WirtschaftsWoche: Herr Sternberg, der Altersdurchschnitt von deutschen Gründerinnen und Gründern ist zuletzt deutlich gesunken. Woran liegt das?
Rolf Sternberg: Wir beobachten, dass sich die Motive für Unternehmensgründung in den vergangenen Jahren verändert haben. Sehr viele junge Menschen wollen eine Firma gründen, weil sie die Welt verbessern wollen. Dafür gibt es heutzutage viel mehr Anlässe als vor einigen Jahrzehnten.
Woher kommt dieser Wandel?
Die Generation der heute 18 bis 24-Jährigen wächst in einer krisenbehafteten Zeit auf: In Europa ist gerade ein Krieg ausgebrochen. Wir stecken mitten in einer Pandemie. Und dann ist da noch die Klimakrise, die aktuell in den Hintergrund rückt. Erfreulicherweise haben viele junge Menschen offenbar das Bedürfnis, den Einfluss dieser Krisen zu verringern. Und zwar nicht nur für sich selbst, sondern für die Gesellschaft allgemein.
Aber was ist mit dem materiellen Aspekt? Ist Geld verdienen weniger wichtig?
Es steht als Gründungsmotiv zumindest nicht mehr so im Vordergrund wie noch vor 20 Jahren.
Zur Person
Rolf Sternberg ist Professor für Wirtschaftsgeografie an der Leibniz Universität Hannover und Leiter des deutschen Länderteams des Global Entrepreneurship Monitors (GEM), der weltweit größten Vergleichsstudie für Gründungsaktivitäten.
Frauen, die ein Unternehmen gründen, waren im vergangenen Jahr im Schnitt neun Jahre jünger als männliche Gründer. Wie erklären Sie sich das?
Das ist auch für uns ein überraschendes Ergebnis, das ich nicht befriedigend erklären kann. Die Ausbildungszeit unterscheidet sich bei Männern und Frauen nicht signifikant. Auch die unterschiedlichen Branchen, in denen Frauen und Männer bevorzugt gründen, erklären das Phänomen nicht. Wir werden dieses Thema im nächsten Jahr weiter beobachten.
In Deutschland bewerten die Bürger die Chancen für eine Unternehmensgründung positiver als früher. Zugleich aber trauen sich weniger Menschen eine Gründung zu. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?
Die Coronakrise hat viele Menschen stark verunsichert. Während der Pandemie gab es weniger Gelegenheiten, zu beweisen, was man kann. Das hat womöglich das Selbstbewusstsein beeinträchtigt.
Ein weiteres Ergebnis der neuen GEM-Studie: Ältere Menschen trauen sich eine Gründung häufiger zu als jüngere, gründen aber sehr selten. Sind in Deutschland die Rahmenbedingungen für ältere Gründer zu schlecht?
Das ist etwas zu hart ausgedrückt. Aber in Deutschland werden Gründungen tatsächlich selten mit älteren Menschen assoziiert. Implizit denkt man: Start-up heißt jung. Das muss aber nicht so sein. Natürlich können auch 60-Jährige ein Unternehmen gründen. Leider ist die ältere Generation noch nicht im Fokus der Politik, hier wären gezielte Förderprogramme nötig. Diese Haltung führt dazu, dass wenige ältere Menschen gründen.
Ist das in anderen Ländern anders?
Ja, auch weil die Bedeutung von Seniorität zwischen Ländern differiert. In Ländern wie China und Japan genießen ältere Menschen ein höheres gesellschaftliches Ansehen als jüngere. In mit Deutschland noch besser vergleichbaren Ländern wie Schweden, den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich lässt sich eine relativ hohe Senioren-Gründungsquote beobachten. In Deutschland kommt ein zweiter Punkt hinzu: Die allermeisten Menschen, die mit 60 Jahren überhaupt potenziell in der Lage wären, ein Unternehmen zu gründen, sind finanziell gut abgesichert. Aus finanziellen Gründen brauchen sie also kein Unternehmen zu gründen.
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