Für die Kommunen geht es um Milliarden Euro, für Eigentümer und Mieter um Hunderte bis Tausende im Jahr. Für alle ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Gewicht, dass die Grundsteuer in ihrer heutigen Form gegen das Grundgesetz verstößt. Vor allem hat Karlsruhe entschieden, dass die Politik binnen kurzer Zeit eine Alternative vorlegen muss, da sonst die Grundsteuer ersatzlos wegfällt.
Das wäre für die Kommunen ein Drama, die dann schlagartig in die roten Zahlen schlittern würden. Sie zu beruhigen, scheint daher die erste Pflicht von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zu sein beziehungsweise seiner Vertreterin, der Parlamentarischen Staatssekretärin Christine Lambrecht (ebenfalls SPD).
Ihr erster Kommentar nach dem Urteil lautet am Dienstag in Karlsruhe: „Das Aufkommen für die Kommunen muss bleiben, das Hebesatzrecht ebenso, und drittens brauchen wir eine rechtssichere Lösung.“ Vor allem aber, schiebt Lambrecht hinterher, „heißt es für Mieter und Eigentümer Ruhe bewahren“.
Für die Politiker gilt dies indes nicht. Sie müssen schnellstmöglich eine Reform auf die Beine stellen, die sich auch innerhalb von wenigen Jahren von der Finanzverwaltung umsetzen lässt. Schon in dieser Woche setzen sich die Finanzminister und ihre Steuerexperten zusammen, um eine Lösung zu ventilieren. Einige würden sich gerne möglichst am Verkehrswert der Immobilien orientieren, was aber eine aufwändige Bewertung aller fast 36 Millionen Immobilien voraussetzen würde. Doch die Front der Einzelfallbesteuerer bröckelt.
Selbst der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) zeigt sich plötzlich flexibel. Bisher hatte er das so genannte Kostenwert-Modell verteidigt, das die Länder mit Mehrheit vor bald zwei Jahren beschlossen hatten, das aber wohl bis zu zehn Jahre in der Implementierung bräuchte – zu lang für das Bundesverfassungsgericht.
Was Sie über die Grundsteuer-Entscheidung wissen müssen
Bei der Berechnung der Grundsteuer werden Einheitswerte zugrunde gelegt. In den alten Bundesländern wurden diese 1964 festgelegt, in den neuen Bundesländern reichen sie sogar bis 1935 zurück. Inzwischen haben sich Gemeinden und Städte verändert und damit auch die Werte von Grundstücken und Gebäuden. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass dies gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.
Der Erste Senat erklärte die Einheitswerte damit für verfassungswidrig. Die Berechnung muss bis 2019 neu geregelt werden, anschließend gibt es eine Übergangsfrist zur Umsetzung bis 2024. Die Länder hatten bis zu zehn Jahre Übergangsfrist gefordert, der Eigentümerverband Haus & Grund dagegen nur zwei.
Grundgedanke ist, dass Grundstücke und Gebäude Kosten für die Kommunen verursachen, die zum Beispiel die Infrastruktur unterhalten. Die Eigentümer sollen diese Lasten mittragen. Dazu gibt es die Grundsteuer A für land- und forstwirtschaftliches Vermögen und die Grundsteuer B für bebaute oder bebaubare Grundstücke und Gebäude. Die Bemessungsgrundlage ist bundesweit einheitlich geregelt. Jede Kommune bestimmt aber mit einem Hebesatz die tatsächliche Höhe der Steuer.
Die Grundsteuer deckt etwa zehn Prozent der kommunalen Steuereinnahmen und ist damit eine wichtige Finanzierungsquelle. Die Einnahmen aus der Grundsteuer A lagen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2016 bei rund 400 Millionen Euro. Die Grundsteuer B brachte etwa 13,3 Milliarden Euro. Die Grundsteuer wird an Mieter weitergegeben und ist Teil der Nebenkosten.
Ein je nach Art des Grundstücks oder Gebäudes unterschiedlicher Anteil des Einheitswertes ist die Grundsteuermesszahl - für Wohnungen beträgt sie zum Beispiel 3,5 von Tausend. Wenn der Einheitswert 20.000 Euro beträgt, errechnet sich ein Grundsteuermessbetrag von 70 Euro (20.000 geteilt durch 1000 multipliziert mit 3,5). Diese 70 Euro werden mit dem von jeder Gemeinde individuell festgelegten Hebesatz multipliziert. Liegt er bei 500 Prozent, beträgt die Steuer 350 Euro pro Jahr. Der Hebesatz ist je nach Kommune sehr unterschiedlich und reicht von weniger als 100 bis mehr als 900 Prozent.
Für jedes der mehr als 35 Millionen Grundstücke in Deutschland ist ein Wert festgelegt. Eigentlich sollte dieser alle sechs Jahre neu festgestellt werden, damit Veränderungen etwa der Bausubstanz oder des Umfeldes berücksichtigt werden können. Das ist in Paragraf 21 des Bewertungsgesetzes festgelegt. Doch zu Neubewertungen ist es wegen des hohen Aufwands nicht gekommen. So sind die Differenzen bei vergleichbaren Häusern in ähnlicher Lage im Laufe der Jahrzehnte immer größer geworden. Bei Sanierungen oder Aufteilung in Eigentumswohnungen gibt es allerdings auch Neubewertungen.
Das Gericht sieht eine Verfassungswidrigkeit spätestens ab dem Jahr 2009. Die Richter monieren einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 1). Nach einem Beschluss vom 22. April 2014 (II R 16/13) kommt es darauf an, ob es durch den Verzicht auf Hauptfeststellungen zu Wertverzerrungen bei den Einheitswerten innerhalb einer Gemeinde kommt. Die Richter sind überzeugt, dass dies besonders in größeren Städten der Fall ist.
Hauptdiskussionspunkt ist, ob und wie stark der Bodenwert einbezogen werden soll. Der Deutsche Mieterbund und andere Verbände fordern, die Grundsteuer ausschließlich als Bodensteuer zu gestalten. Das könnte den Wohnungsbau besonders in Städten fördern und Spekulation verhindern, argumentieren sie. Mieter von Wohnungen würden entlastet und Besitzer von Einzelhäusern oder unbebauten Grundstücken belasten.
Nach dem Modell der Bundesländer soll das Gesamtaufkommen unverändert bleiben. Der Hamburger Senat befürchtet aber zum Teil deutlich höhere Steuern. Eine Verzehnfachung auf 6000 Euro im Jahr für eine Wohnung in der Hansestadt sei möglich, hatte der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in der Verhandlung gesagt. Auch der Präsident von Haus & Grund, Kai H. Warnecke, warnte vor Verzerrungen.
Zwar sagt Schäfer nach dem Urteil, das Kostenwertmodell sei bereits ein Kompromiss einer wertorientierten, aber einfachen Grundsteuer. „Ich habe aber kein Problem“, so Schäfer weiter, „mich für ein anderes in sich schlüssiges Modell zu entscheiden, wenn es denn einfach umzusetzen ist und realistische Chancen auf eine Mehrheit hat.“ Das klingt wie ein geordneter Rückzug von einer alten, nicht mehr haltbaren Position
So könnte es unter dem Druck des Verfassungsgerichts zu einer einfachen, pauschalen Besteuerung nach der Grundfläche kommen, wogegen sich die meisten Länder zuvor aus Fragen der individuellen Gerechtigkeit stemmten. Schließlich würden dann alle über einen Kamm geschoren, unabhängig davon, ob es sich um ein einfaches Haus oder eine Villa handelt.
Doch eine solche Lösung wäre noch immer besser als gar keine – schließlich brauchen die Kommunen dringend die rund 14 Milliarden Euro jährlich. Das so genannte Bodenwertmodell, das sogar der Umweltverband Nabu propagiert, könnte deshalb doch zum Zuge kommen. Jedenfalls ist auch der neue Bundesfinanzminister Scholz schon als Bürgermeister der Hansestadt Hamburg für eine solch simple Lösung gewesen, und auch in der Union können sich viele damit anfreunden. Auch hier zeigt sich, dass Politiker doch hin und wieder einen Stupser aus Karlsruhe brauchen.