Manchmal wirken die Alten mutiger als die Jungen. Manchmal machen die Brüche, die schon hinter ihnen liegen, vielleicht optimistischer als allein die Sorge um die Zukunft, in der kaum was verlässlich scheint. So wirkt es an diesem Mittwoch in der Kohleregion Lausitz, hier in der spröden Landschaft zwischen Brandenburg und Sachsen. Wo die riesigen Bagger in den Tagebauen die Braunkohle aus der Erde schürfen. Wo auch die Arbeitsplätze in den Kraftwerken und Industriebetrieben an dieser Quelle hängen. Wo sie zuletzt sogar die Pensionäre und Fast-Schon-Ruheständler zurückgeholt haben ins Kohlekraftwerk.
Die Bundesregierung will Klimaschutz, hat aber wegen des Ukrainekrieges und der Gasknappheit erstmal wieder die arg klimaschädlichen Kohlemeiler hochfahren lassen. Hier in der Industrieregion, deren letzter politischer und wirtschaftlicher Umbruch weniger als eine Generation zurückliegt, verursacht das Versprechen vom klimaneutralen Deutschland, angetrieben von grüner Energie, mehr Sorgen als Euphorie. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist zu Besuch, um zumindest gute Ideen, auch gute Geschäftsmodelle hervorzuheben.
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Habeck will die Menschen treffen, die die Energiewende vorantreiben sollen, die hier mehr als in anderen Regionen Deutschlands eine komplette Wirtschaftswende ist. Der Wirtschaftsminister besucht zum Beispiel einen werdenden Solarpark und einen Hersteller von Wärmepumpen. Deshalb bekommt Habeck hier aber auch Gegenwind: Er steht vor dem Kohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ nahe der Stadt Spremberg Demonstranten gegenüber und bekommt an jeder Station zu hören, dass „die Politik“, oft auch „die Bundesregierung“, keine verlässliche Partnerin ist, weil sie ihre Zusagen für den Umbau selbst nicht einhält.
Doch zunächst zu Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier. Die 65-Jährige muss erst das Mikrofon nach unten kurbeln, als sie auf der Bühne spricht. Sie ist eher klein, aber sehr zielstrebig. Herntier saß schon in der Kohlekommission der Bundesregierung, als der Ausstieg für das Revier hier verhandelt und das Jahr 2038 festgeschrieben wurde. Dann soll das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen, der Kohleabbau hier zu Ende sein. 15 Jahre noch oder doch weniger? Das Spekulieren über ein früheres Ende auch bei Grünen ängstigt viele Menschen in der Region, hängen doch die tariflichen Jobs, die sichere Arbeit vor Ort, an der alten Energiewelt.
Herntier gilt als diejenige, die einen wichtigen Teil der neuen Welt in die Lausitz lotst. Zweimal schon stand dieses neuartige Kraftwerk hier in Spreetal vor dem Aus, ehe es richtig beginnt. Kein Geld, keine Förderungen und ohnehin unklare Aussichten wegen der oft wenig verlässlichen Energiepolitik in Berlin. Doch Herntier hielt beharrlich an diesem „Referenzkraftwerk Lausitz“ fest, für das Habeck heute endlich einen Förderbescheid über 28,359681 Millionen Euro überreicht. Ja, so spitz berechnet die Subvention ausfällt, so lange dauert die Bewilligung manchmal auch.
Dieses Kraftwerk hier soll ausschließlich erneuerbare Energie nutzen, aus Wind, aus der Sonne. Und es sollen hier bis zu zehn Tonnen Wasserstoff gespeichert werden, damit in einer Dunkelflaute trotzdem alles am Laufen bleibt. Die Hoffnung: Solche Energie soll die Industrieregion Lausitz am Laufen halten in der Zeit nach der Kohle.
Herntier erinnert sich, dass sie mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) schon richtig Zoff hatte deshalb „Wir haben uns angebrüllt, wie das gehen soll mit dem Strukturwandel.“ Und sie sagt auch in Richtung Habeck, dass sie hier mehr Klarheit von den Regierenden erwarten, mehr verlässliche Regeln zum Umbau: „Wir brauchen den roten Faden, einer muss ihn spinnen und einer muss ihn in der Hand halten, damit sich dann viele daran festhalten können.“ Das haben Bund und Land wohl aus Sicht der Spremberger nicht immer hinbekommen. „Strukturwandel war und ist schmerzhaft, aber er ist erfolgreich“, sagt eine sichtlich zufriedene Rathauschefin an diesem Tag im Industriepark Schwarze Pumpe. Und „Zuversicht ist wichtig.“
Von Zuversicht ist nichts zu spüren in der weiteren Nachbarschaft, vor den Toren des längst bestehenden Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe, wo die breiten Türme Dampf ablassen. Dort empfangen Demonstranten in orangefarbenen Warnwesten den Minister Habeck. Linda Rudolph steht vorne, die junge Frau vertritt die 200 Azubis des Kohle- und Kraftwerkskonzerns LEAG, der hier für gute und bisher sichere Jobs stand.
Die Gewerkschafterin und Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei der LEAG will Habeck verpflichten, einen Sechs-Punkte-Plan zu unterschreiben, auf dem nicht nur der Kohleausstieg 2038 steht. Der ist ja mit dem Kohlekompromiss 2020 so festgeschrieben worden. Nur traut dem hier spätestens seit Antritt der Ampelkoalition kaum einer mehr. Es könnte deutlich schneller gehen, allein schon, weil sich Kohlekraftwerke mit zunehmend teuren CO2-Emissionszetrifikaten bereits früher nicht mehr lohnen dürften. In dem Plan steht auch etwas von der Abschöpfung aller Gewinne jetzt, um sie in Zukunftstechnologien zu investieren. Da mag Habeck aus vielerlei Gründen nicht unterschreiben. Er verspricht nur weiter im Gespräch zu bleiben. Habeck will nicht so sehr über Verluste von Arbeitsplätzen debattieren als über die Schaffung von Alternativen. Und außerdem: „Verträge werden normalerweise gemeinsam ausgehandelt und am Ende steht erst die Unterschrift“, sagt der Minister, als er die Unterschrift verwehrt.
Jugendvertreterin Rudolph betont, die Leute hier verließen sich auf das Jahr 2038. Und außerdem müsse die Politik sagen, wie der Umbau hier auf erneuerbare Energie hier verlässlich und konkurrenzfähig vonstattengehen solle.
Drinnen im Kraftwerk wird Robert Habeck dann nochmal gefragt, ob es vor 2038 komplett raus aus der Kohle gehe. „Es geht nicht nur um Ausstieg, es geht um Einstieg und den Aufbau anderer Möglichkeiten.“ Darüber spreche er mit der LEAG bis auf Weiteres nur hinter verschlossenen Türen. In der Demokratie müssten die Menschen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren. Er sei heute hier, „um sich in die Schuhe der anderen zu stellen“, um die unterschiedlichen Interessen zu hören. „Demokratie heißt aber nicht, dass am Ende alle dafür sind.“ Ein Datum nennt er nicht.
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