
Man kann der großen Koalition vieles vorwerfen, allerdings nicht, dass sie faul gewesen wäre. Leider ist sie das nicht gewesen, entgegnen die Kritiker. Für sie bedeutet die Bilanz der großen Koalition kaum mehr als die Verkehrung des Spruchs „Wer nichts macht, macht auch nichts falsch“. Nämlich: Wer viel macht, macht eben auch viel Mist.
In der Tat ist der Arbeitsnachweis zur ersten Sommerpause beeindruckend umfangreich, die üppige Tagesordnung der heutigen Bundesratssitzung dokumentierte diesen Umstand noch einmal ziemlich plastisch. Einige der bedeutendsten Vorhaben der Koalition für die gesamte Wahlperiode sind nach wenigen Monaten bereits fertig. Mit EEG-Reform und Mindestlohn standen zwei dieser schwarz-roten Projekte an diesem Freitag zur abschließenden Abstimmung im Bundesrat.
Die drängenden Aufgaben der große Koalition nach Amtsantritt
Schon an diesem Mittwoch verhandelt der alte und neue Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit seinen europäischen Amtskollegen über Details für gemeinsame Regeln zur Abwicklung maroder Banken. Dazu soll unter anderem mit Abgaben der Finanzindustrie ein europäischer Abwicklungsfonds aufgebaut werden. Er soll innerhalb von zehn Jahren bis zu 55 Milliarden Euro umfassen. Etwa 10 Milliarden dürften deutsche Institute beisteuern.
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Bis Ostern soll bereits eine Generalüberholung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) stehen mit einem verbindlichen Ausbaupfad und Kostenbegrenzungen bei der Förderung erneuerbarer Energien. 40 bis 45 Prozent Ökostrom-Anteil soll es bis 2025 geben, 55 bis 60 Prozent bis 2035. Bei der Windkraft an Land soll es künftig weniger Fördergeld für neue Windräder und eine Konzentration auf windstarke Standorte geben. Durch die Vergabe von Umwelt- und Wirtschaftsministerium an eine Partei - die SPD - sollen Reibereien minimiert werden. Sigmar Gabriel (Wirtschaft und Energie) hat sich mit Staatssekretär Rainer Baake, einem Grünen, viel Expertise geholt - ebenso wie Barbara Hendricks (Umwelt und Bau) mit Umweltbundesamt-Präsident Jochen Flasbarth.
Schwarz-Rot muss als Erstes die anstehende Senkung des Rentenbeitrags verhindern, damit für die verbesserte Mütterrente genug Geld da ist. Dazu bedarf es eines Gesetzes, das schon zum 1. Januar gelten müsste. Dafür ist es aber zu spät, deshalb greift die große Koalition zu einem Trick. In einem ersten Schritt will die Koalition den Gesetzentwurf an diesem Donnerstag in den Bundestag einbringen, den Beitrag bei 18,9 Prozent zu belassen. Da das Gesetz voraussichtlich erst im März rückwirkend in Kraft treten kann, will Schwarz-Rot vorab für alle Beteiligten Klarheit schaffen: Durch Veröffentlichung des Gesetzentwurfs vor dem Jahreswechsel im Bundesgesetzblatt. Juristen des Bundestages und der Arbeitgeber halten dies verfassungsrechtlich für fragwürdig. Der Rentenkasse sollen so Einnahmen von gut sieben Milliarden Euro erhalten bleiben.
Union und SPD wollen die steigenden Arzneiausgaben im Griff halten. Allerdings läuft Ende des Jahres ein gesetzlicher Preisstopp aus. Ein Rabatt, den die Hersteller den Krankenkassen gewähren müssen, sinkt von 16 auf 6 Prozent. Union und SPD wollen das Preismoratorium weiterführen und den Abschlag auf 7 Prozent festsetzen. In der Zwischenzeit können die Hersteller die Preise aber anheben. Die wohl größte geplante Reform in dem Bereich betrifft die Altenpflege: Künftig sollen Bedürftige ganz anders und großzügiger in die Pflegeversicherung eingestuft werden. Angesichts eingeplanter Prüfungen dringt die Branche auf zügige Umsetzung.
Spätestens Ende Februar muss das Mandat für die letzten Monate des Kampfeinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan stehen. Bis zum Frühjahr muss außerdem ein Plan für die Zeit danach erarbeitet werden. Die Bundeswehr soll zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Truppen im Land bleiben. Die neue Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) muss sich zudem mit einem Skandal-Projekt befassen, hinterlassen vom Vorgänger Thomas de Maizière (CDU): Für die Aufklärungstechnik der Drohne „Euro Hawk“ muss sie Anfang des Jahres ein neues Trägerflugzeug präsentieren.
Viele der aktuellen internationalen Themen kennt Comeback-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) schon. Ganz oben auf der Themenliste stehen die Ukraine - und damit auch die Beziehungen zu Russland -, die Atomverhandlungen mit dem Iran sowie die Reparaturarbeiten im Verhältnis zu den USA.
Die schwarz-rote Koalition muss einen überarbeiteten Haushalt für 2014 vorlegen. Der erste Entwurf war im Sommer von der schwarz-gelben Vorgängerregierung vorgelegt worden. Er bleibt wesentliche Grundlage. Durch die lange Regierungsbildung verzögern sich die Etatberatungen. Berücksichtigt werden müssen auch die Neuzuschnitte der Ministerien. Ein neuer Entwurf für 2014 könnte im Februar vorliegen. Im März werden schon die Eckpunkte für den Etat 2015 und den Finanzplan bis 2018 erwartet. Den endgültigen Etat für 2014 könnte der Bundestag im April/Mai verabschieden - fünf Monate später als üblich. Solange gilt die vorläufige Haushaltsführung. Die Verzögerung ist aber nicht ungewöhnlich.
Zeit also für Zeugnisse: Was ist der Groko gelungen? Was nicht? Viel Schatten, und ein wenig Licht – so lässt sich das Wirken der großen Koalition zusammenfassen:
Das milliardenteure Rentenpaket mit Mütterrente und Rente ab 63 war ein früher Tiefpunkt großkoalitionären Regierens. Extrem teure, nicht nachhaltige Klientelpolitik, an der sich nur etwas Gutes finden lässt: Dass der oder die nächste Sozialministerin vieles wird rückgängig machen müssen, wenn die Alterung der Gesellschaft richtig durchschlägt.
Bei der EEG-Reform hingegen hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) durchaus Respekt verdient. In die Energiewende ist, bei allen Detailproblemen, bereits nach wenigen Monaten mehr Realismus, Kostenbewusstsein und Planungssicherheit gekommen. Dennoch sind nur wenige der vielen Absurditäten der Ökowende aufgelöst. Erste Schritte sind also gemacht, nicht mehr und nicht weniger.
Die Reform der Optionspflicht wurde wenig beachtet, ist aber ein wichtiger Schritt für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht – und ein gutes Signal an Migrantenkinder in Deutschland. Ein Pluspunkt.
Der gesetzliche Mindestlohn ist ein gewaltiges Experiment am Arbeitsmarkt. Für einen Mindestlohn moderater Höhe gäbe es grundsätzlich einige gewichtige sozial-marktwirtschaftliche Argumente, an diesen Mindestlohn der großen Koalition hingegen muss man viele skeptische Fragen richten. Der gut laufende Arbeitsmarkt, gerade im Osten, gerät unter Druck. Und das ohne Not.
2015 könnte es endlich soweit sein: Ein Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung. Finanzminister Wolfgang Schäuble könnte gelingen, was seit Jahrzehnten keinem seiner Vorgänger gelingen sollte: eine schwarze Null. Ein wichtiges Signal, denn die Konsolidierung aller öffentlichen Haushalte bleibt weiter ein schweres Unterfangen.
Wer dachte, dass die Regierung es nach diesem Start im Herbst langsamer angehen würde, liegt falsch. Der Reformeifer der Minister geht weiter: Mit – nur als Beispiel – Frauenquote, Pkw-Maut und Mietpreisbremse stehen die nächsten umstrittenen Gesetzesentwürfe schon bereit. Der Quell für Debatten wird nicht so schnell versiegen.