Nichts, so heißt es, ist kraftvoller als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Die, um die es derzeit geht, ist stolze 500 Jahre alt. 1516 schlug der Philosoph Thomas Morus erstmals ein bedingungsloses Grundeinkommen vor, das Bürgern im Staate „Utopia“ Freiheit von allen Zwängen und die Beteiligung am Gemeinwesen ermöglichen sollte.
So weit der Wunsch – denn noch heißt die deutsche Wirklichkeit Hartz IV. Die Grundsicherung hierzulande ist höchstens ein bedingtes Grundeinkommen, gebunden an Hunderte Klauseln und Paragrafen, kompliziert, ungeliebt und viel gescholten.
Dass Hartz IV abgeschafft und durch eine neue Form von Grundeinkommen ersetzt wird – das wünschen sich jene, die Empfänger der Sozialleistung nicht länger Bewerbungsmarathons, Sanktionsdrohungen und Bürokratiemühlen aussetzen wollen. Hier setzt das „solidarische Grundeinkommen“ an, das Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) propagiert. Erwerbslose Hartz-IV-Empfänger sollen freiwillig gemeinnützige Tätigkeiten aufnehmen und dafür mit einem Mindestlohn bezahlt werden. Befürworter eines solchen Modells sehen darin die bessere Alternative, mit mehr Fördern und ohne Fordern.
Doch die Idee des Grundeinkommens hat auch Befürworter, die gänzlich andere Ziele damit verbinden. Von liberaler und libertärer Seite stammt das Argument, ein Basiseinkommen ohne Bedingungen entlaste den Staat von Bürokratie. Den Bürgern wiederum verschaffe es persönliche Freiheit – fürs Ehrenamt oder für künstlerische Entfaltung, für Gründung, Bildung oder den Einsatz in der Familie.
In der gegenwärtigen deutschen Debatte wird viel mit Kampfbegriffen und Feindbildern operiert. Zusätzlich ist sie dadurch belastet, dass eine Regierungspartei namens SPD ein nicht kuriertes Hartz-Trauma mit sich schleppt. Vor allem aber ist die Diskussion theoretisch – dabei gibt es genügend Möglichkeiten, nüchtern auf die Praxis neuer, anderer Sozialstaatsmodelle zu schauen.
Verschiedene Formen des Grundeinkommens werden in mehreren Ländern Europas und in Nordamerika bereits im Kleinen ausprobiert. Von konservativ-liberaler Seite gestartet wie in Finnland. Mit dem pragmatischen Ansatz, den hergebrachten Sozialstaat zu erneuern, wie in den Niederlanden.
Oder mit einer Neuinterpretation von Fördern und Fordern wie im sozialliberalen Kanada. Diese Regierungen haben öffentlich nicht nur mehr oder weniger eingestanden, dass der Sozialstaat Erneuerung braucht. Sie suchen auch ergebnisoffen nach Alternativen.
Lesen Sie auf Seite zwei, mit welchen Alternativen Finnland, die Niederlande und Kanada experimentieren.