Groko-Sondierungspapier Genossen wollen nachbessern

Mehr als 24 Stunden lang haben Union und SPD in der Schlussrunde gerungen. Dann stand die Sondierungsvereinbarung. Doch in der SPD wird der Ruf nach Nachbesserungen laut - was bei der Union auf Unverständnis stößt.

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Der Partei-Vize spricht sich für Koalitionsverhandlungen aus, fordert aber deutliche Änderungen am Sondierungspapier. Quelle: dpa

Berlin Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner sieht noch erheblichen Bedarf an Nachbesserungen für mögliche Verhandlungen mit der Union über eine Große Koalition. „Schmerzlich fehlt die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes – ich sehe das als Ansporn, in konkreten Verhandlungen noch mehr rauszuholen“, sagte Stegner dem Handelsblatt.

Für die SPD reklamierte Stegner „eine große Offensive“ bei Bildung und Pflege sowie eine bessere Unterstützung von Familien erreicht zu haben. „Vor allem schaffen wir eine echte Politikwende in der Europapolitik – weg von Austerität, hin zu sinnvollen Investitionen und europäischen Mindestlöhnen“, betonte er. „Ich finde, wir haben ein gutes Verhandlungsergebnis erreicht. Auf dieser Basis kann man dem Parteitag gut empfehlen, konkrete Verhandlungen aufzunehmen“, sagte Stegner.

Auch Berlins Bürgermeister Michael Müller positionierte sich zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot „sehr kritisch“, wie er im „Tagesspiegel am Sonntag“ sagte. Er finde im Papier von Union und SPD zwar „gute Ansätze“ in der Bildungspolitik und für bessere Arbeit und Ausbildung, erklärte das SPD-Präsidiumsmitglied. Aber: „Bei Wohnen, Zuwanderung und Integration geht es so nicht.“ Müller fügte hinzu: „Die Bürgerversicherung fehlt ganz. Viel zu tun also.“ Eine Fortsetzung der bisherigen Koalition ohne entscheidende Veränderungen überzeuge ihn nicht.

Frank Schwabe, Sprecher der „Denkfabrik“, einem Zirkel junger, linker Sozialdemokraten in der SPD-Bundestagsfraktion, lehnte eine Empfehlung an die Delegierten des Sonderparteitags am 21. Januar in Bonn ab. „Ich persönlich bleibe auch nach den Sondierungen skeptisch“, sagte Schwabe dem Handelsblatt. Die SPD habe zwar „seriös und gut in der Sache verhandelt“, und es seien „viele gute einzelne Punkte“ in dem Sondierungspapier verankert. „Insbesondere würde Deutschland europapolitisch fortschrittlicher“, so Schwabe. Allerdings sagte er auch: „Mit dem politischen Gegner kann man aber die großen Themen schlichtweg nicht stemmen. Das haben die Sondierungen noch einmal bewiesen.“

Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, sieht keinen Grund für Skepsis. „Das Sondierungspapier wird Europa positiv verändern, stärkt den Zusammenhalt der Gesellschaft und verbessert die soziale Gerechtigkeit“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt. „Es ist ein gutes Verhandlungsergebnis für dieses Land.“ Er könne sich daher nicht vorstellen, dass der Sonderparteitag Koalitionsverhandlungen verhindere. Zumal in der SPD am Ende die Mitglieder das letzte Wort hätten.

In der Union stoßen die Forderungen aber auf Widerstand. Bayerns designierter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lehnt weitere Zugeständnisse an die SPD aber ab und pocht auf strikte Einhaltung der Sondierungsergebnisse: „Natürlich gilt alles. Die von allen Delegationen einstimmig beschlossene Sondierungsvereinbarung ist mit 28 Seiten doch fast schon ein Koalitionsvertrag“, sagte der bayerische Finanzminister der „Bild am Sonntag“. „Auch die SPD hat dabei viel erreicht.“ Weniger werbend äußerte sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in der selben Zeitung: SPD-Chef „Martin Schulz muss jetzt zeigen, dass die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner sein kann und er den Zwergenaufstand in Griff bekommt.“

Söder kritisierte zugleich die Gegner einer großen Koalition in der SPD. „Sie schmoren offenkundig lieber im eigenen Saft, anstatt sich um die Anliegen der Menschen zu kümmern. Es mag sein, dass einige Funktionäre im Elfenbeinturm sich mehr Ideologie gewünscht hätten, aber der frühere klassische SPD-Wähler kann mit dem Ergebnis zufrieden sein“, sagte er. „Wer Angst vor der eigenen Verantwortung hat, der wird auf Dauer beim Wähler nicht erfolgreich sein.“

Die SPD lässt am 21. Januar erstmals nach Sondierungsgesprächen einen Bundesparteitag über die Aufnahme förmlicher Koalitionsverhandlungen entscheiden. Falls der Parteitag den Weg für Verhandlungen frei macht, stimmen am Ende noch die Mitglieder in ihrer Gesamtheit über den dann auszuhandelnden Koalitionsvertrag ab. Bei der ersten Basisbefragung über das Sondierungsergebnis sprach sich am Samstag auf einem Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalts in Wernigerode eine hauchdünne Mehrheit gegen eine Neuauflage von Schwarz-Rot aus.

Dagegen wünscht sich einer Umfrage zufolge eine Mehrheit der Bürger, dass der SPD-Parteitag Verhandlungen zustimmt. Entsprechend äußerten sich in der Infratest-dimap-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ 60 Prozent der 500 Befragten, 30 Prozent wollen das nicht. 10 Prozent waren sich unsicher oder machten keine Angabe. Dass CDU/CSU und SPD in ihren Vorgesprächen vereinbart haben, keine Steuern zu erhöhen, finden 71 Prozent richtig (dagegen: 20 Prozent). Dass mehr Geld an die EU fließen soll, finden 53 Prozent falsch (richtig: 37).

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