Hamburg nach dem G20-Gipfel „Herr Scholz, treten Sie zurück!“

Die Hamburger CDU verlangt den Rücktritt des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz. Doch der hat sich bei den Bürgern entschuldigt – und sieht keine Fehler bei der G20-Planung. Er würde den Gipfel sogar erneut veranstalten.

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Hamburgs erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) spricht in der Hamburgischen Bürgerschaft zum G20-Gipfel in der Hansestadt. Forderungen der Opposition nach einem Rücktritt lehnte er ab. Quelle: dpa

Hamburg Mit ruhiger Stimme liest Olaf Scholz vor, Satz für Satz. Seine Regierungserklärung am Mittwochmittag bringt keine Überraschung. Scholz bleibt standhaft wie die Deutsche Eiche, mit der der Saal im Rathaus vertäfelt ist: Es war richtig, den G20-Gipfel in Hamburg zu veranstalten. Er und die Behörden haben alles getan, was möglich war.

Nach den Krawallen bei G20-Gipfel beginnt die offizielle Aufarbeitung in Hamburg. Aktuell geht es in der Bürgerschaft um Scholz‘ Rolle – und um Konsequenzen. Die Senatskoalition aus SPD und Grünen will einen Sonderausschuss, die CDU im Innenausschuss beraten, die Linken und AfD gar einen Untersuchungsausschuss. Während Scholz bei sich keine Fehler sieht, forderte die Hamburger CDU erneut seinen Rücktritt – obwohl die Bundes-CDU die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Scholz für den Standort Hamburg verteidigt hat. Auch die FDP schloss sich an.

Scholz musste sich heftige Kritik anhören – er nimmt sie mit unbeteiligter Mine hin. „Naivität und ein eiskalter Ego-Trip des Bürgermeisters“ hätten Hamburg ins Desaster geführt, sagt die Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir. „Null Empathie, null Verantwortung, null Selbstkritik“, machte sie bei dem Sozialdemokraten aus.

Zuvor hatte Scholz Kritik abgewehrt: „Verantwortlich für die Gewalttaten sind einzig und allein jene Straftäter, die mit einer unglaublichen Verantwortungslosigkeit und massiver krimineller Energie diese schweren Straftaten begangen haben“, sagte Scholz. Mitverantwortung sah er allenfalls bei Menschen, die Straftaten verharmlosten. „Ich finde es jedenfalls unerträglich, dass sich sogar Mitglieder der Bürgerschaft bei Demonstrationen mit denen unterhaken, die am Abend vorher ganze Straßenzüge verwüstet haben.“ Er sagte: „Wir sollten die Plündereien nicht vergessen, die zu dem angeblichen linken Protest dazugehörten.“

Große Emotionen sind Scholz‘ Sache nicht. In dieser Woche kostete ihn das Sympathien. So traf er erst am Sonntag Opfer der Krawalle. Trotzdem rang er sich am Mittwoch lediglich dazu durch, sich bei den Hamburgern dafür zu entschuldigen, dass es „nicht durchweg gelungen“ sei, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Scholz listete jedoch auch auf, es habe schließlich Stadtteile gegeben, die nicht verwüstet worden seien, die befürchteten Anschläge oder Blockaden im Hafen seien ausgeblieben. Auf die Detailkritik am Polizeieinsatz ging er nicht ein, stattdessen lobte er erneut den „heldenhaften“ Einsatz der Sicherheitskräfte.

Bei den Konsequenzen blieb er vage. Man müsse „diskutieren“, wie man bessere polizeiliche Maßnahmen gegen eine Guerillataktik erarbeiten könne. Man werde „Mechanismen entwickeln“, um Gaffern zu begegnen. Man werde „sich ansehen“ wie die Polizei „ertüchtigt“ werden könne. Und man werde „sich auch fragen“, wie man mit Sympathisanten von Linksextremen umgehen können. Alle Demokraten müssten Bündnissen von Linksextremen eine Absage erteilen.

Zwar kritisierte er Äußerungen aus dem Autonomen-Zentrum Rote Flora als „beschämend und menschenverachtend und einer Demokratie nicht würdig“. Er vermied es jedoch, konkrete Konsequenzen für das Zentrum anzukündigen, dessen Haus im Besitz einer städtischen Stiftung liegt. Auch personelle Konsequenzen kündigte er nicht an. Konkret bekannte er sich lediglich zur Idee einer europäischen Extremisten-Datenbank.

Scholz verteidigte seine eigenen Aussagen vor dem Gipfel, die Sicherheit sei garantiert. Er sei fest davon überzeugt gewesen. Die Behörden hätten die „exzellente Zusammenarbeit“ gelobt. Künftige Veranstaltungen dürften wegen der Vorfälle nicht abgesagt werden – vom Christopher Street Day bis zum Kirchentag. Niemand dürfe sich Gewalttätern beugen. Und er wagte ein neues, großes Versprechen: „Die Bürger haben ein Recht darauf, sich sicher zu fühlen. Dieser Senat wird dieses Recht sichern.“


„Die Hamburger haben nichts von Ihnen gesehen“

Die Opposition nimmt ihm dieser Versprechen offenbar nicht ab. CDU-Fraktionschef André Trepoll forderte erneut: „Herr Scholz, treten Sie zurück.“ Ein Hanseat müsse in solch einer Situation Verantwortung übernehmen – auch ohne persönliche Schuld. Er kritisierte lautstark, der Bürgermeister habe im Vorfeld die Gefahren kleingeredet – obwohl sie bereits etwa im Verfassungsschutzbericht detailliert genannt worden seien. Scholz habe „nicht die Wahrheit gesagt“: „Entweder haben Sie sich vorab nicht richtig informiert, oder Sie haben die Hamburger mit dieser Sicherheitsgarantie wissentlich getäuscht.“ Bis zum Schluss habe die Senats-Koalition Warnungen von der CDU und anderen zurückgewiesen.

Während des Gipfels habe Scholz PR-Termine wahrgenommen, statt für die Bürger da zu sein. „Außer einem verzweifelten Video aus den Katakomben der Elbphilharmonie haben die Hamburger nichts von Ihnen gesehen“, ätzte Trepoll in seiner teils frei gehaltenen, schwungvollen Rede.

Trepoll kritisierte Scholz‘ Umgang mit dem Autonomen-Zentrum Rote Flora. Schließlich hatte sein Senat das Haus in die Stiftung überführt. „Der Erhalt der Roten Flora war ein Riesen-Fehler, Herr Bürgermeister“, rief Trepoll erregt. „Die Rote Flora gehört dichtgemacht.“ Er wolle aber keine Räumung durch die Polizei, sondern eine „politische Lösung“.

Trepoll griff auch die Grünen an: Diese hätten sich während des Gipfels von dem Beschluss, ihn in Hamburg abzuhalten, abgesetzt. „Die ganze Rolle der Grünen ist an Unehrlichkeit und an mangelndem Rückgrat nicht zu toppen.“ Der rot-grüne Senat sei während des Gipfels „implodiert“.

Dennoch. Die Debatte zeigt auch, dass Scholz weiter den Rückhalt der SPD hat. Seine Fraktion spendete ihm langanhaltenden Applaus. Auch der SPD-Fraktionschef Andreas Dressel lobte Scholz und den Polizeieinsatz. Die Kritik an Scholz sei „kleines Karo“, die Polizei habe ganz schwere Situationen „professionell gelöst“. „Ich kann keinen Grund für einen Rücktritt von Olaf Scholz erkennen“, sagte Dressel. Und zitierte genussvoll Angela Merkel und Kanzleramtsminister Peter Altmaier, die den Gipfel in Hamburg lobten. In Hamburg wolle sich die CDU dagegen aus der Verantwortung stehlen.

Die Rede des Grünen Fraktionschefs Anjes Tjarks machte klar: Die Partei steht zur Koalition mit Scholz. Das Sicherheitskonzept sei mit der Bundesregierung abgestimmt gewesen – und sei vor dem Gipfel auch von der CDU gelobt worden. Wie Scholz sah er die Schuld nicht bei den Organisatoren des Gipfels, sondern bei den Gewalttätern. Und wie Scholz kündigte er zwar an, man müsse nun in der Schanze „miteinander sprechen“ – auch in der Roten Flora müsse „sich etwas ändern“.
Einzige Absetzbewegung von Scholz: Es sei richtig und legitim zu fragen, wo in demokratischen Staaten solch ein Gipfel am besten durchgeführt werden könne. Heißt: vielleicht besser nicht in Hamburg.

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding stützte Scholz‘ Aussage, ein solcher Gipfel müsse in Hamburg möglich sein. Scholz habe die politische Verantwortung aber nicht übernommen. Er habe zu wenig Kontakt zu den opfern gesucht. „Sie missachten das Sicherheitsbedürfnis der Bürger“, sagte sie. Er habe eine „historische Fehleinschätzung“ geliefert. Klar ist: Die FDP will sich aktuell nicht als alternativer Koalitionspartner für Scholz ins Spiel bringen- was rechnerisch möglich wäre. Sie griff aber die Grünen an: Sie torpedierten die Politik von Scholz.

Vor allem die Linksfraktion forderte, stärker Details zu untersuchen. „Die Idee, den G20-Gipfel nach Hamburg zu holen, hat sich als vollständige Wahnsinns-Idee erwiesen.“ Einsatzleiter Hartmut Dudde habe etwa bei einer Demonstration am Donnerstag angeblich eine „Massenpanik“ verursacht. Gefangene seien zu lange in der provisorischen Einrichtung festgehalten worden, sagte Cansu Özdemir – und erntete Kritik. „Ich bin einigermaßen fassungslos, dass Sie sich in Ihrer Rede genauso verhalten haben“, sagte FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken hatte die Demonstration am Samstag angemeldet, die weitgehend friedlich blieb, aber ebenfalls einen Schwarzen Block hatte.

Immerhin in einem Punkt waren sich alle einig: Die Gewalt sei „widerlich“. Vor allem die Links-Fraktion musste Kritik ertragen, weil sie sich zu wenig abgegrenzt habe. Es wäre ihre „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ gewesen, den Schwarzen Block aus ihrer Demo am Samstag zu verbannen. „Die Linke ist der parlamentarische Arm des Schwarzen Blocks, und Sie sollten sich dafür schämen“, schäumte SPD-Fraktionschef Dressel unter Zwischenrufen der Linken-Fraktion.

Die zunehmend emotionale Sitzung läuft noch bis in den Abend – auch mit Beiträgen der AfD.

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