




Am Dienstag tritt Angela Merkel zum dritten Mal vor den Bundestagspräsidenten und wird als Kanzlerin Deutschlands vereidigt, danach fährt sie mit ihrer neuen Truppe aus schwarzen und roten Ministern vom Reichstag hinüber zum Schloss Bellevue, wo der Bundespräsident die Ernennungsurkunden überreicht.
So weit, so feierlich. Doch die langatmigen zwölf Wochen, die sich CDU/CSU und SPD zur Annäherung gegönnt haben, konnten sie sich gar nicht leisten. Die neuen Minister sind schon zu spät dran, ehe sie überhaupt mit dem Regieren beginnen. Seit Juni wurde Deutschland nur noch verwaltet statt von einer Bundesregierung gestaltet. Das rächt sich. Gleich in drei Schlüsselressorts gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft die EU-Kommission, das geltende Recht oder auch die weiter schwelende Krise der Euro-Länder.
Ein missglückter Start ist für gleich drei Minister absehbar: für Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Energiewende, für Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Rente und wohl auch für Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei der Bankenrettung in der EU. Sie sind schlicht zu spät.
Die Energiewende läuft in die falsche Richtung
Ganz schnell soll es nun gehen bei der Energiewende, jenem Mammutprojekt, das die Deutschen wohl eine Generation lang beschäftigen wird. Doch bereits am Mittwoch will die EU-Kommission in Brüssel ein Verfahren gegen Deutschland einleiten. Die Brüsseler sind überhaupt nicht damit einverstanden, wie Deutschland seine Energiewende finanziert. Weil der Industrie zahlreiche Ausnahmen von den Kosten für den Umbau gewährt werden, geht Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia von einer staatlichen Beihilfe aus, die den Wettbewerb für die ausländische Konkurrenz verzerrt.
Nur einen Monat lang hat die Bundesregierung Zeit zu reagieren. Sollte am Ende des Verfahrens die Ökostromförderung nach bisheriger Art kippen, wird es richtig teuer. Schlimmstenfalls muss die Industrie all die Milliarden Euro nachzahlen, die ihnen über Jahre hinweg an Stromkosten erlassen wurden. Für einzelne Chemie- oder Alu-Fabriken könnten die Zahlungen das Aus bedeuten.
Angriff auf das EEG





Für die Bundesregierung ist jetzt schon absehbar, dass der Spielraum für die Energiewende schmaler wird. Die EU-Kommission fährt einen Angriff auf das gesamte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), mit dem bisher der Umbau der Versorgung gesteuert wird.
Zurzeit sind knapp 1700 Betriebe in Deutschland befreit, den Umbau der Energieerzeugung über ihren Strompreis bezahlen zu müssen. 2014 werden es rund 2700 Unternehmen sein, die dann insgesamt fünf Milliarden Euro Energiekosten sparen dürften.
Beim Umbau der Energieversorgung von Atomkraft und Brennstoffen wie Kohle und Gas hin zu erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse läuft auch anderes reichlich schief. Die neuen Energielieferanten werden teils zu üppig gefördert. Das ist teuer und bedeutet auch, dass ineffizient produzierter Strom von weit versprengten Standorten teuer in ein noch gar nicht passendes Stromnetz eingespeist werden muss. Die Industrie verabschiedet sich zunehmend mit eigener Erzeugung und großzügig gewährten Ausnahmen aus der Finanzierung des Milliardenprojekts. Dadurch bleiben umso mehr Kosten an Privatverbrauchern hängen, die bereits jetzt unter denen sind, die die teuersten Stromrechnungen in Europa begleichen. Doch nicht mal die grünen Ziele erreicht die Wende. Alte Kohlekraftwerke laufen auf Hochtouren, sie produzieren billig wie noch nie, belasten aber die Umwelt mehr als vor der Wende. Der CO2-Ausstoß steigt.
Auch wenn Sigmar Gabriel einen Kickstart als neuer Minister für Energie und Wirtschaft hinlegen will – er hat dafür noch gar nicht die Hausmacht. Erst müssen Beamte vom Umwelt- ins Wirtschaftsministerium wechseln, muss das Ressort zusammengeschweißt werden. Das ist nicht leicht bei der sehr unterschiedlichen Kultur zwischen Wirtschaftsressort (eher liberal) und Umweltministerium (eher grün). Für diese Aufgabe wird vor allem Gabriels neuer starker Mann im Haus zuständig sein. Und der ist eine Überraschung: Zum beamteten Staatssekretär bestellte der SPD-Chef Rainer Baake, einen Grünen. Baake, 58, leitete zuletzt einen Think Tank, der neue Ideen zur Energiewende beisteuern soll. Staatssekretär war er bereits, zuletzt beim grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin, aber auch in Hessen unter dem damaligen Landesminister Joschka Fischer.
Die Rentenkasse wird für Wahlgeschenke geplündert





Auch die neue Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist eigentlich jetzt schon viel zu spät dran. Nach geltendem Recht muss der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung von jetzt 18,9 auf 18,3 Prozent des Bruttolohns gesenkt werden. Die Konjunktur läuft, das sorgt für Überschüsse in der Rentenkasse. Genau diese vorgegebene Senkung will die Regierung aber noch verhindern, um Wahlgeschenke wie die Mütterrente oder die Rente mit 63 bezahlen zu liefern. Nahles muss deshalb am Donnerstag, noch ganz knapp vor der Weihnachtspause ein Gesetzesverfahren in Gang bringen, das selbst die Hausjuristen im Bundestag für so nicht vertretbar halten. Nahles will in erster Lesung ein Gesetz einbringen, das die nach geltendem Recht gebotene Senkung des Rentenbeitragssatzes nachträglich verhindert.
Die Koalition vereitelt damit eine Entlastung der Beitragszahler um sechs Milliarden Euro. Doch für eine solide Finanzierung des Wunschzettels der Koalition dürfte das nicht mal reichen. Mütter, die vor 1992 Kinder geboren haben, sollen durch höhere Renten besser gestellt werden und Arbeitnehmer sollen bereits mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen dürfen, wenn sie 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Auch Menschen, die gesundheitlich eingeschränkt sind, sollen bessere Erwerbsminderungsrenten bekommen.
Weil das alles schon ab Juli 2014 gelten soll, müssen schnell Gesetze her. Eigentlich müsste das alles bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Der Schweinsgalopp, der eine Senkung des Rentenbeitrags ungeschehen machen soll, kann aber erst rückwirkend in Kraft treten. Also vermindert sich der Rentenbeitrag wohl zum 1. Januar 2014 formal, er wird aber dann sogleich wieder erhöht, sodass kein Beitragszahler von der Entlastung etwas spürt. Vertreter der großen Koalition reden sich den ohnehin unsauberen Griff in die Rentenkasse schön: Schon bei den Koalitionsverhandlungen sei ja längst der Wille der Regierungspartner absehbar gewesen, solche Wohltaten verteilen zu wollen. Deshalb sei das keine Nacht- und Nebelaktion. Formal ist das alles andere als sauber. Nur: Wer will dagegen vorgehen?
Nebenbei will Arbeitsministerin Nahles außerdem bald Entwürfe für den flächendeckenden Mindestlohn sowie die Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen vorlegen. Auch hier drängt die Zeit, wenn die Vorgaben des Koalitionsvertrags irgendwie erfüllt werden sollen.
Die Rettung maroder Banken schleppt sich dahin
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss sich anders als seine beiden Kabinettskollegen weder mit einem neuen Amt noch mit neuem Ressortzuschnitt plagen. Dennoch haben die Ereignisse anderswo den gewieften Minister längst überholt. Direkt nach seiner Ernennung muss Schäuble nach Brüssel fahren, wo die Finanzminister der EU-Staaten nachsitzen. Sie sollen strittige Themen vor dem Europäischen Rat der Regierungschefs am 19. und 20. Dezember klären.
Es geht um die Bankenunion, jenen Mechanismus, der künftig greifen soll, wenn marode Finanzinstitute die Wirtschaft der EU gefährden. Schäuble will den Mechanismus, da hat er sich klar festgelegt – anders als sonst, wenn er öffentlich gern im Ungefähren bleibt. Doch will Schäuble andere Kernelemente durchsetzen als es bislang von der EU-Kommission vorgesehen ist. So sollen nach Schäubles Willen nicht die Kommission, sondern die Staaten das letzte Wort haben, ob ein sieches Bankhaus abgewickelt werden soll. Auch will er, dass zunächst mal das eigene Land für seine Banken haftet, bevor ein gemeinsamer Fonds der Euro-Länder einspringt. Keine kleinen Meinungsverschiedenheiten, die da im Eiltempo noch gelöst werden müssen… Andernfalls dürfte die Bankenunion nicht mehr vor der Europawahl im Frühjahr 2014 auf den Weg kommen.
Deutschland
Danach könnte sogleich noch ein weiterer europäischer Brocken warten. Eine Leitlinie steht an, wie Banken durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM direkt rekapitalisiert werden sollen. Zu Beginn des nächsten Jahres geht es dann sofort wieder im die Finanzierung der Dauerkrise in Griechenland.
Auch in der Haushaltspolitik ist Schäuble eigentlich schon zu spät dran, bevor er wieder startet. Der Haushalt für 2014 steht noch aus, obwohl weniger als 14 Tage bis zum Jahreswechsel bleiben. Also gelten demnächst die Regeln der vorläufigen Haushaltswirtschaft – und die bedeuten Einschränkungen für alle Ressorts der Bundesregierung. Etwa bis zur Jahresmitte dürfte das Finanzministerium noch mit dem Haushalt für 2014 und gleich parallel mit dem für 2015 beschäftigt sein.