Grundsteuererklärung Das Elster-Chaos offenbart Deutschlands Digital-Desaster

Nicht erreichbar: Das Elster-Portal ist am Montag unter den hohen Zugriffszahlen zusammengebrochen – offenbar hat vorher niemand das System auf seine Belastbarkeit geprüft. Bis Ende Oktober müssen 36 Millionen Grundstücksbesitzer ihre Erklärung online abgeben.    Quelle: imago images

Das Elster-Portal bricht unter den vielen Zugriffen für die Grundsteuererklärung zusammen. Der Zusammenbruch des Steuerportals zeigt einmal mehr: In der Faxrepublik Deutschland wird die Ambitionslosigkeit gepflegt. Ein Kommentar.

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Die Rechnung geht ganz einfach: 36 Millionen Grundstücksbesitzerinnen und -besitzer müssen eine Grundsteuererklärung abgeben, sie haben dafür zwischen dem 1. Juli und 31. Oktober Zeit, das sind rund 120 Tage, macht also im Schnitt 300.000 Anträge pro Tag – doch diese Rechnung wurde ohne die Online-Plattform „Elster“ (Elektronische Steuererklärung) gemacht.

Sie ist am Montag zusammengebrochen, mehr als 100.000 Zugriffe pro Tag packt sie offenbar nicht. Die Seite musste abgeschaltet werden, offensichtlich hat niemand vorher geprüft, ob das Portal dem erwartbaren Zugriff standhalten wird. Willkommen im Neuland.

Digitale Verwaltung ist krachend gescheitert

Das Chaos um das Elster-Programm offenbart einmal mehr Deutschlands Digital-Desaster. Die digitale Verwaltung ist auch im Jahr 2022 noch immer so weit entfernt wie die Brieftaube am Himmel. Zuletzt ist die große Koalition krachend daran gescheitert, bis Ende des Jahres 575 Verwaltungsdienstleistungen online verfügbar zu machen. 35 Angebote sollen es nun bis Ende des Jahres werden, versichert Deutschlands Chief Information Officer (CIO) und Staatssekretär im Innenministerium, Markus Richter. 35 von 575 Angeboten. In der Faxrepublik wird die Ambitionslosigkeit gepflegt.   

Selbst ukrainische Geflüchtete sind verwundert, für welche Anträge sie hier aufs Amt müssen, während sie in der Heimat fast alle Behördengänge über die App „Dija“ erledigen können: Den Ausweis verlängern, ein Unternehmen anmelden, die Steuererklärung abschicken – in der Ukraine alles per Smartphone möglich. In Deutschland muss man schon dankbar sein, wenn’s über die Online-Terminvergabe einen Slot für den Offline-Besuch gibt.

Angesichts der drohenden Rezession geht der Mittelstand auf die Barrikaden. 25 Unternehmer berichten, wie sie von der Regulierung erdrückt werden – trotz aller Versprechen des Staates.
von Sonja Álvarez, Annina Reimann, Volker ter Haseborg, Christian Schlesiger

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) findet diesen Zustand offensichtlich noch witzig. Erst kürzlich erzählte er bei der Digitalkonferenz Re:publica, dass er persönlich zum Amt fahren musste, um einen neuen Personalausweis und Pass zu beantragen. Wann das denn endlich online möglich sei, wollte Moderatorin Linda Zervakis wissen: „Das möchte ich nicht so genau sagen, weil ich ja die Abläufe kenne in Deutschland“, sagte Scholz und lachte. Den Bürgern und Unternehmern ist das Lachen längst vergangen.

In den Amtsstuben wird die Zukunft vertrödelt

Denn während Deutschlands Wirtschaft an Technologieoffensiven tüftelt, wird in den analogen Amtsstuben die Zukunft vertrödelt. Das eine wird aber nicht ohne das andere gehen: Wer Weltmarktführer sein will, braucht eine Verwaltung, die Technik und Tempo beherrscht – und im Idealfall sogar innovativer ist als die Konkurrenz, um sich gegen andere Standorte durchzusetzen.

Die Grundstücksbesitzer müssen übers Elster-Portal nun Daten händisch eintragen, die in den Ämtern alle längst vorliegen – denn sie haben sie selbst erteilt, wie der Politikberater Mathias Richel zu Recht anmerkt: Flurnummern, Bodenrichtwerte, Straßennamen und Hausnummern. Aber weil es keine zeitgemäße Registerführung gibt, sondern 350 verschiedene Typen über alle föderalen Ebenen hinweg, müssen eben die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmerinnen und Unternehmer ran.

Wie heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung doch so schön: Auch die Wirtschaft soll in der Verwaltung „einen Verbündeten haben“. Davon ist aber mehr als ein halbes Jahr nach der Amtsübernahme wenig zu sehen.

Angesichts des Elster-Chaos wird nun schon über eine Fristverlängerung über den Oktober hinaus nachgedacht – das wird das Portal zwar kurzzeitig entlasten, eine Lösung für das Digitaldesaster ist das aber nicht. Wenn Deutschland zukunftsfähig bleiben will, müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltung endlich digitalisieren. Und nein, ein PDF zum Ausdrucken und Abschicken reicht dafür nicht. Scheitern sie an dieser digitalen Zeitwende in den Amtsstuben, gefährden sie den Standort – denn die Wirtschaft wird woanders „Verbündete“ finden.  

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