Hambacher Forst 500 Windräder könnten die Braunkohle aus dem Wald ersetzen

Der Energiekonzern RWE hält an der Rohdung des Hambacher Forsts fest. Das hat Gründe Quelle: dpa

RWE sagt, ohne die Braunkohle unter dem Hambacher Forst sei die Stromversorgung gefährdet. Exklusive Berechnungen zeigen: Das stimmt so nicht. Tatsächlich geht es um etwas ganz anderes.

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Der Hambacher Forst, über den zurzeit ganz Deutschland diskutiert, ist gerade mal 200 Hektar groß: etwa einen Kilometer breit und zwei Kilometer lang. RWE will dort Braunkohle fördern. Umweltaktivisten kämpfen dagegen. Das ist seit 1978 so. Doch jetzt eskaliert der Streit auf dramatische Weise.

Vergangene Woche beschloss die schwarzgelbe Landesregierung in Düsseldorf die Räumung des Forsts, seitdem ist in dem kleinen Wald westlich von Köln der Teufel los. Nun gibt es sogar einen Toten zu beklagen: Ein Journalist stürzte von einer Hängebrücke, die Aktivisten zwischen zwei ihrer Baumhäuser gespannt hatten, und starb. Vorerst ist die Räumung ausgesetzt.

RWE und NRW-Landesregierung gegen den Rest der Welt

Rein juristisch befindet sich RWE im Recht. Der Abbau im Hambacher Erweiterungsgebiet bis 2040 ist dem Konzern genehmigt worden. Aber es gibt eben auch neuere Klimastudien, die einen dramatischen Anstieg der mittleren Temperaturen global um weit mehr als zwei Grad vorhersagen. Bis zu dieser Grenze gilt die Klimaerwärmung als gerade noch beherrschbar.

Braunkohle ist unbestritten der klimaschädlichste Energieträger bei der Stromerzeugung; und kein anderes Land – nicht Polen, nicht Kanada, nicht die USA unter Trump und nicht China – fördert so viel Braunkohle wie Deutschland.

Auf den ersten Blick ist für die meisten Menschen die Sache also klar: RWE gegen den Rest der Welt. Drei Viertel der Deutschen sind einer aktuellen Umfrage zufolge gegen die Rodung des Forsts. Sogar der Bund deutscher Kriminalbeamte äußerte sich in einer Pressemeldung überraschend klar: Die vergangene Woche von der CDU-FDP-Regierung in Düsseldorf verfügte Räumung sei aus Sicht der Polizei eine „dramatische politische Fehlentscheidung“.

Die Kriminalpolizei kritisiert unter anderem, die im Hambacher Fort eingesetzten Beamten fehlten an anderer Stelle, die Fallzahlen in den Städten würden bereits wieder merklich ansteigen. Die Polizei würde trotz ohnehin hoher Überstundenbelastung in Hambach verheizt, die Räumung – noch während die Kohlekommission verhandele – sei nicht nachvollziehbar.

Schlag ins Gesicht der Kohlekommission

Ähnlich äußerte sich Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: „Die Räumung, noch während die Kohlekommission verhandelt, ist ein Schlag in deren Gesicht.“ Hintergrund: Die Bundesregierung hat eine so genannte Kohlekommission beauftragt, bis Ende 2018 eine Strategie zum Ausstieg aus der Kohle als Stromquelle zu erarbeiten. Bahnmanager Ronald Pofalla sitzt ihr vor, er legte in dieser Woche einen ersten Kompromissvorschlag vor. Demnach soll Deutschland bis 2038 sukzessive aus dem Braunkohletagebau und der Kohleverstromung aussteigen. RWE lief umgehend Sturm gegen den Vorschlag.

Inzwischen ist der Imageschaden für den Essener Konzern dramatisch. Der beliebte Komiker Oliver Welke sagte vergangenen Freitag in der ZDF heute show: „Übrigens, man kann seinen Stromanbieter auch wechseln.“ Warum, fragen sich nun viele, steuert RWE sehenden Auges in ein derartiges PR-Desaster?

RWE sagt, man brauche die Braunkohle aus dem Hambacher Tagebau auf jeden Fall, andernfalls gingen in Deutschland die Lichter aus. Umweltschützer, aber auch Wissenschaftler, widersprechen. Die Stromversorgung sei auf keinen Fall gefährdet.

Professor Bruno Burger vom Fraunhofer Institut ISE in Freiburg etwa betont immer wieder, diese Darstellung sei falsch. Deutschland exportiert nämlich den größten Teil seines Braunkohlestroms ins Ausland. Die Hälfte der deutschen Braunkohlekraftwerke könnte man sofort abschalten, ohne dass auch nur ein Elektron an Strom für die deutsche Versorgung fehle, so Burger.

Schlimmer noch: „Weil er so billig ist, verdrängt der dreckige deutsche Braunkohlestrom in den Abnehmerländern umweltfreundlicheren Strom, der etwa in Frankreich aus Gas gewonnen wird“, sagt sein Forscherkollege, Professor Volker Quaschning aus Berlin.

Wie viel Kohle liegt eigentlich im Hambacher Forst?

Wir haben in Zusammenarbeit mit Quaschning ausgerechnet, wie viel Braunkohle im Hambacher Forst liegt, und wie viele Windkraftanlagen oder Quadratkilometer Photovoltaik man bräuchte, wenn man auf ihre Förderung verzichten wollte.


Rheinisches Braunkohlerevier

Der gesamte Tagebau Hambach ist 85 Quadratkilometer groß. Davon sind bisher rund 45 Quadratkilometer in Betrieb. 15 sind bereits abgeräumt und in der so genannten Renaturierung.  1970 wurde der damaligen Rheinbraun AG (heute RWE) der Abbau genehmigt, 1978 begann der Abbau. RWE fördert in Hambach 40 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr, woraus man ungefähr 38 Milliarden Kilowattstunden (KWh) Strom erzeugen kann. Die Förderung begann im Norden und frisst sich langsam nach Süden. Bis 2040 ist sie genehmigt; das südliche Ende bildet die (bereits wegen der Förderung nach Süden verlegte) Autobahn Köln-Aachen (A4). (siehe Grafik)

Im Kern geht es um RWE versus Klimaschutz

Laut RWE sind zwar bereits zwei Drittel der Oberfläche (circa 60 Quadratkilometer, das geplante Erweiterungsgebiet umfasst nur noch 25 Quadratkilometer) bearbeitet, jedoch noch nicht einmal die Hälfte der dort befindlichen Braunkohle abgebaut. Der Grund: „Das Kohle-Flöz liegt schräg in der Erde; er fällt nach Süden ein und wird dorthin auch immer dicker, so dass im noch unberührten Gebiet im Süden deutlich mehr Braunkohle pro Quadratkilometer Oberfläche in der Erde liegt, als im Norden, wo das Flöz dünner war“, sagt ein RWE-Sprecher. Laut RWE gibt es im verhältnismäßig kleinen Erweiterungsgebiet im Süden noch rund 1,3 Milliarden Tonne Kohle, während im größeren, nördlichen Teil seit 1978 erst rund 1 Milliarde Tonnen abgebaut wurden.

Wie viel Windräder bräuchte man, um die Braunkohle drin zu lassen?

Der Hambacher Forst selbst ist nur zwei Quadratkilometer groß. Er steht jedoch ganz im Norden des Erweiterungsgebietes, relativ nahe an der derzeitigen Abbruchkante. Der RWE-Sprecher sagt: „Leider hat der Forst eine Sperrfunktion.“ In anderen Worten: Er steht dem Abbau der restlichen Kohle weiter im Süden im Weg. RWE behauptet gegenüber der WirtschaftsWoche, aus technischen Gründen könne man nicht „um den Forst herumbaggern“. Quaschning und einige Mitglieder der Kohlekommission bezweifeln das.

Die Fakten: Unter dem Hambacher Forst selbst liegen – allerhöchstens – rund 100 Millionen Tonnen Braunkohle. Pro Kilogramm steckt in der rheinischen Braunkohle etwa 2,2 Kilowattstunden (KWh) Wärmeenergie. Gemessen am Wirkungsgrad der RWE-Braunkohlekraftwerke (38 Prozent) wären das rund 0,95 KWh Strom pro Kilogramm Kohle. Das bedeutet: Unter dem Hambacher Forst liegt Braunkohle für maximal 95 Milliarden kWh Strom.

Man benötigt etwa 500 moderne Windkraftanlagen (der 4-Megawatt-Klasse), um diese Menge Strom zu erzeugen. Der Berechnung liegt die übliche angenommene Lebensdauer solcher Anlagen von 20 Jahren zugrunde.

Eine Photovoltaikanlage hält sogar 25 Jahre. Ihre Module erreichen einen Wirkungsgrad von 18 Prozent. Nun lässt sich anhand der Sonneneinstrahlungsdaten westlich von Köln errechnen, wie viele Module es braucht, um den dort gewonnenen Braunkohlestrom zu ersetzen: „Ein Quadratkilometer Photovoltaik liefert in Köln im Schnitt 129,6 Millionen kWh pro Jahr. Das heißt, man müsste 29 Quadratkilometer mit Photovoltaik belegen, um über die Lebensdauer der Solarstromanlagen so viel Strom zu erzeugen, dass es der Kohle aus dem Hambacher Forst entspricht“, rechnet Wissenschaftler Quaschning vor.

Ist das nun viel oder wenig? „Das kommt auf die Sichtweise an“, sagt Forscher Quaschning. Natürlich ist das eine theoretische Rechnung. Praktisch wäre es sehr viel teurer, diese Strommenge aus Wind oder Solar herzustellen, denn aus Braunkohle – für RWE. „Für uns als Gesellschaft stimmt das nicht“, so Quaschning, „denn die gesamtem Klimafolgeschäden sind nirgendwo höher als bei Braunkohle. Sie belaufen sich Untersuchungen des Umweltbundesamtes zufolge auf mehr als 104 Euro je Tonne CO2. „Würde man sie sauber einrechnen, müsste der Braunkohlestrom pro Kilowattstunde 10,75 Cent teurer sein“, so Quaschning. Und damit wäre Braunkohlestrom sogar teurer als Strom aus Photovoltaik; auch Windstrom wäre dramatisch billiger.

„Die Bundesregierung nimmt den Bruch des Pariser Klimaabkommens in Kauf“

Um Hambacher Forst geht es also nur sehr am Rande um alte Bäume, juristische Rechthaberei oder abgerissene alte Kirchen und Dörfer. Es geht im Kern um RWE versus Klimaschutz.

„Deutschland hat das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Wenn wir es einhalten wollen, müssen wir im Laufe der 2030er Jahre CO2-neutral werden. Wie das gehen soll, wenn man nicht spätestens Ende der 2020er ganz aus der Kohleverstromung aussteigt, ist nicht ersichtlich,“ sagt Quaschning. Mit anderen Worten: „Die Politik nimmt einen Bruch des Pariser Abkommens wissentlich in Kauf.“

Andererseits bedeutete ein verbindlicher Ausstieg aus der Braunkohleverstromung 2029 „wohl das Ende von RWE. Der Konzern hat nur sehr wenig Geschäft mit erneuerbarer Energie“, sagt Quaschning. Und anders als bei der Braunkohle will am Atomausstieg niemand rütteln.

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