Grüne Der Mann, der die Grünen führen will

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Ohne Bürgerbeteiligung ist kein Staat zu machen

Als Außenseiter im Grünen-Wettstreit hat der Flensburger nur mit hohem Einsatz Chancen. In Harrislee zeigt sich der Spieler Habeck auf zweifache Weise: Der Mann, der erst mit Mitte 30 eher zufällig in der Politik landete und dann zügig zum Fraktionschef in Kiel aufstieg, zeigt sich unerschütterlich. Die Turnhalle ist seine Bühne. Da steht er mit der Hand in der Hüfte: „Ich dränge mich hier rein wegen meiner Leidenschaft für Rauferei.“ Dabei versucht er auch einen spielerischen Ansatz von Politik. Den besten Weg erkenne man oft erst, wenn man was probiere und frage. Wer Ideen zur Abwicklung der Atomära habe, solle sie vorbringen. Beim Kraftwerksschutt sei aber klar: „Irgendwann wird er auf einer Deponie landen.“

Ohne Bürgerbeteiligung ist kein Staat mehr zu machen, das hat er als Grüner verinnerlicht. Angst will er nehmen, doch bei manchen sät er an dem Abend erst Misstrauen. Warum steht er hier, wenn alles harmlos ist? In den Orten mit Deponie haben sich sofort Bürgerinitiativen gegründet. Nüchtern fasst er am Ende zusammen: „Uns holt jetzt ein, dass wir Grünen immer gesagt haben: Misstraut dem Staat!“

Patriotismus heißt, Deutschland noch besser zu machen

Seit vier Jahren ist er selbst der Staat, ist Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume. Das Regieren gefällt ihm ausnehmend gut, passend dazu schrieb er ein Buch über Patriotismus. Das Wort, das eher Konservative im Munde führen, übersetzt er so: Deutschland ist lebenswert, also helft alle mit, dass es noch etwas besser wird.

Der Bundesregierung wirft er im nächsten Atemzug vor, sie sei nicht „patriotisch“ genug. Um große Worte ist er nicht verlegen, auch nicht in der Industriepolitik – darum geht’s für ihn bei Windkraft und Stromtrassen. „Gabriel, Merkel und Seehofer hätten für die Energiewende in die Turnhalle gehen sollen“, meint er. „Nur wenn man sich der Kritik stellt, kann man die Dinge drehen.“

Der Mann von der Förde regiert in einer rot-grünen Koalition, in Kiel ist noch die dänische Minderheit beteiligt. Weil im Bund Schwarz-Grün wahrscheinlicher wäre, hält er alles offen, er nennt es „grüne Eigenständigkeit“. „Sonst können wir einpacken.“ Die CDU Angela Merkels sei kein Problem, die CSU Horst Seehofers schon. Bayrische Hürden wirken für ihn aber überwindbarer als Blockaden der Linkspartei. Die wolle keine Kompromisse, sei im Bund nicht regierungsfähig, ist er sicher. Hofreiter ist Fan von Rot-Rot-Grün, Özdemir eher von Schwarz-Grün.

Der einzige aussichtsreiche Ökolistenplatz im Norden

Mit hohem Einsatz spielt Habeck nun um die Macht 2017. Er möchte nicht in die Landespolitik zurück, falls es mit dem Spitzenplatz nichts wird. Er will dann Neues wagen, hat er ja mehrmals getan. Etwa als er 2001 mit seiner Frau Andrea Paluch ins Dorf Großenwiehe bei Flensburg zog, beide waren frisch promoviert und schlugen sich als Schriftsteller durch. Vier Söhne zogen sie groß.

Ein Bundespolitiker, der ihn länger kennt, staunt: „Er hat beschaulich, ja bürgerlich gelebt, sich um seine Kinder gekümmert und die Familie ernährt. Er hat literarisch gut geschrieben, aber weder nobelpreisträchtig noch in der Bestsellerliga.“ Dann habe er die Politik entdeckt – „und dass er ein Charisma hat, das viele in seinen Bann zieht“, sagt der CDUler etwas neidisch.

Wird Habeck Spitzenkandidat, besetzt er den einzig aussichtsreichen Ökolistenplatz für Männer im Norden. Da startet bisher Konstantin von Notz, Anwalt und anerkannter Innenpolitiker. Mit Habeck hat er den desolaten Landesverband erneuert, sie feiern Silvester, telefonieren oft. Jetzt hat die Freundschaft und vielleicht auch Notz’ Karriere einen Knacks.

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