GroKo-Werbetour Schulz will überzeugen – und überleben

In Dortmund startet Martin Schulz eine Werbereise durch NRW und Bayern, um die Basis von Koalitionsverhandlungen mit der Union zu überzeugen. Der SPD-Chef steht unter gewaltigem Druck und kämpft um seine politische Karriere.

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Schulz wirbt für Koalitionsverhandlungen bei westfälischen Delegierten des Bundesparteitags. Quelle: dpa

Dortmund Martin Schulz sieht nicht aus wie jemand, dem sein Job große Freude bereitet, als er am Montagabend das Kongresszentrum der Westfalenhallen in Dortmund betritt. Er hat dicke Ränder unter den Augen und wirkt gehetzt. Er muss an der Basis für etwas werben, was er nach dem desaströsen Abschneiden der SPD bei den Bundestagswahlen noch kategorisch ausgeschlossen hat: eine Neuauflage der Großen Koalition (GroKo).

Der Empfang könnte ungemütlicher kaum sein. Draußen wartet eine Gruppe der NRW-Rechten mit einem Transparent. Sie brüllen „Martin Schulz, Volksverräter“. Kalter Wind peitscht welkes Laub durch den Nieselregen. Ein Ahornblatt ist mit Schulz und seinem Tross ins Foyer hinein gewirbelt, wo eine Horde Journalisten die grellen Scheinwerfer ihrer Kameras auf den SPD-Chef richtet.

Schulz steht erheblich unter Druck, nachdem am Montagabend die Berliner SPD gegen Koalitionsverhandlungen gestimmt hat und bereits am Samstag die Genossen auf dem Landesparteitag in Sachsen-Anhalt gegen das vereinbarte Sondierungspapier votierten. Und auch aus der Parteispitze gibt es Kritik am Sondierungspapier vom Freitag mitsamt einer Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Am Sonntag wird ein Sonderparteitag darüber entscheiden, ob die SPD Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnehmen wird.

Stimmen die Delegierten dort gegen eine GroKo, gilt es als unwahrscheinlich, dass Martin Schulz sein Amt als SPD-Chef wird behalten können. Deshalb wirbt er in dieser Woche bei den Genossen im mitgliederstärksten Landesverband Nordrhein-Westfalen und in Bayern nicht nur für die GroKo, sondern auch für seine politische Zukunft. NRW stellt mit etwa einem Viertel die mit Abstand meisten der 600 Delegierten beim Sonderparteitag in Bonn. Ein Heimspiel darf Schulz dort nicht erwarten.

Eingerahmt von Andrea Nahles, der Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Groschek, dem Chef der NRW-SPD, und Svenja Schulze, der Generalsekretärin der SPD Nordrhein-Westfalen, tritt Schulz in Dortmund vor die Kameras und Mikrofone der etwa 50 Journalisten. Dort finden Vorbesprechungen mit den Delegierten aus Westfalen hinter verschlossen Türen statt.

„Ich gehe heute auf die Kritiker zu, ermutige aber auch all diejenigen zu sprechen, die mit uns zufrieden sind, wie der deutsche Gewerkschaftsbund oder der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske“, sagt Schulz, die rechte Faust geballt. Der habe ihm gesagt „dass für die hart arbeitende Mitte in diesem Land viel erreicht wurde. Ich hoffe“, sagt Schulz, dessen Faust immer wieder auf der linken Hand pausieren muss, „die Menschen mobilisieren zu können“.

Dann beginnt Schulz einen Streifzug durch die Liste vermeintlicher Sondierungserfolge. Der führt von der Musterfeststellungsklage zur „alleinerziehenden Mutter“, die dank der SPD für ihr Kind einen Platz in der Ganztagsbetreuung bekomme, über die Rentnerin, die nun Aussicht auf eine Grundrente habe und die 8000 Pfleger, die bald eingestellt werden könnten.

Immer wieder unterbrechen rechte Störer seinen Vortrag mit fremdenfeindlichen Zwischenrufen. Fast dankbar nimmt er die Vorlagen auf, ermöglichen sie ihm doch auf ein Terrain zu steuern, das er im Schlaf beherrscht: Europa. „Europa rückt nach rechts", sagt Schulz. Er hoffe, die Delegierten haben das gehört. Mit den „Errungenschaften des Sondierungsvertrages“ hätte die Sozialdemokratie eine große Chance, Europa eine neue Richtung zu geben.

Ob das die Delegierten überzeugt, die im Silbersaal der Kongresshalle vor Ausdrucken des Sondierungspapiers sitzen, ist fraglich.

Laut einer Umfrage von Infratest Dimap für die „Bild am Sonntag“ wünscht sich zwar eine Mehrheit der Bürger, dass der SPD-Parteitag Verhandlungen mit der Union zustimmt. Doch laut einer anderen Umfrage glaubt eine Mehrheit der Bundesbürger nicht daran, dass Schulz seine Parteibasis vom Eintritt in eine GroKo überzeugen kann. 45 Prozent der Befragten beantworteten eine entsprechende Frage in einer Civey-Erhebung im Auftrag der Funke-Mediengruppe mit „eher nein“ oder „nein, auf keinen Fall“. Rund 38 Prozent zeigten sich gegenteiliger Meinung.

Große Skepsis bekam auch Groschek auf einer Veranstaltung der Basis am Sonntag in Düsseldorf zu spüren, wo er für eine Fortsetzung der GroKo geworben hatte. Statt Applaus erntete er von den meisten der versammelten Genossen trotziges Schweigen.

Der NRW-Delegierte Jens Peick, zugleich stellvertretender Vorsitzender der Dortmunder SPD, sagte dem Handelsblatt am Montag in Dortmund: „Die GroKo wurde ganz klar abgewählt. Ich habe große Bedenken, dass man der AfD die Oppositionsführerschaft im Bundestag überlässt“. Seine Begleiterin, Anna Spaenhoff, die Mitglied im Landesvorstand der NRW-Jusos ist, fügt hinzu: „Die Sondierungsergebnisse werden uns als großer Wurf verkauft. Aber wir können selbst lesen und sehen, dass das einfach nicht der Fall ist.“

Mit ihrer Einschätzung ist die NRW-Delegierte nicht allein. Nachbesserungsforderungen von Spitzenvertretern der SPD betreffen etwa die Bürgerversicherung und ein Verbot der Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund. „Wer glaubt, dass das Sondierungsergebnis automatisch der Koalitionsvertrag ist, der irrt sich natürlich“, sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Auch Berlins Bürgermeister Michael Müller sieht eine Neuauflage von Schwarz-Rot „sehr kritisch“, wie er im „Tagesspiegel am Sonntag“ sagte. Insbesondere in den Bereichen Wohnen, Zuwanderung und Integration will er größere Zugeständnisse der Union.

Martin Schulz hat nicht viel Zeit, die Skeptiker im eigenen Lager zu überzeugen. Also kommt er auch ihnen entgegen, als er in Dortmund sagt: „Ein Sondierungsvertrag ist kein Koalitionsvertrag. Wenn das so wäre, bräuchten wir nicht abzustimmen“.

Der Union dürften solche Töne nicht gefallen, dort sorgen Forderungen nach Nachverhandlungen für Verärgerung. „Was jetzt als Konsens auch der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, an dem gibt es nichts mehr zu rütteln“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder der „Bild“-Zeitung. CSU-Chef Horst Seehofer sagte in München: „Man kann jetzt nicht einseitig nach der Sondierung aufsatteln mit Dingen, die man in der Sondierung nicht durchsetzen konnte.“

Unterstützung erhält Schulz unter anderem von der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer und Manuela Schwesig. Beide waren lange skeptisch gegenüber einem solchen Bündnis, nun setzen sich die wichtigen Ministerpräsidentinnen für den Start von Koalitionsverhandlungen ein.

Im Foyer des Dortmunder Kongresszentrums kickt Andrea Nahles das hereingewirbelte Ahornblatt zur Seite. „Der Herbst ist vorbei“, sagt sie zu einem Begleiter. Ob der SPD ein eisiger Winter oder der Frühling bevorsteht, werden die 600 Delegierten und der 45-köpfige SPD-Vorstand am Sonntag in Bonn entscheiden. Bis dahin wird Schulz in Düsseldorf und im bayerischen Kloster Irsee versuchen, um jede Delegiertenstimme zu kämpfen.

An Beschlüsse von Landesparteitagen oder -vorständen sind die Delegierten nicht gebunden. Ob sie sich für oder gegen die GroKo-Verhandlung aussprechen, ist öffentlich. Macht der Parteitag den Weg frei, stimmen am Ende noch die Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag ab. Auch hier könnte die Fortsetzung von Schwarz-Rot noch scheitern.

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