Finanzagentur mit, dass angesichts der guten Kassenlage des Bundes in den folgenden Monaten insgesamt fünf Milliarden Euro weniger Anleihen begeben werden müssten. Quelle: dapd
„Ja, der Bund zahlt das Geld für Zinsen und Tilgung an die Käufer von Anleihen immer fristgerecht zurück“, sagt Jörg Müller von der Deutschen Finanzagentur. Die Regierung könne kurzfristig eingreifen, ist seit Jahren liquide und werde von allen drei Rating-Agenturen regelmäßig mit einem „Triple A“ (AAA)-Status ausgezeichnet. Quelle: dpa
Neben Standard & Poor's geben regelmäßig Moody's und Fitch Urteile über Deutschlands Kreditwürdigkeit ab. Wegen des Top-Ratings ist der deutsche Staat so beliebt im Geschäft mit Bundesanleihen. Nachdem das Finanzministerium entschieden hat, welche Anleihen-Art er genau begeben will, wird die Deutsche Finanzagentur tätig. Sie berät das Finanzministerium, wie es die Anleihen möglichst günstig und gleichzeitig kurzfristig auf dem Markt anbieten kann. Quelle: dpa
Jens Weidmann ist der Präsident der Bundesbank, die in Schritt 3 des Schuldenmachens ein ausführendes Organ ist. Die Bundesbank organisiert gemeinsam mit der Finanzagentur die Bieterauktionen für die begebenen Schuldtitel. Die Auktionen finden in der Regel zwei Mal die Woche statt. Montags werden kurzlaufende Geldmarktpapiere mit Laufzeiten von sechs oder zwölf Monaten, mittwochs Anleihen mit Laufzeit von zwei, fünf, zehn oder 30 Jahren versteigert. Quelle: REUTERS

Und weil die Auslandsverschuldung bis auf geringfügige Beträge zusammengestrichen worden war, blieben reichlich Devisen übrig, um über die Jahre ein neues, riesiges Auslandsvermögen aufzubauen und nebenbei noch den tatkräftig den Aufbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mitzufinanzieren.

Hier geht es nicht um Kleinbeträge. Am Ende des Dritten Reichs lag die ausgewiesene Staatsschuld bei knapp dem Vierfachen der deutschen Wirtschaftsleistung im letzten Vorkriegsjahr. Die Währungsreform von 1948 strich diese Schulden erbarmungslos auf einen Restbetrag zusammen. Die umgestellte öffentliche Schuld am Anfang der Fünfzigerjahre betrug noch etwa 18 Milliarden D-Mark, ein Schuldenschnitt von über 95 Prozent.

Deutschland mit Schuldenlastquote von knapp 500 Prozent

Dazu trat eine Auslandsverschuldung, die über die Reichsbank gebucht war und in den Statistiken des Reichshaushalts gar nicht auftauchte. Der Löwenanteil hiervon waren Kriegskredite und Kontributionen der besetzten Länder an das Reich während des zweiten Weltkriegs, noch einmal 80 bis 90 Milliarden Reichsmark, sowie vorsichtig gerechnet 15 Milliarden Reichsmark Altschulden aus der Zeit vor 1933. Doppelzählungen herausgerechnet, wäre man damit bei einer Auslandsverschuldung in etwa der Höhe des deutschen Sozialprodukts von 1938 oder wieder von 1950.

Diese Auslandsschulden wurden im Londoner Schuldenabkommen von 1953 geregelt. Nur die Altschulden sollten wieder bedient werden. Die Kriegsschulden selbst wurden von der Regelung ausgeklammert und sollten erst nach einer Wiedervereinigung neu behandelt werden. Dazu ist es nach 1990 aber nie gekommen.

Rechnet man alles zusammen, ergeben sich astronomische Beträge, eine Schuldenlastquote von knapp 500 Prozent, von der nicht mal ein Zehntel bedient worden ist. Auch wenn man rechnet, dass Westdeutschland als deutscher Teilstaat nicht mit der Gesamtschuld belastet werden konnte, verbessert sich das Bild nicht wesentlich.

Schuldenstand der Euro-Länder

Dieser Schuldenerlass mag in Deutschland in Vergessenheit geraten sein. Im Ausland ist das allerdings weniger der Fall. Prominente Ökonomen weisen immer wieder darauf hin, dass Deutschland im Glashaus sitzt.

Und das ist nicht alles. Spulen wir zurück bis in die Dreißigerjahre. Das Dritte Reich kam wirtschaftlich ebenso rasch wieder auf die Füße wie die Bundesrepublik in den Fünfzigerjahren – der Begriff des Wirtschaftswunders wurde schon damals geprägt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg neu für die Nachkriegszeit verwendet. Am Anfang dieses Wiederaufschwungs stand ein doppelter Schuldenschnitt, die Streichung der Reparationen im Jahr 1932 und die einseitige, von den Westmächten weitgehend hingenommene Aufkündigung der deutschen Auslandsschulden im Jahr 1933.

Schlimmer noch. Vor den Schuldenschnitten standen drei Jahre Austeritätspolitik unter der Fuchtel einer Troika von Zentralbanken aus England, Frankreich und den USA. Wie heute Griechenland, so damals Deutschland. Wie Papademos und Simitis, so damals Heinrich Brüning. Die Ergebnisse gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Mit Blick auf die deutsche Katastrophe entwickelte Keynes damals seine Lehre von den schädlichen Wirkungen der Sparpolitik. Es sind heute die prominentesten Vertreter des Keynesianismus, die den Schaden anprangern, den die Austeritätspolitik in Griechenland angerichtet hat.

Marx und Engels haben einmal geschrieben, alles in der Geschichte passiere zweimal. Erst als Tragödie, dann als Farce. Tragisch war die Schuldenkrise in Deutschland, zuletzt brachte sie Adolf Hitler an die Macht. Die griechische Schuldenkrise ist gleichsam ihre Wiederholung, ausgerechnet mit Deutschland als dem Hauptgläubiger. Zum Glück hat sie diesmal nur eine Volksfrontregierung an die Macht gebracht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%