Grundeinkommen Wie Hartz-IV-Alternativen im Ausland funktionieren

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Drei Beispiele

Finnland

Anfang 2017 startete der Versuch im großen Stil: Die Sozialversicherungsbehörde Kela loste 2000 Menschen ohne feste Arbeit aus und bot ihnen an, in Zukunft monatlich 560 Euro zu bekommen statt herkömmlicher Arbeitslosenhilfe. Anders als bei der Stütze sind keine Bedingungen daran geknüpft. Jeder darf dazuverdienen, aber keiner muss einen Job suchen. Die Erwartung: Arbeitslose könnten nun leichter einen Teilzeitjob annehmen oder eine Stelle mit geringer Bezahlung, weil das Basisgeld ja die nötigsten Ausgaben abdeckt.

Bislang liegt die Arbeitslosenunterstützung in Finnland für Alleinstehende, die vorher wenig verdient haben, bei 32,40 Euro pro Tag. Bei 20 Wochenarbeitstagen wären das 648 Euro im Monat.

Kritik kam von zwei Seiten. Das neue Grundeinkommen gehe auf Kosten der Schwachen, meinten Sozialverbände. Der Staat spare bei der Betreuung und legitimiere auch noch schlecht bezahlte Jobs. Tatsächlich berichten Nutznießer des Versuchs, dass ihnen der Start in die Selbstständigkeit gelungen sei, auch wenn diese (noch) nicht viel einbringe. Vor allem jene kommen offenbar gut damit zurecht, die ohnehin einen Begriff von ihrer Zukunft hatten, weniger aber jene, die mit vielerlei Alltagsproblemen kämpfen.

Aber auch die Industrieländerorganisation OECD findet Mängel. Die Sozialleistungen seien noch immer unübersichtlich und bürokratisch. Wenn schon Grundeinkommen, dann müsse Finnland auch alle übrigen Sozialleistungen überleiten, die bisher vom Lebensalter, der Lebensarbeitszeit, von der Kindererziehung oder der Steuerlast abhingen. Das jetzige Modell bedeute sonst nur höhere Steuern.

Der Test läuft noch bis Ende 2018. Die Mitte-rechts-Regierung in Helsinki will damit zum „innovativsten und experimentierfreudigsten Land“ weltweit werden.
Übertragbarkeit auf Deutschland: 2/5

Niederlande

Die niederländische Sozialhilfe ist ähnlicher Kritik ausgesetzt wie ihr deutsches Pendant: zu streng, zu kompliziert. Deshalb könnte ein Projekt in Utrecht, das im Juni startet, auch Antworten auf deutsche Fragen liefern. Beide Sozialstaatsmodelle haben ohnehin Ähnlichkeiten. Im Utrechter Modell wird nun konkret untersucht, was bei uns erst gefordert wird.

„Wir wollen untersuchen, welche Effekte verschiedene Ansätze der Sozialhilfe auf die Betroffenen haben“, sagt Loek Groot, Ökonom an der Universität Utrecht und einer der Initiatoren des Experiments, an dem 900 Sozialhilfeempfänger teilnehmen sollen. Alle erhalten während der 16 Monate dauernden Projektphase weiter die staatliche Unterstützung, die ihnen bisher zusteht: 992 Euro im Monat für Alleinstehende, die älter als 21 sind. Je nach Familienstand fällt der Betrag etwas höher aus.

Zu Beginn werden die Teilnehmer zufällig einer von vier Gruppen zugeteilt. Nur der Vergleich, erklärt Groot, könne beantworten: Wie soll der Staat Sozialhilfe genau gestalten? Soll er fördern oder fordern, sich raushalten oder unterstützen?

Die Regeln für die erste Gruppe ähneln am ehesten denen für ein Grundeinkommen. Hier sind die Teilnehmer zu nichts verpflichtet. Sie können nach Arbeit suchen, sich ehrenamtlich engagieren – oder einfach ihr Leben leben.
In der zweiten Gruppe wird der Staat aktiv. Je nach persönlicher Situation erhalten die Teilnehmer Hilfe – bei der Arbeitssuche oder familiären Problemen.
Mit der dritten Gruppe untersuchen die Wissenschaftler den Wert von Arbeit: Die Teilnehmer dürfen bis zu 200 Euro netto im Monat dazuverdienen.
Die vierte Gruppe dient als Kontrollgruppe: Die Sozialhilfeempfänger müssen sich weiter bewerben und sich qualifizieren, wie es die Sozialgesetze vorsehen.
Übertragbarkeit auf Deutschland: 4/5

Kanada

Kanada ist Wiederholungstäter. Schon in den Siebzigerjahren probte das Land ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Projekt ging daneben, die Beteiligten änderten ihr Leben nicht wie erhofft. Doch die gesammelten Daten gaben nicht her, warum das so war.

Nun starten gleich zwei kanadische Provinzen einen neuen Anlauf. In Quebec sollen künftig bis zu 84 000 Bedürftige – Arbeitslose, Geringverdiener und Menschen mit Behinderung – testweise ein Grundeinkommen beziehen. In Ontario startete bereits im Dezember ein Pilotversuch. Bis zu 4000 Kanadier – Sozialhilfeempfänger oder Geringverdiener – sollen dort bis zu 17 000 kanadische Dollar (umgerechnet rund 10 700 Euro) im Jahr erhalten. Und damit rund das Doppelte der bisherigen Sozial- und Mietbeihilfe von 8652 kanadischen Dollar. Wer arbeitet, dem werden 50 Cent für jeden erwirtschafteten Dollar von der Prämie abgezogen. Die Hoffnung: Mit der Freiheit können sich Bürger weiterbilden und später bessere Jobs finden. Zur Arbeit verpflichtet wird aber niemand.

Das Ontario-Modell ist aber wohl für viele kein lukratives Angebot: Bisher haben sich weniger Teilnehmer gefunden als erwünscht. Viele scheuen die komplizierte Anmeldung. Andere zweifeln, ob sie mit der neuen Leistung besser dastehen.

„Das bedingungslose Grundeinkommen schafft oftmals keine Verbesserung für die Schwächsten der Gesellschaft, sondern ist einzig ein nettes Zubrot für die Mittelschicht“, sagt der kanadische Ökonom Kevin Milligan. „Die erste Lehre des Projekts in Ontario ist: Das Grundeinkommen muss radikal einfach sein und tatsächlich den Bedürftigen helfen. Beides wird hier nicht erfüllt.“ Zudem sei fraglich, wie der Staat ein Grundeinkommen im großen Stil finanzieren wolle, das auch Berufstätigen gezahlt werde.
Übertragbarkeit auf Deutschland: 3/5

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