Gutscheine für Künstliche Intelligenz Kann die Regierung so die schwächelnde Start-up-Szene beleben?

Ein Pfeil weist den Weg - zumindest auf dieser Konferenz in Berlin. Die Hauptstadt ist das bekannteste Biotop für Gründer. Aber keinesfalls das einzige in Deutschland. Quelle: dpa

Klarna, Kontist, Gorillas: Die Gründerszene wird von einer Entlassungswelle erfasst. Mit einer neuen Strategie will die Regierung den Start-up-Standort Deutschland stärken – doch manche Idee wirkt wenig praxistauglich.

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Wer wissen will, wie hart der Wettbewerb um die besten Start-ups ist, der muss gar nicht in die USA oder nach China schauen, sondern kann gleich in Europa bleiben. In Spanien kann ein Start-up innerhalb von sechs Stunden gegründet werden, Visa-Anträge für Top-Talente gibt es im Schnellverfahren, der jährliche Steuerfreibetrag für die sogenannten Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wurde angehoben, von 12.000 Euro auf 50.000 Euro – in Deutschland liegt er bei: 1440 Euro. Adiós, Alemania.

Doch nun will die Bundesregierung nachlegen. Unter Federführung von Wirtschaftsminister Robert Habeck und der Start-up-Beauftragten Anna Christmann (beide Grüne) wurde erstmals eine umfassende Start-up-Strategie erarbeitet, die an diesem Freitag in die Ressortabstimmung geht. Der Entwurf lag der WirtschaftsWoche vorab vor.

Zehn zentrale Themen werden auf 28 Seiten aufgeführt: Es geht um Milliardeninvestitionen, Mitarbeiter und den Mittelstand von morgen. Trotz Krieg und Corona sollen die Vorhaben bis Ende der Legislaturperiode umgesetzt werden, „gerade, weil Innovationen die Grundlage dafür sind, um aus Krisen wieder herauszukommen“, erklärte Christmann zuvor im Interview mit der WirtschaftsWoche. Allerdings steckt die Start-up-Szene gerade selbst in der Krise.

Risikokapital von der Rentenversicherung 

Firmen wie die Finanz-Start-ups Klarna und Kontist sowie der Lieferdienst Gorillas haben gerade Entlassungen angekündigt, es droht ein Ende der Euphorie, auch in Deutschland, das inzwischen 25 Start-ups mit einer Marktbewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar zählte. Bis Ende des 2030 will die EU-Kommission die Zahl dieser sogenannten Einhörner in Europa verdoppeln. Die Strategie in Deutschland soll helfen, dass dies gelingt – doch noch ist unklar, wie praxistauglich viele Maßnahmen sind und wie sie finanziert werden sollen.

Zu den Kernvorhaben zählt die bessere Finanzierung für Start-ups. So dominieren noch immer ausländische Investoren – vor allem aus den USA und Asien – die großen Finanzierungsrunden, die 20 größten europäischen Scale-ups seien zu 63 Prozent von US-Investoren finanziert, heißt es in den Strategie: „Dies ist auch mit Blick auf die technologische Souveränität, die Innovationskraft und die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland und Europa bedenklich.“

Damit die Start-ups künftig weniger abhängig sind von ausländischen Investoren und es keinen Ausverkauf der Innovationen gibt, sollen Risikokapital hierzulande besser verfügbar werden. Dazu sollen die Rentenversicherungen einen festen Anteil ihrer Beitragseinnahmen in Wagniskapital investieren können, die Strategie spricht vom Aufbau eines „Kapitalstocks bei der gesetzlichen und privaten Altersvorsorge“, der mit einer „Mindestinvestitionsquote“ in Wagniskapitalfons versehen werden soll.

Bisher wurden erst 30 Millionen Euro abgerufen 

Die Idee, die in den USA und Kanada längst Praxis ist, ist nicht neu, sondern war bereits 2019 mit 10-Milliarden-„Zukunftsfonds“ angegangen worden. Bisher allerdings nur mit mäßigem Erfolg, im Herbst 2021 waren lediglich 30 Millionen Euro aus dem Fonds abgerufen worden, also gerade einmal 0,3 Prozent der Mittel. Nun soll der Fonds attraktiver werden für Investoren wie für Start-ups, insbesondere Gründerinnen sollen darüber auch gezielter gefördert werden.

Der Deutsche-Start-up-Verband lobt diese Vorhaben: Start-ups würden damit der Zugang zu Kapital in der Skalierungsphase erleichtert, erklärte Verbandschef Christian Miele. Die geplante stärkere Kapitalmarktorientierung der gesetzlichen und privaten Altersvorsorge sei erfreulich, „um den Wohlstand in unserem Land sichern und steigern zu können“.

Doch hinsichtlich der Mitarbeiterkapitalbeteiligung bleibt die Strategie vorerst unkonkret. Zwar wird sie als wichtiges Instrument genannt, um „attraktive Gehaltspakete“ schnüren und künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens teilnehmen lassen zu können – doch Steuerfreibeträge von jährlich 50.000 Euro wie in Spanien dürften bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) kaum drin sein. Miele mahnt bereits an, dass „spürbare Verbesserungen erforderlich“ seien.

Gründen über notarielle Online-Verfahren 

Mit ihrer Strategie will die Regierung aber nicht nur die finanziellen Bedingungen für Start-ups verbessern, sondern auch Bürokratie abbauen und Genehmigungen beschleunigen: So soll Gründen künftig über ein notarielles Online-Verfahren möglich sein, Visa für Fachkräfte aus dem Ausland soll es „schnell und digital“ geben, über das Portal „Make it in Germany“ soll besser für den Start-up-Standort Deutschland geworben werden. 

Aber der Mangel an IT-Fachkräften ist freilich nicht allein durch Talente aus dem Ausland auszugleichen. Die Regierung will deshalb erreichen, dass Informatik ab der fünften Klasse Pflicht wird – das ist allerdings Ländersache, der Bund kann hier nur Vorschläge machen.  

Online-Marktplatz für öffentliche Aufträge

Ein großes Defizit gab es bisher bei der Beteiligung von Start-ups an öffentlichen Aufträgen. Die Vorgängerregierung war hier im Blindflug unterwegs, ob und wie viele der jährlich rund 100 Milliarden umfassenden Aufträge von Bund, Ländern und Kommunen an junge Techunternehmen gingen, konnte sie mangels Datenerhebung nicht sagen.

Über einen Online-Marktplatz sollen die Aufträge nun transparenter und leichter zugänglich für Start-ups gemacht werden, über einen „Beschaffungsindex“ sollen sie ihre Innovationen vorstellen, alle Ministerien und nachgehordnete Behörden sollen direkte Ansprechpartner für die Gründerinnen und Gründer bekommen.

„KI-Voucher“ für Mittelständler 

Mehr Matches sind auch zwischen Start-ups und kleinen und mittelständische Unternehmen (KMU) erwünscht. Die Zusammenarbeit soll künftig gezielter gefördert: So sollen KMU so genannte „KI-Voucher“ bekommen, wenn sie Künstliche Intelligenz (KI) nutzen und dabei mit Start-ups zusammenarbeiten.

Das Wirtschaftsministerium hofft hier auf eine Win-Win-Situation. Der Gutschein reduziere das finanzielle Risiko für die Unternehmen, da ein Teil der Projektkosten übernommen werde. Start-ups gewinnen hingegen leichter neue Kunden. Doch in welcher Höhe die Kosten erstattet werden und aus welchem Topf, das bleibt in dem Entwurf unklar. Ebenso, welche KI als förderwürdig gilt – zumal es grundsätzlich bemerkenswert ist, dass in Deutschland Gutscheine verteilt werden müssen, damit Unternehmen neue Technologien nutzen.

Neben der Start-up-Strategie arbeitet die Regierung derzeit an weiteren Digitalplänen: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat bereits ihre Digitalstrategie vorgestellt, im Sommer soll eine Cybersicherheitsstrategie folgen. Auch Digitalminister Volker Wissing will eine Digital- und Datenstrategie erarbeiten, die wie die Start-up-Strategie noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll.

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