Große Koalition Scholz wirft Merkel „eklatante Führungsschwäche“ vor

Die Sozialdemokraten toben nach dem Glyphosat-Entscheid. Sie sehen die Union vor dem Vierer-Treffen beim Bundespräsidenten unter Zugzwang. Für Olaf Scholz kommt Merkels „politischer Stil kommt offenbar an seine Grenzen“.

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„Wenn der politische Wettbewerb nicht mehr zwischen den beiden Volksparteien stattfindet, hat das negative Folgen für unsere Demokratie.“ Quelle: dpa

Berlin Der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel „eklatante Führungsschwäche“ bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungen vorgeworfen. Dass es nun schnell zu einer Neuauflage der Großen Koalition aus Union und SPD kommen könnte, hält Scholz für unwahrscheinlich. „Sie ist eine Option. Aber nur eine. Es gibt keinen Automatismus, dass sie auch zustande kommt“, sagte er dem Magazin „stern“ (Donnerstag). Der Weg sei lang, aber diese Zeit müssten sich die Beteiligten nehmen, sagte der Sozialdemokrat, der in seiner Partei als einer der größten Befürworter einer Großen Koalition gilt. Große Koalitionen dürften kein Dauerzustand werden: „Wenn der politische Wettbewerb nicht mehr zwischen den beiden Volksparteien stattfindet, hat das negative Folgen für unsere Demokratie.“

Zu den abgebrochenen Sondierungen für eine Jamaika-Koalition sagte Scholz, die Union mache es sich zu einfach, wenn sie das nur der FDP anlaste. „Es ist auch ein Scheitern der CDU-Vorsitzenden.“ Ihre Kraft habe sich offensichtlich erschöpft. Es sei fraglich, ob sie bei den Gesprächen über eine Neuauflage der Großen Koalition die Kraft finde, eine Einigung herzustellen. Etwa in den großen Fragen der Europapolitik und mit Blick auf die Initiativen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fehle es der Kanzlerin an Führungsstärke. „Ihr politischer Stil kommt offenbar an seine Grenzen“, sagt Scholz, „Die Zeit des Durchlavierens ist vorbei.“

Der SPD-Linke Matthias Miersch hat nach der umstrittenen Glyphosat-Entscheidung von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt einen Untersuchungsausschuss ins Spiel gebracht. Miersch sprach am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin von einem „ungeheuerlichen Vorgang“, nach dem man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könne. „Es ist viel Aufklärungsbedarf“, sagte der Chef der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. Er sieht Kanzlerin Angela Merkel in der Pflicht. Diese müsse sagen, was eigentlich passiert sei. Wenn nun auch noch die Rede davon sei, dass CSU-Chef Horst Seehofer lange vor Schmidts Entscheidung darüber Bescheid wusste, deute das auf einen „Intrigantenstadl“ hin.

Der Vorgang belaste die Gespräche zwischen Union und SPD über ein Regierungsbündnis welcher Art auch immer, sagte Miersch. Eine Große Koalition und Gespräche darüber, „die sehe ich im Moment gar nicht“, sagte er. Erneut sprach er sich für eine Lösung zwischen Neuwahlen und großer Koalition aus, etwa Formen der Tolerierung mit Hilfe von Absprachen. Der Union warf er vor, auch in der vorherigen Großen Koalition Vereinbarungen gebrochen zu haben.

Das Landwirtschaftsministerium hatte am Montag in Brüssel dafür gestimmt, den Einsatz von Glyphosat um weitere fünf Jahre zu verlängern. Die Entscheidung Schmidts war nicht mit dem SPD-geführten Umweltministerium abgestimmt. Auch Merkel hatte ihren Landwirtschaftsminister daraufhin kritisiert.

Nach der umstrittenen Zustimmung auf EU-Ebene zum Unkrautvernichter Glyphosat fordert der rechte SPD-Flügel Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, als Zeichen des guten Willens den Weg für das von der Union blockierte gesetzliche Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit freizumachen. „Das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme in Richtung SPD. Das rettet die Sache nicht, aber das Klima“, sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, der Deutschen Presse-Agentur. „So ein Zeichen noch vor dem SPD-Parteitag in der kommenden Woche würde uns allen helfen.“

Durch das eigenmächtige „Ja“ Schmidts sei Vertrauen kaputtgemacht worden, sagte Kahrs. „Wenn wir miteinander reden wollen, muss wieder Vertrauen auf beiden Seiten wachsen.“ Dafür müsse die Union die Initiative ergreifen. Den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Mittwoch) sagte er: „Für die Union wird es jetzt richtig teuer.“

Am Donnerstag treffen sich die drei Parteichefs Martin Schulz (SPD), Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU) mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, um nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen einen Ausweg aus der Regierungsbildungskrise zu suchen. Denkbar sind eine erneute Große Koalition, eine Merkel-Minderheitsregierung oder Neuwahlen.

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sah seine Partei vor den anstehenden Gesprächen dagegen nicht unter Zugzwang. „Wir fangen jetzt neu an. Auf Basis der jeweiligen Wahl- und Regierungsprogramme“, sagte er der „Saarbrücker Zeitung“ (Mittwoch). „Deswegen müssen Kompromisse auch wieder neu erarbeitet werden.“ Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, sagte dem „Tagesspiegel“ (Mittwoch): „Mit der SPD wird es eigentlich nur in der Energiepolitik etwas einfacher als bei Jamaika.“ Die Schwierigkeiten bei der möglichen Bildung einer weiteren Großen Koalition dürften auch Thema beim Deutschen Arbeitgebertag sein, bei dem am Mittwoch unter anderen SPD-Chef Schulz auftritt.

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