Grundsteinlegung von Stuttgart 21 Augen auf und durch

BER und Elbphilharmonie sind triviale Unterfangen im Vergleich zu Stuttgart 21. Das Projekt ist so risikobehaftet, selbst Politiker gehen auf Distanz. Doch für den Bahnhof gibt es kein Zurück mehr – er muss jetzt kommen.

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Ein unterirdisches Tunnelsystem, bedenklich hohes Gefälle, mitten durch Mineralwasser-Gebiet in einer engen Talkessellage: Eine viel anspruchsvollere Aufgabe hätte man sich nicht suchen können. Quelle: dpa

Stuttgart 21 ist seit Jahren ein Reizthema ohne seinesgleichen. Die jetzige Aufregung zum Spatenstich ist nur eine weitere Episode in einem grotesken Spiel. Dass sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Vize Thomas Strobl vor der heutigen Grundsteinlegung gedrückt haben, ist schlicht kindisch.

Aber es zeigt, wie schwer es Projekte haben, die zu einem Politikum geworden sind. Und es zeigt, dass Stuttgart 21 so risikobehaftet ist, dass diese Politiker lieber Distanz zu dem Milliarden-Projekt demonstrieren.

Zähneknirschend hatte Kretschmann den Volksentscheid 2011 für den Bahnhof akzeptiert. Für die anstehende Klage der Bahn AG gegen das Land auf Beteiligung an den Mehrkosten hat der Grünen-Ministerpräsident wenig Verständnis. Zumal die zahlreichen Bahnhofsgegner in seiner Partei immer vor einer Kostenexplosion gewarnt hatten. Aber auch diese Warnungen waren ja kein Kunststück. Die einst von Bahnchef Rüdiger Grube genannte „Sollbruchstelle“ von 4,5 Milliarden Euro ist bereits um bis zu zwei Milliarden Euro überschritten.

Langfristige Großprojekte werden im Verlauf immer teurer. Und sie werden, wenn es um die Genehmigung geht, immer kleingerechnet – zumal wenn es sich um öffentliche Projekte mit öffentlicher Beteiligung handelt. Stünden die Endkosten vorher fest, wären viele Projekte politisch nie durchsetzbar. 10 Milliarden Euro für Stuttgart 21, wie die Bahnhofskritiker erwarten, wären schlicht nicht vermittelbar gewesen. Vielleicht sogar zu Recht.

Denn der Bau des Berliner Großflughafens oder die Elbphilharmonie sind triviale Unterfangen im Vergleich zu dem unterirdischen Bahnhof mit seinem 58 Kilometer langem Tunnelsystem, mit bedenklich hohem Gefälle, mitten durch Mineralwasser-Gebiet in einer engen Talkessellage.


Höchste Konzentration ist gefragt

Eine viel anspruchsvollere Aufgabe hätte man sich nicht suchen können. Ob das wirklich sein musste, ist dahingestellt. Zumal es fraglich erscheint, ob die Kapazität des unterirdischen Bahnhofs mit der Fahrgast- und Verkehrsentwicklung überhaupt mithalten kann.

Der Umkehrzeitpunkt für den Bahnhof unter Tage ist aber längst überschritten. Jetzt zählt das Motto von Tunnelbauer Martin Herrenknecht: „The only way is through“. Das heißt aber mehr als „Augen zu und durch“. Höchste Konzentration der Ingenieure ist gefragt, damit der Bahnhof technisch realisiert wird.

Wenn man ehrlich ist, müsste man sich heute freuen, wenn die Kosten dabei nicht noch weiter explodieren. Nicht anders sind die jüngsten Bedenken des Rechnungshofes zu erklären, der zu einer besseren Projektkontrolle auffordert. Und noch aufschlussreicher wird das Gutachten von KPMG sein, das im Oktober vorgestellt wird.

Eines ist ohnehin klar. Das Projekt wird Milliarden Euro mehr kosten. Denn wenn der Bau zwei Jahre später fertig wird, kostet jeder Tag viel Geld. Das lernen Bauingenieure schon im ersten Semester Baubetrieb an der Uni. Bahn und Bevölkerung können schon froh sein, wenn das Projekt am Ende nicht mehr als zehn Milliarden kostet, auch wenn das viele heute noch nicht wahrhaben wollen. Da werden die Budgets noch einmal kräftig nachgebessert werden müssen. Rechtliche und haushaltstechnische Hürden hin oder her.

Zum Milliardengrab wird Stuttgart 21 aber erst, wenn irgendetwas Gravierendes am Ende nicht funktioniert. Das Thema Brandschutz am Berliner Großflughafen lässt grüßen. Also nicht Augen zu und durch, sondern Augen auf und durch.

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