Es ist eine Ohrfeige für die Politik. An diesem Dienstag verkündet Ferdinand Kirchhof, Vorsitzender des Ersten Senats beim Bundesverfassungsgericht, kurz nach 14 Uhr „im Namen des Volkes“, dass die „offensichtlich nicht mehr realitätskonforme Besteuerung von Grundstücken einen klaren Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Grundgesetz“ bildet. Doch es kommt noch schlimmer für die Politik. Die Verfassungsrichter setzen einen strikten Zeitrahmen, innerhalb dessen die Grundsteuer reformiert werden muss. Bis Ende 2019 muss ein Gesetz her, bis 2024 muss es in der Praxis umgesetzt werden. Falls nicht, entfällt die Grundsteuer ersatzlos. So eine Klatsche hat es aus Karlsruhe selten gegeben.
Damit ist klar, dass die Politik die Erhebung der Grundsteuer zügig reformieren muss. Und es droht angesichts der zum Teil dramatischen Wertsteigerungen in den vergangenen 50 Jahren – 1964 wurden zuletzt die Einheitswerte für Immobilien in Westdeutschland ermittelt, im Osten gelten noch die Werte von 1935 -, ein kräftiger Aufschlag bei der Grundsteuer. Mit „einer Erhöhung um durchschnittlich zehn Prozent“ rechnet etwa der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler. Da die Steuer auf die Mieter umgelegt werden kann, betrifft sie nicht nur die Eigentümer.
Zuständig für diese 14 Milliarden Euro schwere Kommunalsteuer sind eigentlich die Bundesländer. Doch die haben es in den vergangenen 20 Jahren nicht geschafft, sich gemeinsam auf eine Reform zu einigen. Am Schluss, vor knapp zwei Jahren, kam es zu einer Kampfabstimmung im Kreis der Finanzministerkonferenz, bei der sich die Mehrheit gegen die Stimmen von Hamburg und Bayern auf ein Kostenwertmodell verständigte. Danach soll in einem aufwändigen Verfahren möglichst genau der tatsächliche Wert jeder der über 35 Millionen Immobilien ermittelt werden. Dies würde jedoch einen gewaltigen Aufwand bedeuten und deshalb frühestens ab dem Jahr 2027 in der Praxis funktionieren.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist diese langwierige und komplizierte Reform allerdings faktisch vom Tisch. Denn die Richter geben der Politik nur bis 2024 Zeit. Seit einigen Wochen schon begannen immer mehr Landesfinanzminister deshalb umzudenken. Die Zahl der Befürworter einer „einfachen und transparenten Lösung“ wachse, sagte der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) der WirtschaftsWoche. Er drängt darauf, „alle verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten, einen einfacheren Weg zu gehen, intensiv auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen“. In der Union zeichnet sich nach Informationen der WirtschaftsWoche eine Präferenz für das so genannte Flächenmodell ab, das sich bei der Bewertung allein an der Quadratmeterzahl von Boden und Gebäuden orientiert. Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ist für eine solche Lösung und hatte sich bereits als Hamburger Bürgermeister gegen das Kostenwertmodell gewehrt.
Dass dies möglich ist und die Immobilien nicht unbedingt nach den tatsächlichen Wert besteuert werden müssen, machten die Karlsruher Richter deutlich: „Dem Gesetzgeber steht bei den Regeln zur Erfassung der Bemessungsgrundlage ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der auch andere Belastungsmaßstäbe als bisher zuließe“, gibt der Vorsitzende Richter Kirchhof den angereisten Politikern mit auf den Weg.
Was Sie über die Grundsteuer-Entscheidung wissen müssen
Bei der Berechnung der Grundsteuer werden Einheitswerte zugrunde gelegt. In den alten Bundesländern wurden diese 1964 festgelegt, in den neuen Bundesländern reichen sie sogar bis 1935 zurück. Inzwischen haben sich Gemeinden und Städte verändert und damit auch die Werte von Grundstücken und Gebäuden. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass dies gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.
Der Erste Senat erklärte die Einheitswerte damit für verfassungswidrig. Die Berechnung muss bis 2019 neu geregelt werden, anschließend gibt es eine Übergangsfrist zur Umsetzung bis 2024. Die Länder hatten bis zu zehn Jahre Übergangsfrist gefordert, der Eigentümerverband Haus & Grund dagegen nur zwei.
Grundgedanke ist, dass Grundstücke und Gebäude Kosten für die Kommunen verursachen, die zum Beispiel die Infrastruktur unterhalten. Die Eigentümer sollen diese Lasten mittragen. Dazu gibt es die Grundsteuer A für land- und forstwirtschaftliches Vermögen und die Grundsteuer B für bebaute oder bebaubare Grundstücke und Gebäude. Die Bemessungsgrundlage ist bundesweit einheitlich geregelt. Jede Kommune bestimmt aber mit einem Hebesatz die tatsächliche Höhe der Steuer.
Die Grundsteuer deckt etwa zehn Prozent der kommunalen Steuereinnahmen und ist damit eine wichtige Finanzierungsquelle. Die Einnahmen aus der Grundsteuer A lagen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2016 bei rund 400 Millionen Euro. Die Grundsteuer B brachte etwa 13,3 Milliarden Euro. Die Grundsteuer wird an Mieter weitergegeben und ist Teil der Nebenkosten.
Ein je nach Art des Grundstücks oder Gebäudes unterschiedlicher Anteil des Einheitswertes ist die Grundsteuermesszahl - für Wohnungen beträgt sie zum Beispiel 3,5 von Tausend. Wenn der Einheitswert 20.000 Euro beträgt, errechnet sich ein Grundsteuermessbetrag von 70 Euro (20.000 geteilt durch 1000 multipliziert mit 3,5). Diese 70 Euro werden mit dem von jeder Gemeinde individuell festgelegten Hebesatz multipliziert. Liegt er bei 500 Prozent, beträgt die Steuer 350 Euro pro Jahr. Der Hebesatz ist je nach Kommune sehr unterschiedlich und reicht von weniger als 100 bis mehr als 900 Prozent.
Für jedes der mehr als 35 Millionen Grundstücke in Deutschland ist ein Wert festgelegt. Eigentlich sollte dieser alle sechs Jahre neu festgestellt werden, damit Veränderungen etwa der Bausubstanz oder des Umfeldes berücksichtigt werden können. Das ist in Paragraf 21 des Bewertungsgesetzes festgelegt. Doch zu Neubewertungen ist es wegen des hohen Aufwands nicht gekommen. So sind die Differenzen bei vergleichbaren Häusern in ähnlicher Lage im Laufe der Jahrzehnte immer größer geworden. Bei Sanierungen oder Aufteilung in Eigentumswohnungen gibt es allerdings auch Neubewertungen.
Das Gericht sieht eine Verfassungswidrigkeit spätestens ab dem Jahr 2009. Die Richter monieren einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 1). Nach einem Beschluss vom 22. April 2014 (II R 16/13) kommt es darauf an, ob es durch den Verzicht auf Hauptfeststellungen zu Wertverzerrungen bei den Einheitswerten innerhalb einer Gemeinde kommt. Die Richter sind überzeugt, dass dies besonders in größeren Städten der Fall ist.
Hauptdiskussionspunkt ist, ob und wie stark der Bodenwert einbezogen werden soll. Der Deutsche Mieterbund und andere Verbände fordern, die Grundsteuer ausschließlich als Bodensteuer zu gestalten. Das könnte den Wohnungsbau besonders in Städten fördern und Spekulation verhindern, argumentieren sie. Mieter von Wohnungen würden entlastet und Besitzer von Einzelhäusern oder unbebauten Grundstücken belasten.
Nach dem Modell der Bundesländer soll das Gesamtaufkommen unverändert bleiben. Der Hamburger Senat befürchtet aber zum Teil deutlich höhere Steuern. Eine Verzehnfachung auf 6000 Euro im Jahr für eine Wohnung in der Hansestadt sei möglich, hatte der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in der Verhandlung gesagt. Auch der Präsident von Haus & Grund, Kai H. Warnecke, warnte vor Verzerrungen.